Windkraft sorgt für Hochdruck beim Guss
VDI nachrichten, Hannover, 11. 4. 08, Si – Die deutsche Gießereibranche erlebt momentan einen konjunkturellen Höhenflug. Der Auftragsbestand wuchs im vergangenen Jahr um knapp 30 %. Er bringt viele Unternehmen derzeit an die Kapazitätsgrenze. Und dieser Wachstumstrend setzt sich in den nächsten Jahren fort, wie Kay-Uwe Präfke, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Gießereiverbands, im Vorfeld der Hannover Messe 2008 gegenüber den VDI nachrichten erklärte.
Insgesamt erwartet der Verbandsfunktionär für seine Branche in den kommenden zehn Jahren ein jährliches Wachstum von durchschnittlich 3 %. Im vergangenen Jahr war die Produktion um 5,9 % auf knapp 4,8 Mio. t gestiegen und der Umsatz auf knapp 7,9 Mrd. € (+ 8,3 %) geklettert. Besonders rasant wuchs dabei der Auftragsbestand – er lag im Dezember 2007 bei mehr als 2 Mio. t und damit um 28,5 % höher als ein Jahr zuvor. „Die Branche hätte noch mehr Umsatz machen können, wenn sie die Kapazitäten dafür gehabt hätte. Doch wer heute ein größeres Gussprodukt bestellt, der muss nicht selten mehr als ein halbes Jahr darauf warten“, so Präfke.
Ein wichtiger Wachstumstreiber für die Branche ist die Windenergienutzung, bei der die deutschen Gießer international wichtige Lieferanten der Anlagenbauer sind. „Im Bereich Windkraftanlagen werden die Rekorde in Deutschland gegossen“, sagte Martin Rölke, Referatsleiter Rohstoffe, Energie und Logistik im DGV und Koordinator des Gemeinschaftsstandes „Gegossene Technik“ in Halle 3 der Hannover Messe.
Rekordverdächtig ist beispielsweise der Nabenadapter, den die Meuselwitz Guss Eisengießerei, Meuselwitz, auf dem Stand D49 in Halle 3 präsentieren wird. Der Adapter ist Teil des neuen 6-MW-Windradriesen des Herstellers Enercon, Aurich. Seit November 2007 dreht sich laut Werner Sonntag, Ingenieur bei Meuselwitz, in der Nähe von Emden der Prototyp. Er soll mit einer Nabenhöhe von 135 m und einem Rotordurchmesser von 127 m die derzeit leistungsstärkste Windenergieanlage der Welt sein und rund 20 Mio. kWh elektrischen Strom aus erneuerbarer Energie in das deutsche Netz einspeisen.
Mit Hilfe des in Hannover ausgestellten Nabenadapters werden nach den Angaben von Sonntag die drei riesigen Rotorblätter drehbar an der Nabe befestigt. Die Adapter müssen die enormen Windkräfte, die über den rund 60 m langen Hebelarm der Rotorblätter einwirken, sicher übertragen. „Aufgrund der hohen Belastungen und der Notwendigkeit einer kraftflussgerechten Formgestaltung kommt für die Herstellung ausschließlich das Gießverfahren in Frage. Nur so ist es möglich, Geometrie und Wanddickenverläufe des Bauteils exakt den auftretenden Beanspruchungen anzupassen“, erklärte der Gussexperte.
Das ausgestellte Bauteil ist aus hoch belastbarem, kaltzähem Gusseisen mit Kugelgraphit (EN-GJS-400-18-U-LT) hergestellt und wiegt etwa 13 t. Dabei müssen laut Sonntag für die gießtechnische Herstellung in der Gießerei selber noch wesentlich größere Gewichte bewegt werden. Für die Form, die aus insgesamt vier Kästen mit Außenabmessungen von 4500 mm x 4500 mm x 1990 mm besteht, werden rund 62 t an Formstoff sowie weitere 30 t Kernformstoff benötigt. Mit Gusseisen gefüllt bringe die Form letztlich 150 t auf die Waage.
Sonntag: „Für das laufende Geschäftsjahr sind wir komplett ausgelastet. Wir werden deshalb in den kommenden zwei Jahren etwa 19 Mio. € in den Aufbau neuer Kapazitäten investieren und wollen den Umsatz von derzeit 76 Mio. € auf 96 Mio. € steigern. Dabei sehen wir die Zulieferteile für Windenergieanlagen, die etwa 70 % unseres Produktionsvolumens ausmachen, als absolute Wachstumstreiber für unser Geschäft.“
Einen ausschlaggebenden Grund dafür, dass bei Windkraftanlagen international vor allem Qualitätsgussteile „made in Germany“ gefragt sind, sieht Johannes Heger, Leiter von Hegerguss, Enkenbach-Alsenborn. in der geforderten hohen Materialqualität: „Das Windrad muss unter allen klimatischen Bedingungen und unter starken Windbelastungen reibungslos funktionieren. Dafür wird ein Gusseisen gebraucht, das höchsten metallurgischen Anforderungen entspricht.“ Dies wiederum erfordere höchste Reinheit beim Einsatz von Schrott. „Deutsche Gießereien haben Zugriff auf entsprechend saubere Rohmaterialien“, argumentierte Heger. Ein weiterer Vorteil sei die enge Zusammenarbeit mit den Hochschulen. Der Technologietransfer liefere das Know-how, mit dem sich die hohen schmelztechnischen Anforderungen bei der Herstellung von Windkraftkomponenten umsetzen ließen.
Der Unternehmensumsatz mit Teilen für Windkraftanlagen ist laut Heger in den vergangenen Jahren konstant im soliden zweistelligen Bereich auf inzwischen 25 Mio. €/a gewachsen. Diesen Trend prognostiziert der Firmenchef auch für die kommenden Jahre, weshalb er die Gießkapazität seines Unternehmens umfangreich aufstocken wird. ROLF MÜLLER-WONDORF/Si
DGV-Referatsleiter Martin Rölke: „Rekorde werden in Deutschland gegossen“
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