Dönerbude war gestern
VDI nachrichten, Düsseldorf, 29. 8. 08, sta – Einwanderer beleben laut aktuellem DIHK-Gründerreport die deutsche Gründerszene. Jeder sechste Ratsuchende in den Kammern hat seine Wurzeln im Ausland. Davon suchen längst nicht mehr alle ihr Glück in Gastronomie und Handel. Inzwischen wissen auch immer mehr Technologiegründer den Standort Deutschland zu schätzen.
Nach seinem Abitur an einer deutschen Schule in Istanbul schrieb sich Enis Ersü an der TU Darmstadt ein. Ingenieur wollte er werden. Entwicklungsingenieur im weiten Feld der Regelungstechnik. Dieses Ziel vor Augen meisterte er sein Studium mit Bravour und fand sofort einen Job. Doch er merkte bald, dass ihm das nicht reichte. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter kehrte er an die Uni zurück, vertiefte sich in Bildverarbeitung und machte sich fünf Jahre später, 1984, selbständig.
„Einige meiner Verwandten in der Türkei waren selbständig“, berichtet er. Ihr Vorbild habe ihm früh vermittelt, dass Selbständige im Leben oft mehr erreichen. Umgekehrt hat er als Angestellter erkannt, wie viel Zeit zwischen Idee und Produktreife vergehen kann. „Dafür war ich zu ungeduldig“, sagt er.
Ohne Förderung und Beratung, ja sogar ohne Businessplan, stürzte er sich in die Vermarktung seiner Bildverarbeitungssysteme – und behielt recht. Seine Isra Vision ist heute eine global agierende AG mit fast 400 Mitarbeitern er selbst Vorstandschef. Isra-Bildverarbeitungssysteme lenken Roboter bei deutschen, japanischen und amerikanischen Autoherstellern, in Logistikbranche, Maschinenbau, Kunststoff-, Glas- oder Druckindustrie in allen Teilen der Welt.
Der einstige Düsentrieb Ersü ist heute ganz Unternehmer. Um die nötige kritischen Masse für neue Zielmärkte aufzubauen, übernahm Isra zuletzt ein halbes Dutzend Firmen. „Eins plus eins macht oft mehr als vier“, sagt er. Auch in Finanzfragen ist Ersü pragmatisch. „Oft tun sich Technologen schwer damit, zu teilen“, sagt er. Sie nehmen kein Risikokapital an, um keine Anteile ihres Unternehmens abzugeben. „Doch mit finanzkräftigen Partnern lassen sich Ziele einfach schneller umsetzen“, erklärt er seine Sicht.
Einen kaufmännischen Hintergrund hat Ersü nicht. „Ich habe in der Türkei gelernt, dass man um sein Geld kämpfen muss“, sagt er. Und er habe von Kind auf mitbekommen, dass es zum Wert einer Ware immer zwei Auffassungen gebe, über die es zu verhandeln gelte. Scham bei Preisverhandlungen sei ihm deshalb fremd. Noch einen Erfolgsfaktor macht Ersü an seiner Herkunft fest: seine unternehmerische Einstellung. „Ein guter Unternehmer muss bereit sein, seinen Kunden und Mitarbeitern mit Freude zu dienen.“ Schließlich sei das Geschäft wie eine zweite Heimat, in der sich die Beteiligten wohl fühlen sollen. Ersüs Konsequenz: „Ich brauche nicht nur gute Ingenieure, sondern gute Menschen.“
Unternehmertum hat demnach einiges mit kultureller und familiärer Prägung zu tun. Die Bereitschaft zu gründen offenbar auch. Laut DIHK Gründerreport 2008 ist die Gründerquote bei Migranten höher als bei Deutschen. „Mehr als 22 000 Personen mit Migrationshintergrund nutzten letztes Jahr die IHK-Gründungsberatung oder besuchten IHK-Gründertage – 17 % aller Gründer“, heißt es im Report. Zudem sei ihre gute Vorbereitung auffällig. Gerade bei Kostenrechnung und betriebswirtschaftlichen Planung seien Businesspläne von Migranten oft überdurchschnittlich.
