Wenn ein Stellvertreter sich unabkömmlich macht
Wenn ein Mitarbeiter seine Fortbildung antritt, muß der Rest des Unternehmens häufig für ihn mitarbeiten. In Zukunft sollen Arbeitslose die verwaiste Stelle vorübergehend besetzen. Sie bringen sich damit wieder auf dem Arbeitsmarkt ein.
Von Begeisterung bis Ablehnung hat Joachim Grudde schon alles erlebt. Für das Pilotprojekt Jobrotation muß der Leiter des Berufsfortbildungswerkes (Bfw) in Kiel regelrecht Klinken putzen. Dabei stößt Grudde in eine arbeitsmarktpolitische Nische: Stellt eine Firma Mitarbeiter für eine Weiter- oder Fortbildungsmaßnahme frei, wird dieser Platz durch einen geeigneten Arbeitslosen besetzt. Obwohl gerade im Mittelstand ein enormer Qualifizierungsbedarf besteht, hat Grudde viel Überzeugungsarbeit zu leisten.
1996 wurde das dänische Modell in Berlin erstmals umgesetzt. Mittlerweile gibt es ein bundesweites Netzwerk von Organisationen, die Jobrotationsprojekte durchführen. Die Berliner SPI Servicegesellschaft hat die beschäftigungspolitische Innovation nicht nur in Deutschland ins Rollen gebracht. In zahlreichen europäischen Ländern wird Jobrotation erprobt. „Es wird als eines der erfolgversprechendsten arbeitsmarktpolitischen Modelle angesehen“, so Michael Gericke von der Nationalen Unterstützungsstelle in Bonn.
Mit Jobrotation werden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Zum einen eine höhere Qualifizierung der Beschäftigten mit einer Verbesserung der betrieblichen Wettbewerbsfähigkeit und zum anderen eine Wiedereingliederung der Arbeitslosen ins Berufsleben. Denn die Mitarbeiter müssen mit den ständig fortschreitenden Technologien Schritt halten. Im allgemeinen haben sie aber den Großteil ihres beruflichen Wissens vor mehr als zehn Jahren erworben. Dagegen sind 80 % der im Berufsalltag eingesetzten Technologien im Durchschnitt jünger als zehn Jahre. Werden jedoch neue Maschinen und moderne Techniken mangels Qualifikation von den Betrieben nicht eingesetzt, können daraus Wettbewerbsnachteile entstehen. Eine Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT) im Jahre 1997 hat ergeben, daß sich Weiterbildung bei 65 % der Mitarbeiter vorteilhaft auf die berufliche Entwicklung ausgewirkt hat. Angestellte für eine mehrwöchige Qualifikation freizustellen und weiterzubezahlen, ist aber gerade für kleine und mittlere Unternehmen meist nahezu unmöglich. Diese strategische Zwickmühle soll die Jobrotation beheben.
Nicht für alle Stellen sind auch die geeigneten Stellvertreter zu bekommen
Die größte Schwierigkeit für die Jobrotation-Mittler und auch die größte Skepsis seitens der Unternehmen besteht darin, geeignete Stellvertreter zu finden. 19 Mitarbeiter hat Joachim Grudde vom Bfw Kiel im ersten Jahr des Pilotprojektes überzeugt. Sie ließen sich für einige Wochen in Schweißtechnik, CAD sowie Metall- und Elektrotechnik weiterbilden. In einigen Fällen auch im kaufmännischen Bereich. Und für diese Zeit haben 19 Arbeitslose ihren Platz eingenommen – ein Drittel wurde anschließend von den Firmen fest eingestellt.
„Wir haben damit positive Erfahrungen gemacht“, bestätigt auch Detlev Zieboll von der Firma How Medica in Schönkirchen (Schleswig-Holstein), die einer Mitarbeiterin im Rahmen von Jobrotation einen achtwöchigen Sprachkursus ermöglicht hat. Gerne hätte Zieboll die Stellvertreterin übernommen, wenn ein Arbeitsplatz zur Verfügung gestanden hätte. Bei der Firma ESD Eskort in Berlin hatte der Stellvertreter mehr Glück – er ist von der Dienstleistungs GmbH nach Ende seiner Vertretungszeit eingestellt worden. „Wir waren von dem Projekt von Anfang an begeistert“, erklärt Geschäftsführer Wolfgang Reinsch, der mit Hilfe von Jobrotation zwei Mitarbeiter zum Meisterlehrgang schicken konnte. „Diese Weiterbildung hätten wir sonst nicht tragen können.“
Finanziert wird Jobrotation in Westdeutschland zu 42 % und in Ostdeutschland zu 65 % aus dem Europäischen Sozialfonds. Die restlichen Mittel werden über eine Kofinanzierung von Privatwirtschaft und öffentlicher Hand aufgebracht. Ziele, Inhalte und Modalitäten werden jedoch von jedem der derzeit 22 deutschlandweiten Teilnehmer individuell ausgestaltet. Wie zum Beispiel bei der Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft (BQG) im Herzogtum-Lauenburg. Der wirtschaftsschwache Kreis in Schleswig-Holstein hat sich konsequent auf die Wiedereingliederung von Sozialhilfeempfänger konzentriert. Zudem will BQG vor allem kleinere Unternehmen zu einer höheren Qualifikation ihrer Mitarbeiter bewegen. Vier bis sechs Wochen werden die Sozialhilfeempfänger in dem Unternehmen eingearbeitet, bevor sie die Aufgabe eines Stellvertreters übernehmen. Zehn Sozialhilfeempfänger haben auf diese Weise bereits eine vorübergehende Beschäftigung erhalten, obwohl Jobrotation erst seit September des vergangenen Jahres läuft. „Es ist ein Herantasten“, so die Erfahrung von Norbert Leder, Pressesprecher des Arbeitsamtes Lübeck. Vor allem ein enormer Schulungsbedarf sei für den Einsatz der Stellvertreter nötig, um einen reibungslos Ablauf zu ermöglichen.
Ausschließlich auf Weiterbildung, die dem Unternehmen eine Innovation beschert, konzentriert sich das Berufsförderungszentrum Essen, das sich mit drei weiteren unabhängigen Bildungsinstituten aus der Region für Jobrotation zusammengeschlossen hat. „Nach einer schwierigen Anfangsphase kommt das Projekt mittlerweile ins Rollen“, so Geschäftsführer Werner Blanke. 150 Betriebe, 478 Mitarbeiter und 209 Stellvertreter haben sich seit 1997 daran beteiligt – 61 % der Arbeitslosen sind anschließend direkt übernommen worden.
ANGELA SCHMID
Den Weg zum Arbeitsamt soll das Projekt Jobrotation künftig vielen Arbeitslosen ersparen. Über eine Vertretung zur Festanstellung, heißt das Ziel.
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