„Wir wieseln zwischen den Beinen der Großen herum“
VDI nachrichten, Blankenhain, 18. 4. 08, ps – Mit der Modifizierung von thermoplastischen Kunststoffen hat sich das Thüringer Familienunternehmen Grafe einen Namen gemacht. Ihre Produkte tragen dazu bei, dass Autos auch im Fond optisch wie aus einem Guss wirken, Playmobilfiguren in vielen Farben leuchten oder Pflanzen unter Gewächshausplanen genügend Licht erhalten, ohne dass die Sonne ihnen Schaden zufügt. Fragen an den kaufmännischen Geschäftsführer Matthias Grafe.
Grafe: Zum einen zeigte der Genfer Autosalon viel neue Extravaganz in den Farben. Zum anderen ist Schwarz nicht Schwarz und Anthrazit nicht Anthrazit. Da haben Sie teils deutliche Unterschiede. Auch Designer wollen sich voneinander abheben. Die Farbvielfalt im Auto hat zugenommen. Das begann mit Beige, wovon es heute viele Varianten gibt, nun erleben wir das bei Braun. Der neueste Trend ist Bicolor, unten etwa Dunkelbraun, oben Beige.
VDI nachrichten: Vermutlich erhöht dies auch Ihre Chance als spezialisierter Mittelständler?
Grafe: Das ist so. Nur ein einziger Grauton – das macht natürlich auch die Großchemie. Doch wechselnde Farbenfülle ist etwas für flexible Kleine. Beim Porsche Panamera haben wir heute neun Farben eingestellt.
VDI nachrichten: Wie läuft das konkret ab: Gehen Sie mit Ihren Ideen zum Automobilhersteller?
Grafe: Nein, man kann Designer kaum beeinflussen, auch wenn wir natürlich Vorschläge anbringen. In der Regel kommt der Designer zu uns und bringt eine Ledervorlage mit. Sie enthält seine Farbvorstellungen, und wir sollen sie ihm nun so als Kunststoff abbilden, dass es zu dem Leder passt.
Das ist nicht unproblematisch. Unterschiedliche Werkstoffe haben unterschiedliche Oberflächen. Und Oberfläche bedeutet glatt oder genarbt, was den Farbeindruck beeinflusst. Man nennt das Metamerie. Das müssen wir dann ausgleichen. Ein Auto, das im Showroom eine bestimmte Farbanmutung hat, soll dann auch auf der Straße exakt so wirken. Das hinzubekommen, ist unsere Kunst.
VDI nachrichten: Dazu mischen Sie den Kunststoffen Farbpigmente und Zusatzstoffe zu. Was bewirken die konkret?
Grafe: Wir modifizieren praktisch Kunststoffe. Unser Part besteht darin, thermoplastische Kunststoffteile im Fahrzeug individuell und spezifisch auf die Anforderungen des Herstellers abzustimmen. Das ist eine Wissenschaft für sich.
Nehmen Sie den Sitz eines Audi B8. Für ihn müssen für vier Grundpolymere rund 13 Farben – sogenannte Interior-Trim-Colors – auf über 70 Werkzeugen umgesetzt werden. Da stoßen gängige Methoden an ihre Grenze. Wir haben dafür eine neue digitale Farbmanagement-Plattform entwickelt.
VDI nachrichten: Für welche Marken arbeiten Sie?
Grafe: Mittlerweile für 21 Hersteller weltweit, darunter VW, Audi, Skoda, Bentley, Daimler, Porsche. In den letzten acht Jahren haben wir für unsere Kunden in der Automobilindustrie über 350 Farbtöne in 14 Thermoplastarten abgebildet. Unsere Datenbank für diesen Bereich umfasst 6000 selbst entwickelte Farbrezepturen. Auch die Interior-farben für den neuen Panamera haben wir in Zusammenarbeit mit dem Design von Porsche entwickelt.
VDI nachrichten: Geht es dabei nur um Optik?
Grafe: Es geht ganz klar auch um Funktionalität. Als Masterbatch-Hersteller nehmen wir entscheidend Einfluss auf die spätere Produktqualität. Dies betrifft etwa die Oberfläche, wo wir mit unseren Additiven eine höhere UV- und Thermostabilität oder Kratzfestigkeit erreichen. Auch statische und mechanische Eigenschaften bringen wir über Additive, sogenannte Zusatzstoffe, ein. Ein weiteres Thema ist die Heißlichtalterung: Ein Auto lebt heute im Schnitt 15 Jahre, und so lange müssen auch Farben halten.
VDI nachrichten: Arbeiten Sie vor allem für die Automobilbranche?
Grafe: Nein, sie steuert rund ein Viertel unseres Umsatzes bei. Sie ist aber unser größter Abnehmer. Was uns am Automobilbau besonders reizt, ist die hohe Innovationsfreudigkeit. Denn das trifft sich mit unserem kreativen Anspruch. Wir suchen uns nur Geschäftsfelder, auf denen Innovation gefragt ist. 90 % unseres Automobilumsatzes entfallen dabei auf deutsche Hersteller. Die haben den gleichen Qualitätsanspruch wie wir. Für einen deutschen Automobilbauer ist der Farbeindruck ein sehr wichtiges Element. Wenn Sie im Wagen sitzen, müssen sie von Tür zu Tür stets dieselbe farbliche Anmutung haben, trotz verschiedener Werkstoffe, verschiedener Materialien.
