Zwei von drei Innovationen gehen auf neue Materialentwicklungen zurück
VDI nachrichten, Darmstadt, 19. 9. 08, ber – Treibende Kraft bei der Entwicklung neuartiger Produkte sind fast immer auch werkstoffbasierte Innovationen. Ein Werkstoff allein oder eine einzelne Technologie erfüllen nicht mehr die Anforderungen des Marktes. Künftig werden vielmehr Multimaterialsysteme in zahlreiche Anwendungen drängen. Technologieexperten zeigten vergangene Woche im Rahmen des Fraunhofer-Technologiezirkels in Darmstadt Führungskräften aus der Wirtschaft Trends und Technologien der Werkstoffentwicklung auf.
„Werkstoffe sind einer der großen Innovationsmotoren“, sagte Hanselka. Zwei Drittel aller technologischen Neuerungen seien abhängig von neuen Materialentwicklungen. Ein Beispiel: „Der Erfolg des MP3-Players ist vor allem Chips mit hoher Speicherdichte zu verdanken“, so der LBF-Leiter.
Hanselka nannte zwei Trends der Materialentwicklung: Zum einen steige die Vielfalt der Werkstoffe enorm. Stähle oder Faserverbundwerkstoffe würden heute gezielt für spezielle Einsatzgebiete maßgeschneidert. „Zum Beispiel werden Stähle aus bis zu acht Komponenten gemischt, um widersprüchliche mechanische Materialeigenschaften bis zu einem gewissen Grad zu vereinen“, sagte er.
Der zweite Trend: „Früher verwendete man für alle Teile eines Produktes oft nur einen Werkstoff“, erklärte Hanselka. Heute hingegen benutze man für jede Komponente den am besten geeignete Werkstoff: „Multimaterialsysteme bilden eine Plattform für anwendungsspezifische Innovationen.“
Die neue Materialvielfalt sowie die Werkstoff-Cocktails bereiten Materialforschern aber auch Sorgen. „Aus Zeit- und Kostengründen kann nicht jede mögliche Werkstoffmischung im Labor getestet werden“, betonte Hanselka. Vielmehr müsse man mithilfe von Computersimulationen die Anzahl der Materialtests verringern. Außerdem reiche es heute nicht mehr aus, nur die mechanische Zuverlässigkeit unter die Lupe zu nehmen. „Auch elektronische Komponenten müssen im Sinne der Systemzuverlässigkeit genau geprüft werden“, fordert Hanselka.
Auf ein weiteres Problem, das aus der Materialvielfalt resultiert, machte Dr. Markus Brede vom Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Materialforschung (IFAM) in Bremen aufmerksam: „Neu entwickelte Werkstoffe brauchen neue Techniken zum Kleben, Nieten oder Schweißen, um sie miteinander zu verbinden“, sagte der Leiter der IFAM-Abteilung Werkstoffe und Bauwesen.
Brede befasst sich mit Fügetechniken im Leichtbau von Verkehrsmitteln. Beim Verbinden von Faserverbundwerkstoffen, die sich sehr für den Leichtbau eignen, sei das Kleben dem Nieten vorzuziehen. Brede: „Die Nietlöcher zerschneiden die Fasern.“ Daher müsse das Material zusätzlich verstärkt werden, was die Komponente schwerer mache. Klebstoff könne allerdings nur eingesetzt werden, wenn auch geklebte Reparaturen möglich seien.
Zudem, so Brede, sei das physikalische Verständnis der Wechselwirkung zwischen Klebstoffen und Oberflächen noch lückenhaft. Um die Klebstoffe resistent gegen äußere Einflüsse wie fettige Finger zu machen, müsse noch viel geforscht werden. Dabei orientiert sich das IFAM auch an der Miesmuschel, die sich unter Wasser bombenfest an Bordwänden von Schiffen festkleben. „Der Trick der Muscheln ist eine Vorbehandlung der Oberfläche, die eine stark anziehende atomare Wechselwirkung ermöglicht“, erklärte Brede.
Wie Hersteller die Vielfalt von Faserverbundwerkstoffen flexibel nutzen können, zeigte Frank Henning vom Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie (ICT) in Pfinztal bei Karlsruhe. Er beschrieb eine Anlage, die Langfaserverbundwerkstoffe in einem einstufigen Prozess herstellt und zu Bauteilen wie Stoßfänger, Heckklappen und Ersatzradmulden formt.
Die Technologie hat das ICT mit Dieffenbacher, Hersteller für Presssysteme, entwickelt. Damit können 1,6 Mio. Bauteile pro Jahr erzeugt werden. „Das Mischungsverhältnis von Kunststoff, Glasfasern und chemischen Zusatzstoffen lässt sich frei wählen“, so Henning. Der Nutzer könne den Verbundwerkstoff somit für den jeweiligen Anwendungsfall maßschneidern.
Hersteller von Autokomponenten wie Rücksitzlehnen seien dadurch nicht mehr auf einen Halbzeuglieferanten und dessen eingeschränktes Produkt-Portfolio angewiesen, weiß der Produktbereichsleiter für Polymer-Engineering. Die Werkstoffe zeichneten sich durch eine hohe Schlagzähigkeit bei gleichzeitig hoher Festigkeit und Steifigkeit aus. Henning: „So lässt sich ein Massenkunststoff aus dem Verpackungsbereich wie Polypropylen verstärkt mit Glasfasern in die obere ,Werkstoff-Liga“ bringen.“ C. MEIER
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