Es steht oft auch mehr auf dem Spiel. Denn statt auf Bankdarlehen greifen viele Gründer auf „Familienfinanzierung“ zurück, statt auf bezahlte Kräfte auf Rat und Tat von Freunden. Ähnlich wie es Ersü beschreibt, haben die Gründer oft auch nicht die Geduld, sich mit Kleinkram aufzuhalten. Mit Bürokratie tun sie sich laut DIHK ebenso schwer, wie mit der schriftlichen Fixierung von Zusagen. Dafür haben sie ihre Märkte um so besser im Blick.
All das sind verallgemeinerbare Trends, so unpräzise der Sammelbegriff Migranten auch ist. Dahinter verbergen sich Imbissgründer, Schneider, Händler oder Leute wie Schadnusch Nejad. Der diesjährige Finalist des Deutschen Gründerpreises entwickelt ebenfalls Bildverarbeitungssysteme. Die Spezialität seiner AtmVision AG sind mikrometergenaue 3D-Analysen im Fertigungsprozess. Nejad wollte schon immer etwas Eigenes aufbauen. „Für Deutschland sprach, dass ich hier gut ausgebildete, selbständig arbeitende Entwickler finde“, sagt er.
Jobsuche für Ingenieure
Auch der Südafrikaner Helmut Drewes kam letzten Herbst bewusst nach Deutschland, um von hier aus sein Geschäft zu forcieren. Der 36-Jährige gründete vor zehn Jahren die Firma Agrista. Sie bot bisher vor allem Software für Banken und Investoren, um Projekte im Bereich Nachwachsende Rohstoffe und Nahrungsmittelproduktion abzuwickeln. Nun will er das Angebot um Dienstleistungen erweitern.
„Gerade in Schwellenländern gibt es aufgrund steigender Preise und Nachfrage einen Investitionsstau bei Anbauprojekten“, erklärt er. Seine Firma helfe Investoren, Risiken einzuschätzen und sorge so für schnellere Abwicklung der Kredite an die Produzenten. Dafür integriere die Software Geoinformationssysteme, Daten zu Anbauaufwand und Ernteerwartung, zugehörige Versicherung- und Finanzdienstleistungen und das Projektmanagement.
Ein Großteil der Kunden kommt aus Europa. Weil der Ingenieur ihnen nun verstärkt Dienstleistungen rund um die Software anbieten will, sucht er ihre Nähe.
Gleichzeitig möchte Drewes sein unternehmerisches Know-how erweitern. Im Web stieß er auf den Studiengang „Executive MBA Program in Innovation and Business Creation“ der TU München. Die Teilnehmer gründen mit Unterstützung des Zentrums für Innovation und Gründung (UnternehmerTUM) eine reale Firma und absolvieren gleichzeitig einen MBA-Studiengang. Für Drewes der perfekte Einstieg im neuen Land: „Ich hatte gleich ein sehr gutes Netzwerk, ein Büro – und ich lerne im Studium, wie man hierzulande ein Geschäft aufbaut.“ Verglichen mit Südafrika seien Beratung und Förderung hier geradezu phantastisch.
Vielleicht können davon künftig mehr qualifizierte Einwanderer profitieren. Die Bundesregierung hat gerade die Zuwanderungsregeln überarbeitet. Leichter wird es vor allem für ausländische Absolventen deutscher Unis, die hier einen Job finden. Nach zwei Jahren erhalten sie nun ein unbefristetes Bleiberecht.
Diese Perspektive dürfte nach Einschätzung von Bitkom-Präsident August-Wilhelm Scheer so manchen Neubürger zu einer späteren Gründung animieren. Hochqualifizierte seien kreativ und würden durch Innovation oft Arbeitsplätze für sich und andere schaffen. „Kreativität, Wissen und Unternehmertum sind Säulen unserer wirtschaftlichen Entwicklung“, sagt er, „und zwar unabhängig davon, woher Menschen mit diesen Eigenschaften kommen“. P. TRECHOW
Viele Migranten lassen sich von der Familie finanzieren
Themen im Artikel
Empfehlung der Redaktion
Stellenangebote im Bereich Verwaltung
Alle Verwaltung Jobs