Die Insolvenz als Chance zum Neuanfang
Die Krise bedroht viele Unternehmen in ihrer Existenz. Das Gros der Leidtragenden sind die Mitarbeiter mit ihren Familien. Doch engagierte Mitarbeiter, die Mut und Ideen haben, können sie davor bewahren. So ist die Firma in2p aus dem Familienunternehmen Karosserie-Baur entstanden, das in die Insolvenz ging. Innerhalb von zehn Jahren haben sich die neue Firma etabliert und der Mitarbeiterbestand vervierfacht. VDI nachrichten, Ellwangen, 9. 10. 09, jul
Für Matthias Rupp und seinen damaligen Arbeitgeber war 1998 ein rabenschwarzes Jahr. Der junge Maschinenbau-Ingenieur hatte die ersten drei Berufsjahre hinter sich und wechselte die Firma. „Mich interessierten Cabrios und die Konstruktion von Verdecken.“ So unterschrieb er einen Arbeitsvertrag bei Karosserie-Baur in Stuttgart. Am Jahresende aber war die Firma insolvent. „Zum Glück hatte ich damals noch keine Familie, insofern war es aus wirtschaftlicher Sicht nicht der Super-Gau. Aber ich befürchtete einen Knick im Lebenslauf, zudem war die Situation am Arbeitsmarkt für Ingenieure zwar nicht so schlecht wie derzeit, aber auch nicht so rosig wie in den vergangenen Jahren.“ Von heute auf morgen war Rupps Zukunft ungewiss.
Doch dann klopfte Christof Wolfmaier, der frühere Entwicklungschef des Unternehmens, an seine Tür. „Wolfmaier wollte alle Mitarbeiter aus der Konstruktion in eine neue Firma übernehmen“, erinnert sich Rupp. So ging dieser kurz entschlossen mit, wie weitere elf von 14 Konstrukteuren. Die neue Firma heißt „in2p“ – ausgeschrieben „Innovation to Product“ – und hat heute, zehn Jahre später, 45 Mitarbeiter. Aus der alten Garde sind noch sechs dabei. Heute ist ihr Büro in Fellbach – Luftlinie etwa 10 km vom ehemaligen Arbeitgeber im Stuttgarter Stadtteil Berg entfernt.
Berg liegt im Osten von Stuttgart. Auf der anderen Seite des Neckars liegt Untertürkheim. Vor etwa 100 Jahren wurden auf beiden Seiten des Flusses Unternehmen gegründet: 1903 in Untertürkheim die Daimler Motoren Gesellschaft. Auf der anderen Seite entstand 1910 die Firma Baur, die sich mit der Entwicklung und Fertigung von Cabrios für die Firma Wanderer und andere beschäftigte. Faltbare Verdecke waren die Spezialität des Unternehmens. Und obwohl Daimler in Sichtweite von Baur war, kam es zu keiner umfangreichen Kooperation, dafür mit BMW.
Christof Wolfmaier hat mit dem Know-how seines alten Arbeitgebers neu anfangen
Ab Mitte der 1950er-Jahre entwickelte und fertigte Baur für die Münchner Cabriolets, 1967 kamen die legendären Baur-Cabrios der Typen 1600 und 2002 auf den Markt. Die Besonderheit der Baur-Umbauten war im Vergleich zu den später parallel angebotenen Werkscabrios von BMW, dass die Fensterrahmen erhalten blieben. Über dem Fahrer- und Beifahrersitz befand sich ein festes Dachelement, das im Kofferraum verstaut werden konnte. Der hintere Teil des Daches war ein klassisches Faltverdeck mit Kunststoff- oder Glasscheibe. Das Baur-Cabrio gefiel und so wurden insgesamt rund 20 000 Stück gebaut. In Spitzenzeiten beschäftigte das Unternehmen in Stuttgart bis zu 500 Mitarbeiter.
