Anschreiben ist die Visitenkarte des Bewerbers
Das Urteil von Personalreferenten und Unternehmern über die Qualität der üblichen Bewerbungsanschreiben ist vernichtend. Dabei müssen eigentlich nur wenige Anforderungen erfüllt werden, um das selbst gesteckte Ziel zu erreichen: sich als Kandidaten der ersten Wahl zu empfehlen.
Ein Anschreiben ist die Visitenkarte des Bewerbers“, sagt Just Schürmann, Geschäftsführer beim Beratungsunternehmen Boston Consulting Group (BCG) in München und für das Recruiting verantwortlich. Doch was ihm und zigtausend Personalreferenten und Unternehmern auf der Suche nach neuen Mitarbeitern immer wieder auf den Tisch flattert, liest sich eher wie ein Einkaufszettel: Lauter aneinander gereihte Wünsche des Bewerbers, der einen tollen Job mit tollen Arbeitsbedingungen und toller Bezahlung möchte. Weitestgehend offen bleibt dagegen, in welcher Währung, sprich mit welchen Talenten und Fertigkeiten, der Kandidat für sein Wunschpaket zu bezahlen gedenkt. Allein ein guter Diplom-Abschluss in der geforderten Disziplin reicht auf gar keinen Fall aus. Die Arbeitgeber wollen im Anschreiben vor allem erfahren, was für ein Mensch sich da bewirbt. Alles andere geht – hoffentlich – aus tabellarischem Lebenslauf und den Anlagen hervor.
Um den individuellen Persönlichkeitsmerkmalen des Briefschreibers auf die Spur zu kommen, setzen die Personalverantwortlichen in den Firmen grundsätzlich ein Raster ein. Das muss nicht immer schriftlich vorliegen, aber ein Merkmal haben alle: die Negativauswahl. Der Leser des Anschreibens registriert nicht nur die sachlichen Aussagen des Textes, sondern zählt parallel dazu auch jeden optischen, formalen und auch förmlichen Fauxpas. Jeder einzelne Fehler bringt Minuspunkte und senkt das Interesse, bis der Leser schließlich aus der Lektüre aussteigt – und diese Bewerbung auf den Absage-Stapel legt.
Und das passiert schneller, als vielen Bewerbern klar ist. Zwei bis höchstens fünf Minuten pro Mappe insgesamt sind in den Personalabteilungen heutzutage üblich. Für das Anschreiben bleibt also vielleicht noch eine Minute, denn: „Der Empfänger von Bewerbungsunterlagen liest häufig zuerst den tabellarischen Lebenslauf und entscheidet erst dann, ob er das Anschreiben überhaupt noch zur Kenntnis nehmen will.“ So jedenfalls ordnet der Stuttgarter Laufbahnexperte Stefan Müller die Bedeutung des Anschreibens ein und schlussfolgert daraus: „Die Lust am Lesen des Lebenslaufs in Prosa geht gegen 0! Es empfiehlt sich also, bereits in den ersten beiden Sätzen konkret zu benennen, warum man sich gerade auf diese Stelle oder bei diesem Unternehmen beworben hat. Der Empfänger will sehen, dass der Bewerber gerade nicht mit der Gießkanne unterwegs ist, sondern seine Ziele nach bestimmten Kriterien auswählt und ansteuert.“
Im zweiten Absatz des Anschreibens muss laut Müller bereits die Brücke „zwischen den Erwartungen, Anforderungen und aktuellen Entwicklungen in diesem Unternehmen und dem Profil des Bewerbers“ geschlagen werden. Der Stuttgarter Berater: „Hierzu bedarf es sorgfältiger Recherche beziehungsweise genauem Lesen der Anzeige.“ Doch genau das scheinen gerade Berufseinsteiger nicht zu tun. „54,5 % der Anschreiben passen nicht zum Jobprofil“ ist die ernüchternde Erkenntnis aus einer Befragung der Düsseldorfer Personalberatung von Rundstedt und Partner unter 1000 Geschäftsführern, Personalleitern und Personalreferenten in Unternehmen aller Größen und Branchen.
