„Der Energieverbrauch ist konkurrenzlos niedrig“
VDI nachrichten, Düsseldorf, 19.12.03 – Langsam wird elektronisches Papier marktreif. Die US-Firma Gyricon, ein Start-up des E-Paper-Erfinders Xerox, hat gerade die erste kommerzielle Anwendung vorgestellt – eine Info-Tafel mit WLAN-Anschluss. Und Konkurrent E-Ink will zusammen mit Vosslohs IT-Sparte jetzt die Bahn mit Anzeigentafeln beliefern.
Zurück zum Ursprung, dachte sich Hersteller Gyricon bei der Präsentation seines ersten marktreifen Produkts – ins Palo Alto Research Center (Parc) von Xerox. Hier erfand der heutige Gyricon-Forschungschef Nicholas Sheridon 1975 das elektronische Papier: In winzigen Kapseln sind kleine Kügelchen, deren Halbkugeln jeweils unterschiedlich geladen und gefärbt sind. Je nach angelegtem Feld drehen sie ihre weiße oder schwarze Seite zur Oberfläche.
Im Parc präsentierte Gyricon-Chef Brian Lubel nun die erste marktreife Anwendung. Die „SyncroSign“ genannte Anzeigetafel wird ab Januar 2004 zu haben sein und rund 1300 $ kosten. Per Wireless LAN kann der Inhalt der ansonsten starren Tafel verändert werden. Nur für diesen Umschaltvorgang wird Strom verbraucht, den eine kleine Batterie liefert. Einmal geschaltet, bleibt das Bild „für immer“ erhalten, so Gyricon.
Einsatzfelder der Tafeln sind Hotels, Sportstadien, Banken – „ein riesiger Markt“, sagt Lubel. Gegenüber konkurrierenden Displaytechnologien wie LED oder Plasma führt er die besseren Eigenschaften in Sachen Blickwinkel, Energieverbrauch und Produktionskosten ins Feld. Und gegenüber Papier die Veränderbarkeit der Anzeige, zentral gesteuert über Funk.
Konkurrent E-Ink hat mit Anzeigetafeln nur Feldversuche in US-Supermärkten hinter sich. Auf Basis der E-Ink-Displaytechnologie arbeitet aber die deutsche Vossloh AG seit 2002 an neuartigen Anzeigen für Bahnhöfe und Flughäfen. Seit kurzem kooperiert Vossloh dazu auch mit dem Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM.
„Im zweiten Quartal 2004 werden zwei Pilotanzeigen an einem Bahnhof in Berlin installiert“, sagt Werner Malcherek, Geschäftsleiter der Vossloh Information Technologies in Karlsfeld. Ende 2004 soll die Serienproduktion folgen. „Der Energieverbrauch ist konkurrenzlos niedrig“, schildert er einen der Vorzüge. Außerdem könnten die Anzeigen in „technisch unbegrenzter Größe“ produziert werden.
Erstmals auf den Markt wird E-Ink allerdings mit einem anderen Produkt kommen: Mitte 2004 bringt E-Ink-Partner Philips einen „E-Reader“ auf den asiatischen Markt. Das 6-Zoll-Display nutzt wie Gyricon das elektrophoretische Prinzip: In den laut Peter Slikkerveer, Chef-Entwickler im Bereich flexible Displays von Philips Research in Eindhoven, bis zu 50 µm kleinen E-Ink-Kapseln schwimmen elektrisch geladene schwarze und weiße Tonerteilchen.
Die Menge der schwarzen Teilchen an der Oberfläche so zu dosieren, dass Grautöne erscheinen, klappt bislang in zwei Stufen: hell- und dunkelgrau. In Kombination mit Schwarz und Weiß reicht das, um 16 Graustufen darzustellen, sagt Guofu Zhou von Philips Research.
Die Angaben des Forschers zu den anderen Parametern: Auflösung 160 dpi, Lebensdauer ähnlich LCD-Displays „8 Jahre“ und der Batterie „mehrere Monate“, je nachdem, wie viel „geblättert“ wird. Zum Seitenwechsel benötigt das Gerät eine Schaltspannung von 15 V. Eine einmal geladene Seite verwischt mit der Zeit – nach drei Monaten ist aus Weiß Dunkelgrau geworden, doch die schwarze Schrift ist immer noch lesbar.
Noch mehrere Jahre muss der Markt auf farbige E-Ink-Produkte warten. Zwar soll die japanische Firma Toppan Printing, größter Hersteller von Farbfiltern für LCD-Bildschirme, für die Farbigkeit der S/W-Anzeige sorgen – und will dies vor einem Jahr gar geschafft haben.
Auf diese Farbdemonstration angesprochen winkt Zhou ab. Über das Display sei ein Farbfilter gelegt worden, der zwar ein farbiges Bild erzeugt, dafür aber „zwei Drittel des Lichts“ geschluckt habe. Ein Makel bei einem Display, dessen Hintergrund nicht selbst leuchtet, sondern nur mit Umgebungslicht arbeitet.
Als wünschenswert bezeichnet Zhou die „intrinsische Farbigkeit“ – während er seinem E-Ink-Display gerade mal weitere Graustufen versucht beizubringen.
Von „elektronischem Papier“ ist dieser E-Reader auch aus einem anderen Grund weit entfernt: Er ist hart wie zwei Bretter mit einem Scharnier dazwischen. Denn statt zwischen flexiblen Plastikfolien steckt das eigentlich nur 0,3 mm dicke Display zwischen Glasplatten.
Auch elektronisches Papier hat halt zwei Seiten – die Vorderseite für die optischen Effekte, die Rückseite für die elektronische Steuerung der Bildpunkte. Diese „backplane“ ist das Hauptproblem: „Nicht die Displaytechnologie beschränkt die Flexibilität, sondern die Elektronik dahinter“, beschreibt Slikkerveer den aktuellen Forschungsstand.
Eine Aktiv-Matrix, bei der hinter jedem Pixel ein Transistor zur Steuerung sitzt – hinter dem reclambuchgroßen E-Ink-Display steckt eine Aktiv-Matrix mit 480 000 Transistoren – kann derzeit aus vielen Gründen auf dem Trägermaterial Plastik noch nicht hergestellt werden. Gyricon hat inzwischen einen Weg gefunden, auch ohne Transistorrückseite Schrift und Bilder auf sein elektronisches Papier („SmartPaper“) zu bekommen: Ein druckerähnliches Gerät richtet die geladenen Kügelchen aus, wenn das Plastikpapier durchläuft.
Dieser „E-Printer“ befindet sich am PARC derzeit ebenso im Prototypenstadium wie ein um einen Scanner erweitertes Gerät. Das „Wand“ genannte Handgerät scannt Oberflächen mit herkömmlichem Scanverfahren und druckt das Bild anschließend auf E-Papier. Ein Datum für die Markteinführung der Geräte will PARC-Sprecherin Jennifer Ernst aber nicht nennen.THILO GROSSER
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