Neue Kunststoffe in der Medizin
Auf der Suche nach besonders bioverträglichen Materialien etwa für den Einsatz als Implantate müssen Ärzte, Biologen, Chemiker und Werkstoffwissenschaftler eng zusammenarbeiten. Sie trafen sich jetzt in Tutzing zu einem Erfahrungsaustausch.
Drei Uhr nachmittags im Krankenhaus. Der Besucher betritt das Krankenzimmer, ihn befällt beim Anblick der Plastikwelt der Apparate, Kanülen und Schläuche ein beklemmendes Gefühl. Doch trotz des wenig einladenden Anblicks sind die Produkte aus Kunststoff unersetzlich in der modernen Medizin. Und die Forschung auf diesem Gebiet steht nicht still. Neue Materialien für Implantate, Arzneimittelträger und vieles andere bieten dem Patienten ganz neue Perspektiven.
Die Erforschung neuer Kunststoffmaterialien für medizinische Anwendungen erfordert die Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen in besonderem Maße. Werkstoffwissenschaftler, Polymerchemiker, Biologen und Mediziner müssen ihr Wissen zusammentragen, um einen kostengünstigen, bioverträglichen Kunststoff zu entwickeln, der die geforderten medizinischen Funktionen erfüllt. Entsprechend vielfältig war deshalb jetzt die Teilnehmerliste eines internationalen Symposions der Dechema zum Thema „Polymere in der Medizin“: Vertreter aller genannten Disziplinen aus Forschung und Wirtschaft fanden sich in Tutzing zusammen, um ihre Erfahrungen und Ergebnisse auszutauschen.
Ein Schwerpunkt galt dort den Eigenschaften der sogenannten biokompatiblen Werkstoffe. Man unterscheidet Oberflächeneigenschaften, die die Interaktionen zwischen Kunststoff und körpereigenem Gewebe oder Blut bestimmen, und strukturelle Eigenschaften wie etwa die mechanische Belastbarkeit.
Ein Beispiel dafür ist die hohe mechanische Beanspruchung künstlicher Hüftgelenke. Die heute verwendeten Gelenke sind in dieser Beziehung noch unzureichend. Silvio Schaffner von der Sulzer Orthopedic Ltd. stellte in Tutzing ein neues Verfahren vor, mit dem der Kunststoff Polyethylen, genauer das „Ultra High Molecular Weight Polyethylen“, sehr viel stabiler wird und außerdem weniger schnell altert. Das Sterilisationsverfahren arbeitet mit Gamma-Strahlung unter Stickstoff statt unter Luft und verhindert so die Bildung von Radikalen und von Oxidationsprodukten im Kunststoff.
Dagegen setzt Prof. Dr. Erich Wintermantel, Inhaber des Lehrstuhls für Biokompatible Materialien und Bauweisen an der ETH Zürich, für die Fertigung von Hüftgelenken auf anisotrope, faserverstärkte Verbundmaterialien, die sich den mechanischen Eigenschaften des Knochens angleichen lassen. Gute Ergebnisse erzielten er und seine Kollegen mit einer Matrix aus Kohlenstoffasern und Polyetheretherketon (PEEK).
Synthetische Polymere sind für den lebenden Organismus Fremdstoffe. Die Kunststoffoberflächen müssen deshalb so beschaffen sein, daß sie mit dem biologischen System des Körpers interagieren und genau dieselben Reaktionen hervorrufen wie körpereigenes Gewebe. Die Immunabwehr des Körpers muß regelrecht überlistet werden, damit sie den Kunststoff nicht als Fremdkörper erkennt und angreift.
In Verbindung mit bioaktiven Substanzen können Kunststoffe erwünschte Reaktionen forcieren oder unerwünschte unterdrücken. Mit neuen Technologien lassen sich die Kunststoffoberflächen den Anforderungen entsprechend gestalten: Sie wirken dann bakterienabweisend, verhindern die Bildung von Blutgerinnseln oder sind besonders gleitfähig. Die Bindung von Hirudin an die Oberfläche von Kunststoffen zum Beispiel verhindert die Blutgerinnung und damit die an Implantaten oft auftretende Thrombose.
Biodegradierbare Kunststoffe, also biologisch abbaubare Polymere, sind meist aus langen Molekülketten aufgebaut, deren chemische Bindungen durch Wasser gespalten werden können. Da der menschliche Körper zu einem großen Teil aus Wasser besteht, lösen sich chirurgisches Nähgarn oder Implantate wie etwa Knochenschrauben aus diesem Material im Körper nach einiger Zeit einfach auf. Grundbausteine der langen Moleküle sind vor allem Milchsäure, die auch im menschlichen Körper immer vorkommt, und wasserlösliche Glykolsäure, die leicht über die Niere ausgeschieden wird. Der Patient muß sich so keiner zweiten Operation unterziehen, um das Implantat entfernen zu lassen.
Allein in Deutschland werden jährlich 210 000 solcher Operationen durchgeführt. Die Biodegradables haben also ein großes Nutzungspotential. Bis zum großflächigen Einsatz in der Medizin müssen die abbaubaren Kunststoffe jedoch noch in einigen Punkten verbessert werden: Ihre Stabilität ist nicht so hoch wie die der klassischen Metallimplantate, weshalb sie bei Brüchen stark belasteter Knochen nicht eingesetzt werden können. Die beim Abbau entstehenden Säuren senken zudem den pH-Wert des umliegenden Gewebes stark ab und können so Entzündungen auslösen.
Während die Medizinforschung hier noch an Problemlösungen arbeitet, denken einige Forscher auch über alternative Einsatzmöglichkeiten der Biopolymere nach: Sie könnten als Ausgangsbasis für Konsumgüter oder als Verpackungsmaterial einen Beitrag zur Verkleinerung unserer Müllberge leisten.
CLAUDIA RINCK/ber
Für die Entwicklung künstlicher Organe müssen Werkstoffe sorgfältig danach ausgewählt werden, daß sie nach der Transplantation nicht vom Immunsystem als Fremdkörper erkannt und abgestoßen werden. Neue bioverträgliche Polymere erweisen sich als besonders vielfältig: In Verbindung mit bioaktiven Substanzen sind sie bakterienabweisend oder verhindern die Bildung von Blutgerinnseln.
Ein Beitrag von: