Gehälter in Bulgarien explodieren
VDI nachrichten, Königswinter, 18. 7. 08, cha – Wirtschaftsboom und Auswanderung haben in Bulgarien den Mangel an Arbeitskräften sehr verschärft. Nun steigen die Gehälter explosionsartig und die Arbeitgeber bieten zum ersten Mal Aus- und Weiterbildung an.
Pawel Pawlov studiert Betriebswirtschaft an der Uni Köln und steht kurz vor dem Diplom. Seine Bewerbungsmappen gehen nach Düsseldorf, Frankfurt und Essen, aber nicht nach Sofia oder Varna, erzählt das Mitglied des Vereins bulgarischer Studenten. Der Verein hat in Köln und Bonn etwa 700 Mitglieder. Zirka 90 % der Kommilitonen wollen erst einmal Gebrauch vom Recht machen, ein Jahr nach Abschluss in Deutschland einen Job zu suchen, schätzt Pawlov.
Rund 1500 km weiter südlich sind die Ingenieure und Informatiker, Betriebswirte und Marketingspezialisten, aber auch Köche, Kellner und Fernfahrer heiß begehrt. Die bulgarische Wirtschaft wächst seit Jahren um 6 %, die Arbeitslosigkeitsquote fiel von 20 % auf knapp 7 %.
Der Bausektor boomt, der private Konsum ebenso, der Maschinenbau, die Autoindustrie, die Logistik und die Telekommunikation ziehen an. Nun fehlen die Arbeitskräfte – die hoch und auch die gering Qualifizierten. Seit 1990 sind rund 700 000 Bulgaren ausgewandert: jeder zehnte. Das war der jüngere und mehrheitlich gut ausgebildete Teil der Bevölkerung. Der EU-Beitritt im Jahr 2007 hat das Problem noch mal verschärft: In vielen EU-Ländern dürfen die Bulgaren nun ganz legal arbeiten.
Der Studentenverein bekommt seitdem öfter Stellenausschreibungen zugeschickt: für Ingenieure und ITK-Fachkräfte, ab und zu für Wirtschaftswissenschaftler, erzählt Pawlov. Absender sind die internationalen Konzerne, seltener die deutschen Mittelständer, die in Bulgarien investieren. 57 % der deutschen Investoren wollen demnächst Arbeitsplätze schaffen, ergab eine Umfrage der Deutsch-Bulgarischen Industrie- und Handelskammer (DBIHK) in Sofia, nur 8 % wollen abbauen.
Früher waren die ausländischen Arbeitgeber bevorzugt, weil sie besser und vor allem zuverlässig zahlten. Heute müssen sie mit den erfolgreichen einheimischen Unternehmen um die rar gewordenen Spezialisten konkurrieren. So stiegen die Bezüge 2007 im Schnitt um 20 % – allerdings bei 12,5 % Inflationsrate. Hoch qualifizierte Ingenieure erhielten nun Angebote bis zu 6500 € im Monat, so Swetozar Petrov, Chef der Personalberatung JobTiger. Das waren bis vor Kurzem noch Jahreseinkommen. Doch noch sei der Kostenvorteil trotz einzelner Spitzengehälter gegeben und namhafte Unternehmen wie Lufthansa oder SAP hätten keine Schwierigkeiten, Personal zu finden, so Andreas Schäfer von der DBIHK. Mit einem solchen Arbeitsplatz könne man auch im Freundeskreis angeben.
Doch kleinere deutsche Firmen wie auch die bulgarischen Unternehmer litten bereits unter dem Fachkräftemangel. „Die Arbeitgeber sind der Panik nahe“, glaubt Vasko Minev, Inhaber der Sofioter Firma für Werbematerialien „Vaskony“. Er sagt eine Explosion der Bezahlung voraus: „Spätestens in zwei Jahren haben wir das deutsche Niveau erreicht.“ Es sei denn, die Blase platze schon früher.
Höhere Gehälter reichen auch nicht mehr, um die vorhandenen Mitarbeiter zu halten und neue anzulocken. Dienstwagen und -handy auch zum privaten Gebrauch, kostenlose Mittagessen, Firmenbürgschaft für vergünstigte Darlehen, Lebens- und Krankenversicherungen und andere Boni gehören mittlerweile dazu. Die Bewerber hätten aber auch oft überzogene Erwartungen, die sich leider immer weniger mit ihrer Qualifikation und Leistungsbereitschaft deckten, kritisiert Minev: „Ich habe das Gefühl, dass die Arbeitgeber ständig einen Kompromiss eingehen müssen: Nicht den Richtigen einstellen, weil es halt keinen anderen gibt.“
Doch die Misere sei auch selbst verursacht: Viele Unternehmer kümmerten sich um das Personal erst jetzt. Nach Angaben des Nationalen Statistischen Instituts wollen 83 % „fertige Leute“ einstellen: Aus- und Weiterbildung sehen sie nicht als ihre Aufgabe. Diese Einstellung ändert sich sehr langsam. Auch über 55-Jährige bekommen selten eine Chance. Dabei gibt es gerade in dieser Altersgruppe viele Vertreter der technischen Berufe, die nach der Privatisierung der sozialistischen Betriebe arbeitslos wurden oder Taxi fuhren.
Doch da sich in den letzten Jahren immer weniger Studierende für die früher beliebten Ingenieurwissenschaften entschieden, werden die Älteren wiederentdeckt. „Sie hatten vor 30 oder 40 Jahren eine solide Ausbildung erhalten“, sagt Schäfer, die Wissenslücken werden durch gezielte Weiterbildung geschlossen. So bietet beispielsweise die Lufthansa beim Aufbau ihres Wartungszentrums Umschulungskurse an. Zudem wollen mehrere deutsche Investoren mit Unterstützung der DBIHK nach dem Dualen System ausbilden, in Bulgarien sonst nicht üblich.
Die Regierung plant eine Greencard für die bulgarischen Minderheiten im Ausland. So könnten Bürger von Moldowa oder Makedonien leichter Arbeit in Bulgarien suchen. Später werden auch Ausländer nicht-bulgarischer Abstammung mit befristeten Arbeitsverträgen kommen dürfen. Unternehmer Vasko Minev kann dem einiges abgewinnen: „Das wird unsere eigenen Arbeitskräfte motivieren, ihre Qualifikation zu erhöhen und die Erwartungen etwas zu dämpfen, einfach weil es Konkurrenz gibt.“
Auch die Auswanderer sollen nun umworben werden. Jobmessen, Beratung, günstige Grundstücke und vieles mehr verspricht das Regierungsprogramm. Doch die Auslandsbulgaren sind skeptisch. Die Kontakte zur alten Heimat seien geschrumpft und die Umstellung auf die dortige Mentalität fiele nach langen Jahren in Deutschland schwer, sagt ein Ingenieur bei der Deutschen Telekom. Bleiben die Unzufriedenen, die keine Arbeit gemäß ihrer Qualifikation gefunden haben, und die Studierenden. Pawel Pawlov weiß durchaus, dass die Karrieren in Bulgarien steiler verlaufen, die Lebenshaltungskosten niedriger sind und die 10 %ige „flat tax“ mehr vom Einkommen übrig lässt. Trotzdem will er lieber praktische Erfahrungen in Deutschland sammeln. Die Tür zurück, die bleibe ja offen. M. JORDANOVA-DUDA
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