Arbeitsmarkt 21.05.1999, 17:21 Uhr

Arbeitsmoral als Opfer des Wertewandels?

Der Deutsche habe ein gestörtes Verhältnis zur Arbeit, heißt es. Der Sozialwissenschaftler Dr. Dieter Jaufmann kommt jedoch zu dem Ergebnis, daß vermehrte Faulheit im Zeichen des Wertewandels nicht auszumachen ist.

Die Frage nach den Einstellungen zur Arbeit, ihre Bedeutung und Wertschätzung von Individuen sowie die Frage der Zufriedenheit mit der eigenen Erwerbsarbeit ist zweifelsohne eine bedeutende Problematik. Schon seit langer Zeit werden den Deutschen der Verfall der Arbeitsmoral, die wertewandelbedingte schleichende Erosion der Arbeitswerte und -tugenden und die Tendenz zur Einnahme einer freizeitorientierten Schonhaltung unterstellt. Der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl sah Deutschland diesbezüglich gar schon im Stadium eines „kollektiven Freizeitparks“ mit unübersehbaren Folgen für die internationale Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft, die sozialen Sicherungssysteme und andere Gesellschaftsfelder.
Auf diesen stark interessenorientierten Argumentationen beruht die Auffassung, es habe sich ein Wertewandel vollzogen und ein daraus resultierender negativer Einfluß auf die Arbeitseinstellungen. Auf empirische Belege für diese Anschuldigungen wird weitestgehend verzichtet, oder aber es werden die Ergebnisse von blitzlichtartigen Umfragen als Trend- und Tendenzaussagen umgedeutet. Den Wertewandel aber gibt es nicht, wohl aber eine verwirrende Vielzahl von sehr verschiedenen Wertewandelkonzepten.
Im folgenden soll auf der Basis einer Vielzahl von Umfragedaten und Zeitreihen untersucht und aufgezeigt werden, ob die Einstellungen der Bundesdeutschen zur Erwerbsarbeit tatsächlich gewissen Halbwertszeiten unterliegen. Bei Betrachtung der Bedeutsamkeit von Erwerbsarbeit im Lebenskontext bundesdeutscher Bürger über die letzten rund 20 Jahre ergeben sich in der Summe kaum oder nur marginale Veränderungen. Spitzenpositionen nehmen bei dieser Art der Abfrage stets die Bereiche Familie, Gesundheit und Freunde/Bekannte ein. Es folgen nahezu gleichauf die Bereiche Arbeit, Einkommen und Freizeit. Je nach Art der Fragestellung und der Antwortvorgaben erachten über den gesamten 20-Jahres-Zeitraum hinweg zwischen 70 v.H. bis 90 v.H. der Befragten Arbeit als einen für sie (sehr) wichtigen Lebensbereich. Große Verschiebungen hat es hierbei nicht gegeben. In den neuen Bundesländern liegen diese Werte noch leicht höher. Ein sicherlich überraschendes Ergebnis, das die ungebrochene Zentralität von Erwerbsarbeit belegt.
Eine der längsten verfügbaren Zeitreihen zu dem Thema stammt von Emnid. Sie umfaßt den Zeitraum von 1949 bis 1998 mit inzwischen über 20 Meßzeitpunkten. Stets lautete die Frage dabei: „Was trifft für Sie am ehesten zu: Empfinden Sie Ihre Arbeit als a) schwere Last, b) notwendiges Übel, c) Möglichkeit, Geld zu verdienen, d) befriedigende Tätigkeit oder e) Erfüllung einer Aufgabe“? Und auch hier treten große Veränderungen nicht auf. Eine verschwindend geringe Minderheit der Berufstätigen in der alten Bundesrepublik sieht ihre Arbeit als „schwere Last“. Sowohl 1949 als auch 1998 ist es jeder Zehnte, der sie als „notwendiges Übel“ begreift mehr waren es in den 70er und 80er Jahren. Nahezu durchgängig entschied sich ein rundes Drittel für die pragmatische Variante, nämlich Arbeit als Möglichkeit, Geld zu verdienen. Als „befriedigende Tätigkeit“ betrachteten über den Zeitraum von fast 50 Jahren rund 30 v.H. ihre Erwerbsarbeit. 17 v.H. sahen zu Beginn der Zeitreihe ihre Arbeit als die „Erfüllung einer Aufgabe“, 16 waren es 1998. Lediglich in den 50er und 60er Jahren lagen die Werte etwas höher. Auch hier also von großen Veränderungen und dramatischen Umbrüchen keine Spur. Die Umfrage von 1998 ergab sowohl in den alten als auch in den neuen Bundesländern nahezu identische Resultate.
