Mit der Zahl der Kumpel sinktdie Akzeptanz für die Steinkohle
EU-Kommissions-Chef Prodi plant, die Subventionen für alle fossilen Brennstoffe in Europa ab 2010 auslaufen zu lassen. Zudem trifft die Steinkohle auch in ihrer Heimat auf zunehmenden Widerstand.
Mit der Zahl der Bergleute schwindet auch die Akzeptanz für den Bergbau in der Bevölkerung. Die Nordwanderung im Ruhrgebiet, also der Kohleabbau in Richtung der beschaulichen Städtchen Dinslaken, Vörde und Rheinberg auf Osnabrück zu, wird von den Kommunalparlamenten abgelehnt. Im Saarland stand sogar eine Zeche per Gerichtsbeschluss für einige Tage still.
Graf von Kanitz war in den 80-er Jahren ein seltsamer Einzelkämpfer: Der Herr des Schlosses Cappenberg bei Lünen kämpfte dagegen, dass rund 1000 m unter den historischen Gemäuern Kohle abgebaut werden sollte. Schloss Cappenberg – so fürchtete er – würde zu Cappental, wenn das Gelände sich erst gesenkt hätte. Risse in den meterdicken Wänden der ehrwürdigen Burg würden sich einstellen, unwiederbringliche Architektur würde zerstört.
Bis zum Bundesgerichtshof (BGH) führte die Klage des Grafen gegen die Ruhrkohle AG (RAG/Essen). Dann machte die aktuelle Entwicklung das Verfahren überflüssig. Die RAG stoppte mangels Nachfrage die Kohleförderung unter Schloss Cappenberg.
Das Vorbild des Grafen macht jetzt in anderen Kohleförder-Gebieten Schule. Wenn die Brüsseler Bürokraten sich durchsetzen, könnten sich die Bürgerproteste gegen die Schachtanlage Walsum bei Vörde und im Saarland ebenso wie in Cappenberg erledigen – gemeinsam mit dem Bergbau.
Doch ein Ende der hoch defizitären Kohleförderung in Deutschland darf nicht sein. Kaum kamen erste Ankündigungen aus Brüssel, als sich schon die bewährten Seilschaften an Ruhr und Saar formierten. NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement sieht eine „ausgesprochen ernste Lage“ für den Bergbau. Die Brüsseler Pläne seien ein „Eingriff in die nationalen Hoheitsrechte“, erklärte der gelernte Jurist und Landesvater wider besseres Wissen.
Eine Absenkung der deutschen Steinkohle-Förderung auf 10 Mio. t im Jahr sei „ein Auslauf-Bergbau, der sozial nicht mehr beherrschbar wäre“. Betriebsbedingte Kündigungen wären dann nicht mehr zu vermeiden, Deutschland würde um ein Stück Sicherheit bei der Energieversorgung gebracht. Nach den bisherigen Planungen sollen im Jahr 2005 immerhin noch 26 Mio. t von der Deutschen Steinkohle AG (DSK AG/Herne) gefördert werden.
Doch das riesige Kohleangebot am Weltmarkt, zu Preisen, die an Ruhr und Saar niemals erreicht werden können, lassen die Argumente von Clement, der RAG und der Kohlefreunde immer weiter ins Leere laufen. Unter 100 DM kostet die Tonne US-Steinkohle, wenn sie um die halbe Welt gefahren und frei Hafen in Stuttgart angelandet wird. Mindestens 220 DM werden je Tonne fällig, wenn sie aus deutschen Lagerstätten gefördert wird. Dazu beschert der Bergbau der Bevölkerung erhebliche Beeinträchtigungen ihrer Lebensqualität.
1990 standen noch 100 000 Kumpel auf der Lohnliste der RAG. Jetzt sind es nur noch knapp 50 000, obwohl die Schachtanlagen an der Saar sowie die Zeche in Ibbenbüren der RAG zugeschlagen wurden. 2005 schließlich werden noch ganze 36 000 Mann „vor Kohle“ sein – oder aber in den Über-Tage-Betrieben und Verwaltungen.
Als Vater und Großvater noch „auf dem Pütt“ arbeiteten, war es normal, dass bisweilen ein Ruck durch das Haus ging, weil der Berg sich setzte: Erdmassen sackten an den Stellen nach, an denen Kohle abgebaut wurde. Bäche flossen plötzlich in umgekehrter Richtung, Rohrbrüche waren an der Tagesordnung, Kaffeetassen und Aquarien konnten nur zu drei Viertel gefüllt werden, weil sie in Schieflage standen. Millionen wurden für die Beseitigung der Bergschäden ausgegeben.
Doch jetzt wurden schnell 6000 Einsprüche gesammelt, als die Deutsche Steinkohle (DSK) den Rahmenbetriebsplan für die Kohleförderung der Zeche Walsum vorlegte. In Voerde, der Stadt, die als nächste von Bergschäden betroffen war, lehnten im Rat 39 von 41 Vertretern den weiteren Abbau von Kohle ab. Damit sind 3000 Arbeitsplätze auf dem „Pütt“ gefährdet. Ein betagter Rentner bekam vor dem Saar-Verwaltungsgericht Recht, als er die Fördertätigkeit der Grube Ensdorf unter seinem Haus in Lebach-Falscheid beklagte. 3000 Bergleute konnten nicht einfahren und mussten einige Tage kurzarbeiten, bis in einer Eilentscheidung das Oberverwaltungsgericht die Förderung wieder zuließ – allerdings unter Auflagen. Selbst der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU) spricht inzwischen von einem „Auslaufbergbau“ an der Saar. Für seinen sozialdemokratischen Ministerpräsident-Kollegen Clement aus Düsseldorf ist der Begriff Auslaufbergbau – „wer immer ihn benutzt“ – nicht akzeptabel. Clement beharrt auf der Formel, dass ein nationaler Energiesockel von 15 % des Energieeinsatzes aus heimischer Produktion erhalten bleiben muss. Clement sieht sich da auf einer Linie mit der Energie-Kommissarin De Palacio, die nebenher auch Interessen der Kohle-Förderer aus ihrer spanischen Heimat vertritt.
Das Ringen um die Milliarden schweren Subventionen findet im Vorfeld der Neuverhandlungen des EG-Kohle- und -Stahl-Vertrags (EGKS) statt. Dieser ist seit 50 Jahren gültige Rechtsbasis für die deutsche Kohlepolitik. Dass in dieser Lage die Kohle an Akzeptanz in ihrer „Heimat“ verliert, schwächt ihre Verhandlungsposition.
Darüber hinaus macht ihr eine weitere Entwicklung das Leben schwer: Wenn Clement einen 15-%-Sockel aus heimischer Energie einfordert, so stammt diese zunehmend nicht aus Steinkohle, sondern aus regenerativen Quellen wie dem Ausbau der Windenergie. In Schleswig-Holstein beispielsweise wurde im vergangenen Jahr bereits 17 % des Stroms aus Wind erzeugt. MARTIN ROTHENBERG
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