46 % dieser Befragten erklärten im Rahmen der Umfrage außerdem, dass sie ihre Einstellungsentscheidung zu 30 % bis 50 % vom ihrem Bauchgefühl abhängig machen. 23 % entscheiden sogar überwiegend intuitiv. Und das bedeutet, dass individuelle Vorlieben und Abneigungen einfließen – beispielsweise bei der Selbstdarstellung des Bewerbers, für den laut Personalberater Stefan Müller der dritte – und letzte – Absatz genutzt werden sollte. Welche Formulierungen dabei sinnvoll sind, beurteilen Personalexperten unterschiedlich. Manfred Brücks vom Personaldienstleister Adecco sagt zwar: „Bei der heutigen Arbeitsmarktlage sollte jede Bewerbung das Wort ,Werbung‘ berücksichtigen.“ Doch gleichzeitig weist er darauf hin: „Die Kunst dabei ist, trotzdem noch seriös zu bleiben.“ Die Wiener Coaching-Expertin Gisela Zechner, die mit www.life- science.de auch ein Karriere-Netzwerk im Internet betreibt, sieht es ähnlich. Sie rät, auf jeden Fall unsichere Ausdrucksweisen zu vermeiden. Wörter wie „glaube, würde, könnte, gegebenenfalls, voraussichtlich, unter Umständen, vermutlich etc.“ seien in einem Bewerbungsschreiben tabu. Personalexperte Eberhard von Rundstedt dagegen setzt auf Pragmatismus. Er sagt: „Ein positives Bauchgefühl entsteht durch Anerkennung und Wertschätzung des Anderen.“ Ein Bewerber dürfe also nicht nur sich, sondern müsse die Interessen des Adressaten im Kopf haben: „Dem Unternehmen geht es immer um die Lösung von Problemen, wenn eine neue Stelle zu besetzen ist. Der Kandidat sollte sich deshalb in seiner Funktion immer als „Problemlöser“ verstehen und dies auch in seiner Bewerbung deutlich machen.“
Genauso sieht es auch der Münchner Recruiting-Experte Just Schürmann. Für ihn ist ein gutes Anschreiben eine ausgewogene Mischung aus dem, „was ein Bewerber sucht, und dem, was er an Fähigkeiten mitbringt“. Um Hochschulabsolventen bei der Vorbereitung ihres Bewerbungsschreibens unter die Arme zu greifen, hat Schürmann eine Reihe von Tipps zusammengestellt. Sie beziehen sich auf Form, Inhalt und Wortwahl des Anschreibens.
Dass Flecken oder Knitterfalten tabu sind, versteht sich von selbst. Die Ansprechpartner des Unternehmens sollten korrekt angeschrieben werden. Damit nehmen es Bewerber häufig nicht so genau. Und häufen sich gravierende Grammatik- und Rechtschreibfehler, ist das ein klares k.o.-Kriterium. Als Faustregel für die Länge gilt: so kurz wie möglich, so ausführlich wie nötig – und das bitte auf einer Seite.
Ein Anschreiben ist kein Lebensrückblick vom Schuleintritt bis zum Uniabgang, sondern sollte sich auf die relevanten Stationen beschränken. Bewerber sollten jene Fähigkeiten und Erfahrungen betonen, die für den betreffenden Job relevant sind. Klar herausarbeiten sollten sie auch ihre Motivation für den jeweiligen Beruf und das Unternehmen. Nichts ist schlimmer, als wenn man das Gefühl hat, dass das gleiche Standardanschreiben an mehrere Personalabteilungen geschickt worden ist – und sich der Absender nicht einmal die Mühe gemacht hat, das vier Wochen zurückliegende Datum zu aktualisieren.
Lobesreden auf das Unternehmen oder die eigenen Fähigkeiten sollten wohldosiert werden. Jedes Unternehmen weiß selbst am besten, welch „herausragender“ Arbeitgeber es ist. Und sich selbst über den grünen Klee zu loben, ist ebenso fehl am Platze wie in epischer Breite zu erklären, welche Schicksalsschläge das Vordiplom vermasselt haben. Als Teamplayer, analytischer Crack oder Führungstalent gilt nicht, wer dies vollmundig von sich behauptet, sondern wer dies konkret unter Beweis gestellt hat. Wenn jemand beispielsweise einen medizinischen Hilfstransport in eine Katastrophenregion auf die Beine gestellt hat, ist das der beste Beleg für Führungs- und Organisationsgeschick und sollte auf alle Fälle in einem Anschreiben erwähnt werden. So vermittelt ein Anschreiben ein rundes Bild der Persönlichkeit des Bewerbers und liefert gleich erste Anknüpfungspunkte für das Bewerbungsgespräch.
Die Einladung zu diesem persönlichen Gespräch kann man freilich auch im letzten Teil des Anschreibens noch gründlich vermasseln. „Der Kontaktwunsch sollte nicht zu drängend ausfallen“, weiß Laufbahnberater Stefan Müller und warnt vor „Ich erwarte Ihren Terminvorschlag“. Was halten Sie von „Wenn ich Ihr Interesse geweckt habe, freue Ich mich auf ein persönliches Gespräch“? REGINA-C. HENKEL
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