Fabrikhalle wird zur Groß-WG
VDI nachrichten, Stuttgart, 10. 11. 06, sta – Mit Wohnboxen wollen die Architekten Sven Becker und Michael Sauter leer stehende Gewerbeimmobilien in günstige Unterkünfte umfunktionieren. Zurzeit errichten sie ihren ersten Loft-Komplex in Stuttgart. Bald soll es mindestens einen an jedem Hochschulstandort geben.
Reisetasche auspacken, Laptop anschließen – und schon ist man zu Hause. So einfach können Studenten künftig ihren Studienort erobern. Das jedenfalls behaupten Sven Becker und Michael Sauter.
Dabei wird das Klientel der beiden angehenden Architekten allerdings auf einigen Luxus verzichten müssen. Das „Zuhause“ ist nämlich auf den ersten Blick lediglich eine Kiste, 8 m2 bis 20 m2 groß, die zusammen mit anderen solchen Kisten in ehemaligen Fabrik- oder Büroetagen steht. Küche, Bad, Toilette und Waschmaschine gibt es zentral, Sportgeräte oder ein Billardtisch stehen allen Bewohnern zur Verfügung. Damit wollen Becker und Sauter das Wohnen im Loft für Studenten, Praktikanten und junge Job-Nomaden erschwinglich machen.
Ein Markt für die Geschäftsidee ist vorhanden: Schon im Jahr 2005 fehlten nach Angaben des Duos an deutschen Hochschulstandorten ca. 21 000 Wohnheimplätze. Bald kommen zudem Doppeljahrgänge an die Unis, weil die Gymnasialzeit verkürzt wurde. Die Lösung: leer stehende Gewerbeimmobilien. Denn diese gibt es zur Genüge. Produktionsflächen werden verringert, Bürokästen aus den 60ern und 70ern finden nur schwer neue Mieter. Nachdem die Diplomarbeit mit Eins benotet wurde, nahmen Sauter und Becker die Wirtschaftswissenschaftlerin Christina Essig als Gesellschafterin hinzu und gründeten im Januar 2006 die Firma „Students-Loft“.
Den Besitzern von Gewerbeimmobilien macht das Start-up ein rundes Angebot: Planung, Bauleitung, Vermietung und Verwaltung aus einer Hand. Je nach Gebäudetyp gibt es zwei Möglichkeiten, eine Groß-WG einzurichten. Die erste ist konventionell: Ehemalige Büros werden einfach in Zimmer verwandelt, indem Innenwände abgerissen oder hochgezogen werden. Die zweite Möglichkeit eignet sich für große Freiflächen. Hier kommen die praktischen Wohnmodule zum Einsatz. Die ausklappbaren Kisten gelten offiziell als Möbelstücke und müssen deswegen geringere Anforderungen an den Brandschutz erfüllen.
Zum ersten Mal wurden die erstaunlich geräumigen Boxen auf der diesjährigen internationalen Möbelmesse in Köln präsentiert. Die Medien rissen sich um ein Foto. Aber auch Herstellerfirmen und Immobilieneigentümer seien interessiert gewesen, so Sauter.
Dabei eignet sich nicht jedes freie Gebäude als künftiges Studentendomizil. Hallen mit hohen Decken beispielsweise ließen die Heizkosten explodieren. Auch stellt „Students-Loft“ gewisse Anforderungen an die Lage, sagt Essig, die sich um die Vermietung kümmert. Die Nähe zur Hochschule oder zum Stadtzentrum sowie eine gute Verkehrsanbindung, Freizeit- und Einkaufsmöglichkeiten machen den Loft erst attraktiv. Auch darf er nicht in einem reinen Industriegebiet stehen.
Um die 300 € warm wird so eine Wohneinheit kosten. Der Preis wird sich immer im oberen Drittel des örtlichen Mietspiegels befinden. Dafür ist die Unterkunft bereits möbliert: mit einem großen Bett, einem Schreibtisch und viel Stauraum für Kleidung, Papiere und Küchenutensilien. Nicht gerade heimelig, aber sehr praktisch und modern. Strom-, TV- und Internetanschlüsse, Heizung und Lüftungsanlage sind ebenfalls vorhanden, sogar die Kopfhörerbüchse neben dem Bett fehlt nicht. „Unsere Zielgruppe braucht eine besondere Wohnform: Sie möchte nicht den ganzen Hausstand mit sich herumschleppen, wenn man ein Praktikum in einer anderen Stadt macht oder ins Ausland geht“, so Essig.
Die Box gibt es aktuell nur als Prototyp. Es laufen aber bereits Verhandelungen mit Stuttgarter Immobilienbesitzern. Der erste Loft soll Anfang 2007 fertig sein.
Eine einzelne Wohneinheit rechnet Students-Loft mit 8000 € bis 10 000 € an Produktionskosten. Jeweils sechs bis zwölf Module sollen zu einem Komplex zusammengefasst werden. Für den ersten Loft brauchen die Gründer also rund 150 000 €. Die Hausbank hat laut Essig bereits einen Kredit zugesagt. Auch der Immobilienbesitzer wolle sich an der Finanzierung beteiligen. Den Rest werden die Gründer selbst aufbringen. Bei öffentlichen Förderprogrammen seien sie leer ausgegangen, weil sie keine Hightech-, sondern nur eine Dienstleistungsgeschäftsidee hätten. Immerhin stellt ihnen die Hochschule kostenlos Büroräume zur Verfügung.
Mit dem ersten Objekt will das Trio testen, ob die neue Wohnform angenommen wird und ob die Kalkulationen stimmen. Die weiteren Ziele sind ehrgeizig: zuerst einige Lofts in Stuttgart, später an so gut wie jedem Hochschulstandort in Deutschland. Zwischen 1 Mio. € und 5 Mio. € wären dafür nötig. Deshalb sucht das Start-up einen oder mehrere Business Angels. „Am besten jemanden mit Immobilien-Background, der bereit ist, konservative Pfade zu verlassen“, sagt Essig.
Students-Loft will nicht einfach Wohnraum vermieten, sondern ein Lebensgefühl. Am Ende, so schwebt es den Gründern vor, soll ein Netzwerk aus Lofts in allen größeren Städten stehen. Dann nimmt der Job-Nomade seine Reisetasche und das Laptop und zieht von einer Wohnkiste in die andere um. MATILDA JORDANOVA-DUDA
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