Das IfD Allensbach ging der Frage nach: „Welche Zeit ist Ihnen lieber – die Stunden während der Arbeit oder die Stunden, während Sie nicht arbeiten, oder mögen Sie beide gern?“ Es wurden Berufstätige von 1962 bis 1996 befragt. Auch hier finden sich keine Indizien auf große Veränderungen: Wenig mehr als 60 v.H. bekundeten 1962, beide Stundenarten bzw. am liebsten die Arbeitszeit zu mögen. 1996 waren es knapp 60 v.H. Das „Recht auf Faulheit“ wurde ebenfalls vom Allensbacher Institut thematisiert. Knapp jeder Achte stimmte 1952 der Aussage zu, das Leben sei ohne Arbeit am schönsten. 1997 stieg dieser Anteil auf ein Viertel an, also nahezu eine Verdoppelung des Ausgangswertes. Mehr als verdoppelt hat sich in diesem Zeitraum auch der Anteil derjenigen, die sich bei dieser Frage unentschieden oder aber gar keine Meinung äußerten. Die Mehrheit (60 v.H.) sahen auch 1997 ein Leben ohne Arbeit als nicht erstrebenswert an. Der vergleichbare Wert für den Osten der Republik liegt gar noch um 10 v.H. höher.
Zugenommen hat die Zahl der Erwerbstätigen, die eine interessante, aber nicht so gut bezahlte Arbeit einer uninteressanten, aber gut bezahlten vorziehen würden. Daß Berufstätigkeit mehr als pures Geldverdienen ist, machen weitere Ergebnisse deutlich. Zu der Frage, ob man auch dann arbeiten würde, wenn es finanziell nicht nötig wäre, äußerte sich die große Mehrzahl positiv. Insgesamt erscheint es, daß die Ansprüche an die Arbeit und ihre Inhalte im Laufe der Zeit gestiegen sind.
Im Gegensatz zu den vielfältigen Behauptungen und Verlautbarungen über einen mentalen Rückzug der Erwerbstätigen, einen „Abschied von der Erwerbsarbeitswelt“, zeigen die zahlreich vorliegenden empirischen Daten, daß dies nicht der Fall ist. Die Einstellungen zur Erwerbsarbeit und die Arbeitsorientierung ist sowohl in den alten als auch in den neuen Bundesländern sehr hoch. Andere Bereiche, wie Familie, Gesundheit und Freunde werden aber ebenso als wichtig erachtet.
Vermehrte Faulheit im Zeichen des Wertewandels ist jedenfalls bei den Bundesdeutschen nicht auszumachen. Schon eher können die gestiegenen Ansprüche der Erwerbstätigen an die Arbeitswelt zu Problemen führen. Weithin propagierte Modelle sollen den aktiven, interessierten, engagierten, mit- bzw. vorausdenkenden Arbeitnehmer fördern. Die Frage sei erlaubt, ob die Strukturen in der realen Arbeitswelt dies auch unterstützen. Es gibt noch viel zu tun.
DIETER JAUFMANN/WS
Der Autor hat Wirtschafts- und Sozialwissenschaften studiert. Er ist Projektleiter und stellvertretender Generalsekretär am Internationalen Institut für Empirische Sozialökonomie (INIFES) in Stadtbergen bei Augsburg.
Ein Bild, das nur die halbe Wahrheit widergibt: Der Deutsche schätzt nicht nur Freizeit und Familie, er fühlt sich in der Regel auch an seinem Arbeitsplatz wohl.

 

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