Die meisten Displays landen via Mülltone auf der Deponie
Die Zahl der LCD-Displays in den Elektrogeräten steigt kontinuierlich, doch bei Entsorgung und Recycling gibt es derzeit mehr offene Fragen als Antworten. Das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA), Stuttgart, initiierte deshalb eine aktuelle Expertenrunde.
Ob im Elektronik-Spielzeug „Tamagochi“ oder im Luxusauto, in der Kaffeemaschine oder im Handy: Liquid Crystal Displays (LCD) sind auf dem digitalen Vormarsch. Klein, leicht, handlich – und mit einer Flüssigkeit gefüllt, deren Rezeptur kaum jemand kennt. Mehr als 50 000 unterschiedliche Substanzen firmieren unter dem Oberbegriff „Flüssigkristalle“, einige davon sind möglicherweise krebserregend, andere gelten als toxisch oder ätzend. So genau scheint das niemand zu wissen, zumindest nicht die Entsorgungsunternehmen, die immer stärker mit LCD-Displays der ersten Generationen konfrontiert werden.
Doch diese Unternehmen brauchen Klarheit über die Gefährlichkeit der Flüssigkristalle. Vor allem, wenn in zwei bis drei Jahren die große Welle ausgedienter Bildschirme auf sie zukommt. Das Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) startete deshalb eine Initiative im Rahmen ihres „Expertenforums“. Herstellerfirmen und Recycler bilanzierten Ende Oktober gemeinsam mit Behördenvertretern und Wissenschaftlern den Stand der Dinge bei LCD-Displays. Das Ergebnis: Es gibt mehr Fragen als Antworten – und es ist höchste Zeit, zu handeln. Gefragt sind eine bessere Kenntnis der Rezepturen, Studien zum Verbrennungsverhalten und mehr Geld für die Entwicklung von Recyclingverfahren.
Klaus-Peter Minge, Geschäftsführer der Arra Terra Recycling GmbH in Gottmadingen, wünscht sich dazu auch „Klarheit für den Entsorgungsweg nach dem Vorbild der Altbatterien-Verordnung. Denn heute gehen die meisten Displays – etwa aus „Game-Boys“ und anderen elektronischen Kleingeräten – via Mülltonne auf die Deponie.“ Und das, obwohl keineswegs klar ist, wie sich die Flüssigkristalle bei ihrer Verbrennung verhalten, zumindest nicht bei niedrigen Temperaturen. Bislang existieren keine Studien zum Thema, ein bereits geplantes Forschungsvorhaben der Uni Berlin wurde nicht finanziert.
Beim Recycling scheint ein Pilotprojekt der Vicor GmbH eine mögliche Antwort zu geben. In dem Berliner Recyclingunternehmen werden die LCD-Displays mechanisch zerkleinert und die flüssigen Kristalle durch Unterdruck entfernt. Über einen Katalysator läuft die Zerstörung der Kristalle bei 400 oC bis 500 oC im geschlossenen System.
Dieses Verfahren ist bisher kaum bekannt und europaweit wohl einzigartig. Das Land Berlin hat es als Recyclingverfahren anerkannt, da etwa 70 % des Glases aus den Displays zurückgewonnen werden.
Martin Hieber vom Fraunhofer-Institut attestierte dem Verfahren Pioniercharakter. Dennoch kam in der Expertenrunde Skepsis auf: Reicht die Temperatur zur Zerstörung der Flüssigkristalle wirklich aus und welche neuen Substanzen entstehen bei der Verbrennung und – was für eine Substanz wird denn nun eigentlich verbrannt?
Für die Entsorger wäre ein Recycling-Paß für LCD-Geräte wünschenswert, wie ihn etwa das Unternehmen Agfa-Gevaert, München, für die selbst produzierten Elektronikgeräte entwickelt hat. Dieser Paß beschreibt die Art, Menge und Plazierung von Gefahrstoffen in einem Gerät und gibt Auskunft über die lukrativen Wertstoffe. Dazu kommt eine Demontage-Anleitung. Sie erleichtert dem Recycler das Zerlegen und senkt seinen Zeitaufwand und damit die Kosten.
„Der Recycling-Paß soll in Zukunft auch per Internet abrufbar sein“, so Karl-Heinz Dietrich von Agfa-Gevaert, „um über die Lebenszeit der Geräte hinaus den heute noch unbekannten Recyclern eine gute Arbeitsgrundlage zu geben“.
Aber von solch einem Recycling-Paß sind die Hersteller von LCD-Geräte ebenso weit entfernt wie die Hersteller der Flüssigkristalle. Viele Displays kommen aus Asien mit No-name-Computern und billigen Spielgeräten nach Deutschland. Informationen sind dann praktisch gar nicht zu bekommen.
Aber auch bei den wenigen einheimischen Herstellern sind Informationen nur in den engen Grenzen der eigenen Entwicklungsabteilungen dokumentiert – wenn überhaupt. Und bei den vielen Modellen und Modellwechseln sowie der großen Zahl der Flüssigkristalle sind Details kaum mehr nachvollziehbar. Die Herstellerangaben, die bei der Expertenrunde im Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung zu den Flüssigkristallen präsentiert wurden, kommentierte Bruno Hölzer von Hewlett Packard in Böblingen jedenfalls mit den Worten: „Damit kennen wir zwar das Gewicht der Python und ihre Größe, aber noch immer nicht das Schlangengift“.
M. PRÖSLER
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