Arbeitsmarkt 26.07.2002, 18:20 Uhr

Das Märchen vom Fachkräftemangel in den USA

Mit Green Cards für IT-Spezialisten aus dem Ausland würden in den USA die Löhne gedrückt, räumen Chefs von Computerunternehmen und Headhunter ein. Die Zuwanderung gehe auch zu Lasten älterer Mitarbeiter, die aus ihren Arbeitsplätzen gedrängt würden, kritisieren US-Ingenieure.

Jedes Mal, wenn John Miano das Wort Fachkräftemangel hört, kommt ihm die Galle hoch. Der Softwareingenieur aus New Jersey kann es nicht mehr hören, wenn US-Technologieunternehmen über zu wenig heimische Computerspezialisten klagen. „Das ist schlicht eine Lüge“, empört er sich. „Die Industrie behauptet das, damit sie billige Arbeitskräfte aus dem Ausland importieren kann.“
US-Ingenieure sorgen sich um ihre Jobs. „Der Arbeitsmarkt ist eine Katastrophe. So wenig Angebote wie jetzt hat es seit 18 Jahren nicht mehr gegeben“, sagt Miano. Die indische Konkurrenz verdränge heimische Experten aus ihren Jobs.
Die Industrie sieht das anders. Rund 10 % der offenen Stellen können nicht besetzt werden, weil IT-Spezialisten dafür fehlen, klagt der IT-Verband ITAA. Die Lobbygruppe erreichte beim US-Kongress, dass die Quote für so genannte H-1B Arbeitsvisa für Ausländer massiv heraufgesetzt wurde. Seit 2000 können jedes Jahr 195 000 solcher Papiere an Unternehmen vergeben werden. Fast alle Firmen nutzen die Visa zur Einstellung von Softwarespezialisten. „Wir versuchen alles, um US-Mitarbeiter zu finden“, sagt Zoanne Hennigan von Intel, „aber wenn Fachkräfte fehlen, müssen wir auf H-1B Visa zurückgreifen. Das Programm ist elementar wichtig für den Erfolg unserer Firma.“
Reine Heuchelei, schäumt Informatikprofessor Norman Matloff von der University of California in Davis. „In der Öffentlichkeit behauptet Intel immer, dass sie H-1Bs einstellen müssen, weil es auf dem US Markt zu wenig gut ausgebildete Ingenieure gibt. Als ein Team von Intel Managern einmal bei mir an der Uni war, um Nachwuchs zu finden, schlug ich einige Doktoranden vor. Darauf sagte man mir: “Nein danke, Intel ist nicht interessiert an Leuten mit Doktortitel.““
Matloff hält die Rede vom Fachkräftemangel für ein Märchen. „Die Arbeitgeber wollen vor allem junge Leute, die wenig kosten und die problemlos viele Überstunden schieben, weil sie keine Familie haben“, sagt er. Als Beleg führt Matloff den Fall der Firma AIG in Livingstone an, die vor drei Jahren 249 eingesessene IT-Mitarbeiter feuerte, nur um die Stellen anschließend wieder mit billigeren Ingenieuren aus dem H-1B Programm zu ersetzen.
Die Angst geht um, von Ausländern aus dem Markt gedrängt zu werden. „Ich habe ganz sicher nichts gegen Immigranten, denn meine Eltern kommen selbst aus Asien“, sagt Samuel Lin. „Aber meine Erfahrung zeigt, dass die Geschichte mit dem Fachkräftemangel einfach nicht wahr ist. Ich habe mich jetzt schon 500 Mal beworben und habe immer noch keinen Job.“ Dabei dachte Lin, er habe mit seinem Studium in Princeton und dem Master für Halbleiterelektronik an der renommierten Cornell University alles richtig gemacht.
Eigentlich müssten die Unternehmen ihren H-1B Angestellten das gleiche Gehalt zahlen wie einem Amerikaner. Dazu sind sie laut Gesetz verpflichtet. Doch die Realität sieht anders aus. Mehrere Studien haben ergeben, dass fremde Computerspezialisten 20 % bis 30 % weniger verdienen als einheimische IT Angestellte. Manche Firmen zahlen ihren ausländischen Ingenieuren sogar nur 30 000 bis 35 000 Dollar. Zum Vergleich: Ein einfacher Mechaniker bei der Washingtoner U-Bahn geht mit 49 000 Dollar im Jahr nach Haus.
„Das ist ein moderner Sklavenmarkt“, schimpft John Miano. „Die H-1B Leute sind ihren Arbeitgebern ausgeliefert, weil ihr Aufenthaltsrecht an einen festgelegten Job und ein einmal vereinbartes Gehalt gebunden ist. Wechsel oder Beförderung sind kaum möglich.“ Kein Wunder, dass ausländische Ingenieure so beliebt bei den Firmen sind. Im Jahr 2000 waren laut Auskunft des Wirtschaftsministeriums 28 % aller IT-Jobs, die einen Universitätsabschluss erforderten, mit H-1B Leuten besetzt. „Das Programm ist eine fantastische Quelle für kosteneffektive Arbeitskräfte“, schwärmt Raj Shah, Chef der Softwarefirma CTIS.
Die Möglichkeit, auf ausländische Ingenieure zurückgreifen zu können, drückt die Gehälter auf dem US Markt, besonders jetzt, wo der Technologieboom abebbt. „Wenn man einen guten Preis zahlen will, kann man natürlich auch hier Leute finden“, so der Chef von eBlastventures, Pete Georgiadis. „Wenn man aber ein begrenztes Budget hat, bekommt man nicht die Leute, die man will.“
Erstaunlicherweise hat der amerikanische Gewerkschaftsbund sich nie gegen die Ausweitung der H-1B Visa gewehrt. Einzig Gewerkschaftsführer Paul Almeida hat das Programm öffentlich verurteilt: „Das wird nur dazu benutzt, die Löhne zu drücken“, kritisiert er. Den Preis für diese Entwicklung zahlen vor allem ältere Arbeitnehmer. „Die Firmen feuern die älteren Mitarbeiter, die etwa 80 000 Dollar kosten. Und dafür stellen sie frisch aus dem Flieger zwei neue Leute für je 45 000 Dollar ein“, so die Erfahrung der Silicon Valley Headhunterin Linda Tuerk.
Der Informatiker Terry Vaughn kann das nur bestätigen. Jedes Mal, wenn er eine Bewerbung abschickte, waren die Firmen von seiner Qualifikation begeistert. Doch als sie merkten, dass er 45 Jahre ist, hatten sie plötzlich kein Interesse mehr. „Es heißt nicht Fachkräftemangel, sondern Altersdiskriminierung“, meint Vaughn.
Viele entlassene Computerspezialisten haben ihre Arbeitgeber wegen Diskriminierung verklagt. Lediglich in einem Gerichtsverfahren gegen Siemens Minneapolis konnten elf gefeuerte Programmierer über 40 nachweisen, dass sie wegen ihres Alters rausgeschmissen worden waren. Fred Fehrer, ein Ingenieur, der 13 Jahre bei Hewlett-Packard gearbeitet hat, fasst seine Berufserfahrung so zusammen: „Es gibt definitiv eine begrenzte Lebensdauer für Ingenieure. Sie scheinen am wertvollsten zu sein, wenn sie fünf bis zehn Jahre aus dem College raus sind. Danach geht es langsam bergab.“ STEFANIE WÄTJEN

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