„Notorische Überalterung“ erfordert unverbrauchte Kräfte
VDI nachrichten, Ludwigsburg, 16. 5. 08, ws – In der Rohstoffindustrie ist der Mangel an Ingenieuren und Technikern besonders augenfällig. Beste Beispiele sind die Braunkohle-Industrie sowie Kali- und Steinsalzbergbau. Viele Betriebe suchen nach akademisch ausgebildeten Fachkräften. Meist vergeblich.
Die Tatsache, dass im subventionierten Steinkohlebergbau Arbeitsplätze verloren gehen, verstellt den Blick auf andere Entwicklungen: Die Rohstoffindustrie bietet Nachwuchskräften und Hochschulabsolventen beste Chancen. Der Bergbau hatte Ende 2006 über 84 000 Beschäftigte, so das Bundeswirtschaftsministerium. Die Braunkohle-Industrie bietet über 23 000 Beschäftigten Jobs, Kali- und Steinsalzbergbau wachsen.
Zwar gibt es keine offiziellen Zahlen, wie viele Stellen in der Rohstoffindustrie unbesetzt sind. Die Unternehmen melden ihre Stellenangebote in der Regel nicht bei der Bundesagentur Arbeit und suchen ihre Bewerber auch nicht über Stellenbörsen im Internet. „In Westeuropa, USA, Australien und Südafrika zusammen werden gegenwärtig jedes Jahr zwischen 200 und 300 vakante Stellen für Bergbauingenieure nicht besetzt“, weiß Heinz Norbert Schächter, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung Rohstoffe und Bergbau.
„Wegen des Booms der Rohstoffindustrie könnten wir gegenwärtig 60 bis 70 Abgänger unseres Studiengangs unterbringen“, sagt Carsten Drebenstedt, Professor an der TU Bergakademie Freiberg. Aber nur zehn Absolventen jedes Jahr bringt der Freiberger Studiengang auf den Arbeitsmarkt.
Gerade im Osten Deutschlands fehle eine ganze Generation von Fachkräften, meint Drebenstedt. Dort seien die Betriebe „notorisch überaltert“. „Jeder Betrieb in der Branche sucht händeringend qualifizierte Fachkräfte“, bestätigt Josef Bach vom Oberbergamt Freiberg, der Bergbehörde für Sachsen. In ganz Deutschland wetteifern die Betriebe mit attraktiven Verträgen um die wenigen Nachwuchskräfte.
„Die Einstiegsgehälter unserer Absolventen sind verlockend“, sagt Carsten Drebenstedt. Das Schwarze Brett an seiner Fakultät ist gespickt mit Stellenangeboten für künftige Bergbau-Ingenieure. „Trotz eines Jahresgehalts von 100 000 € für junge Bergbau-Ingenieure finden Bergwerke und andere Unternehmen keine Ingenieure.“
Da berufserfahrene Bergbau-Ingenieure auf dem Arbeitsmarkt erst recht nicht zu finden sind, konzentriert sich Franz-Xaver Spachtholz, Referatsleiter im Funktionsbereich Bergbau der weltweit führenden Kali und Salz K+S Aktiengesellschaft in Kassel, bei der Personalsuche auf Hochschulabgänger.
Das Anforderungsprofil für Ingenieure verlangt auch soziale Kompetenzen. Unter diesem Aspekt sucht die RWE Power AG in Köln Bergbau-Ingenieure für den Tagebau Braunkohle. „Sie sollen Verantwortliche bei den Behörden für Genehmigungsverfahren der Projekte begeistern“, so Tagebaudirektor Arthur Oster.
Auch für Auslandstätigkeiten – vor allem in Indonesien, Türkei, Indien – sucht Oster Ingenieure. Bergbau-Ingenieure stellt auch die Mitteldeutsche Braunkohlegesellschaft Mibrag mbH in Theißen bei Leipzig ein.
Selbst Bergaufsichtsbehörden der Bundesländer können nur mit großer Mühe ihre Planstellen besetzen. So suchen die Regierungspräsidien in Kassel, Giessen und Darmstadt für die Hessische Bergverwaltung Hochschulabsolventen für Referendarstellen. Da sich bei der ersten Ausschreibung nur wenige Bewerber meldeten, wurden die Stellen neu ausgeschrieben.
Studiengänge für den Bergbau haben die Technischen Universitäten in Clausthal und Freiberg sowie die Technische Hochschule Aachen eingerichtet. Die TU Freiberg bietet am Studiengang Geotechnik und Bergbau eine Spezialisierung, die sich auch mit Aspekten der Rohstoffgewinnung beschäftigt, etwa der Öl- und Gasgewinnung, sowie mit der Standfestigkeit des Gebirges und dem Entsorgungsbergbau. Die Studienrichtung Spezialtiefbau in Freiberg behandelt den Untergrund der Bauwerke. Eine zweijährige Weiterbildung der Rohstoffversorgungstechnik mit einem Master-Abschluss offeriert die Universität Clausthal für Beschäftigte in der Rohstoffwirtschaft.
GUNTER IRMLER
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