Als die Automobilhersteller den Markt für Cabrios als einen für sich selbst lukrativen Markt erkannten und daraufhin offene Fahrzeuge selbst bauten, ging es abwärts mit den Herstellern von offenen Fahrzeugen. Jüngstes Beispiel dafür ist der Haus- und Hoflieferant von Volkswagen, Karmann. Die Firma mit Sitz in Osnabrück wurde mit dem Käfer-Cabrio und Karmann-Ghia bekannt. Heute gibt es Karmann nicht mehr. „Uns traf es schon zehn Jahre früher“, sagt Michael Baur, Enkel des Unternehmensgründers, bis zur Insolvenz Geschäftsführer von Baur, heute hat er dieselbe Position bei in2p.
Diese Firma hat Christof Wolfmaier 1998 gegründet. Damals war er Berater bei Baur, seinem früheren Lehrbetrieb und späterem Arbeitgeber. Wolfmaier hatte bei Baur Karosseriebauer gelernt, dann in Hamburg Karosserie- und Flugzeugbau studiert. Angebote von renommierten Unternehmen schlug er aus und ging von der Elbe an den Neckar zu Baur zurück. Er arbeitete als Konstrukteur, zunächst am Zeichenbrett, später mit CAD, und wurde Leiter der Konstruktion. 1994 folgte er einem Ruf als Professor für Karosseriekonstruktion an die Hochschule nach Esslingen und ist dort seit einigen Jahren Dekan der Fakultät Fahrzeugtechnik. „Während der ganzen Jahre habe ich den Kontakt zu Baur nie aufgegeben und habe im Rahmen meiner Möglichkeiten hier mitgearbeitet.“
Die Insolvenz war für ihn ein Paradoxon, denn die Konstruktion war bis über beide Ohren ausgelastet. Unter seiner Regie hatte Baur damit angefangen, anderen Firmen Konstruktionsdienstleistungen anzubieten. Zu den Kunden gehörten Audi, BMW, Daimler, Smart und Porsche. Wolfmaier wollte die Insolvenz nicht hinnehmen und sprach mit dem inzwischen eingesetzten Konkursverwalter, Kunden und Mitarbeitern. „Und alle drei zogen mit.“ Der Konkursverwalter, der zunächst das Filetstück von Baur nicht aus der Konkursmasse herauslösen wollte und dann doch zustimmte – die Kunden, die Wolfmaier sogar Vorauskasse für Aufträge versprachen – und die Mitarbeiter, die ihrem ehemaligem Vorgesetzten ganz und gar vertrauten.
Für Rupp war der Jobwechsel diesmal ein leichter. „Wir haben am Freitag unsere Kisten in Berg gepackt und am Montag in Fellbach ausgeräumt.“ Das war im April 1999, die Aufgaben und Kollegen blieben dieselben. Inzwischen ist Rupp Leiter einer Business Unit und ist mit seinem Team für die Dachsystem-Entwicklung verantwortlich. „Selbstverständlich leiden auch wir unter der aktuellen Krise. Aber wir haben aus den Erfahrungen der Vergangenheit gelernt“, so Michael Baur.
Heute gehört ihm und seiner Schwester die Hälfte der Firma, die andere ist im Besitz von Wolfmaier – und in2p ist mit einer gesunden Eigenkapitaldecke ausgestattet. „Die muss sein, um Krisen zu überstehen, die immer wieder kommen“, sagt Baur, der für das Kaufmännische im Unternehmen zuständig ist. Wolfmaier kümmert sich um die Technik. „Weil in2p nun auch für andere Branchen arbeitet, ist die Firma weniger anfällig für Krisen in einzelnen Industriezweigen.“
Der Rest von Baur wurde vom Insolvenzverwalter an die IVM Automotive GmbH verkauft, die wiederum seit 2007 zum schwedischen Semcon-Konzern gehört. Das ist ein Entwicklungsdienstleister, der ähnlich aufgestellt ist wie in2p. PETER ILG
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