VDI nachrichten: In welchen Branchen sind Sie noch aktiv?
Grafe: Fast querbeet, wo Kunststoff zum Einsatz kommt: Spielzeugindustrie, Bau, Textilbranche, Möbelindustrie, Landwirtschaft. Das macht uns unabhängig von bestimmten Anwendungen und eröffnet zugleich stetig neue Experimentierfelder. Im Moment betrachtet man Farben und Pigmente fast nur unter optischem Aspekt. Man ahnt gar nicht, was Kunststoffprodukte, die durch Additive modifiziert werden, alles auch mechanisch, physikalisch oder chemisch bewirken können.
VDI nachrichten: Plaudern Sie doch mal ein bisschen aus Ihrer Zauberküche!
Grafe: Wir entwickeln zum Beispiel brillant nachleuchtende Farbtöne. Oder wir erreichen, dass der Innenraum neuer Autos nicht mehr so lange nach Plastik riecht, und Textilien bei bestimmten Temperaturen oder Lichteinwirkungen ihre Farbe ändern. Wir machen Kunststoff UV-stabil oder auch biologisch abbaubar.
Kürzlich bekamen wir den Innovationspreis des Landes Thüringen für ein Additiv für Gewächshausfolien. Es beeinflusst das Wachstum der Pflanzen: Die Ernte lässt sich verfrühen, die Erträge steigen, der Pilzbefall wird gehemmt – alles ohne chemische Behandlung.
VDI nachrichten: Und wie geht das?
Grafe: Die Folien enthalten eine Substanz, die UV-Licht umwandelt in blaues Licht. Denn Pflanzen brauchen zum Wachsen kein UV-Licht, sie brauchen sichtbares Licht. Gibt es davon mehr im Gewächshaus, gedeihen sie auch besser. Diese Idee kam uns vor Jahren. Wir haben dazu geforscht, Partner gesucht und testen sie nun im großen Stil in Spanien. Dann geht es in den Verkauf.
VDI nachrichten: Wie stark ist Ihr Forschungsbereich?
Grafe: Von unseren 230 Mitarbeitern ist ein Drittel in der Entwicklung tätig. Sie kreieren im Jahr knapp 8000 Farbrezepturen. Denn unsere Farben sind nicht vergleichbar mit einem Lack im Baumarkt. Kunststoff wird größtenteils durchgefärbt. Damit ist auch die milchige Eigenfarbe des Naturpolymers Bestandteil der Rezeptur, was es sehr aufwändig macht. Hinzu kommen bestimmte Kriterien, etwa Farbpigmente für die Spielzeugwarenindustrie, für die Spezialnormen gelten.
VDI nachrichten: Welche Rolle spielt der Preis in Ihrem Geschäft?
Grafe: Qualität wird bezahlt! Wir wollten nie die Billigsten sein, um Erfolg zu haben. Wir meinen, wir müssen die Besten sein. Langfristig setzt sich immer das Gute durch. Und mit dieser Philosophie sind wir wettbewerbsfähig. Reine Preiskäufer bedienen wir eigentlich gar nicht.
VDI nachrichten: Immerhin weisen Sie hohe Steigerungsraten aus. Wächst Ihre Branche so stark?
Grafe: Kunststoff als Werkstoff ist schon eine Erfolgsstory. Und er steht heute erst da, wo der Stahl in den 1930er-Jahren stand. Es gibt ständig neue Anwendungen, so dass die Wachstumsraten der Branche bei 3 % liegen. Wir wachsen dagegen um 15 % bis 20 %. Denn wir sind eines der modernsten Unternehmen in der Branche, wir sind gut und eben innovativ. Wir wollen stets der Technologieführer sein. Das ist unser Erfolgsgeheimnis.
VDI nachrichten: Wie wollen Sie weiter wachsen?
Grafe: Wir wollen unser Tempo beibehalten und vor allem hier am Standort Thüringen organisch wachsen. Aber es wird schwerer, man unterschätzt uns nicht mehr. Im Farbmasterbatch-Bereich sind wir die Nr. 2 in Deutschland, in Europa rangieren wir im obersten Zehntel der Branche. Doch es gibt eine optimale Betriebsgröße, die ich bei 300 Leuten sehe. Danach wird es langsam gefährlich für unser Geschäftsmodell als Flexibler, der zwischen den Beinen der Großen herumwieselt¿
VDI nachrichten: Also planen Sie neue Standorte?
Grafe: Möglich ist alles, auch durch Akquisition, aber in Planung noch nichts. Unsere Zukunft als deutscher Mittelständler sehe ich maßgeblich in Osteuropa, in Russland. Dort wartet ein Wahnsinnsmarkt. Unser größter Exportmarkt ist heute schon Polen, wo wir eine Vertriebsniederlassung haben. Russland wird folgen.
VDI nachrichten: Produzieren Sie eines Tages auch in Osteuropa?
Grafe: Nein. Denn wir leben von unserem Know-how, nicht von einer billigen Produktion. Und unser Know-how würde ich ungern ins Ausland geben. Wir sind eigentlich Dienstleister. Ich habe keinen Katalog, den ich ausbreite. Ich brauche Vertriebsingenieure, die zum Kunden gehen, ihn fragen, wo er ein Problem hat, dies dann auch verstehen und ihm eine Lösung maßschneidern. HARALD LACHMANN
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