Keramik bremst Grauguss aus
Faserverstärkte Keramik gilt als optimaler Werkstoff für Bremsscheiben. DaimlerChrysler bietet weltweit als erster Hersteller im Mercedes-Benz CL 55 AMG F1 derartige SiC-Bremsscheiben an. Die noch sehr teuren Scheiben sind extrem belastbar, kennen weder Fading noch Kalt- bzw. Heißrubbeln und eliminieren auch das Bremsenquietschen.
Bei der Erfindung des Automobils waren Radbremsen noch unbekannt. Sie wurden erst eingeführt, nachdem die Fahrzeuge schwerer und schneller geworden waren. Zunächst bremste man lediglich die Hinterräder, dann zogen Bremstrommeln auch in die Vorderräder ein. Der Übergang von der mechanisch zur hydraulisch betätigten Radbremse im Jahr 1930 war der erste große Sprung in der Entwicklung der Bremstechnik. Der nächste war die Scheibenbremse, die etwa ab 1960 nach und nach von allen Automobilherstellern akzeptiert wurde.
Jetzt beginnt das Zeitalter der Bremsscheiben aus Faserkeramik. DaimlerChrysler rüstet als erster Hersteller der Welt 55 Mercedes-Benz CL 55 AMG „F1 Limited Edition“ mit den Hightech-Bremsscheiben aus. Porsche will dem Vernehmen nach in Kürze mit einer eigenen Entwicklung folgen.
Dass die Bremsscheiben aus Grauguss (GG) bei schnellen Wagen an ihre Grenzen gestoßen sind, beklagen die Porsche-Ingenieure schon lange. Für den Rennsport wurden auch schon Bremsscheiben aus Kohlefaser-verstärktem Kohlenstoff entwickelt, die sich vor allem durch extreme Temperaturstabilität auszeichnen. Wegen der langen Prozesszeiten sind sie jedoch sehr teuer. Neben hohem Verschleiß gibt es weitere Nachteile, die sie für Serienfahrzeuge ungeeignet machen. Die Forscher von DaimlerChrysler entwickelten darum ein eigenes Verfahren zur Herstellung von Bremsscheiben aus -Kohlenfaser-verstärkter SiC-Keramik.
Die grundsätzliche Möglichkeit, Keramik durch Fasern aus Kohlenstoff zu verstärken, ist etwa seit 1984 bekannt. Es fehlten jedoch Verfahren zur Herstellung von Bauteilen in größeren Stückzahlen. Unabhängig voneinander entwickelten DaimlerChrysler und die Deutsche Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt (DLR ) solche Verfahren. Die DLR hatte allerdings zunächst an die Verwendung in Flugzeugen gedacht, jedoch schon bald Kontakt auch mit Porsche aufgenommen. Dabei geht es in erster Linie um die Eignung in Sportwagen.
DaimlerChrysler hingegen entwickelte ein Verfahren, mit dem sich größere Stückzahlen relativ preiswert herstellen lassen. Es läuft in vier Schritten ab: Im ersten Schritt werden Kohlenstoff-Kurzfasern sowie ein Pulver aus Kohlenstoff und Kohlenstoffharz zu einer pressfähigen Masse gemischt im zweiten wird sie warm zur gewünschten Struktur gepresst im dritten zu einem porösen Gebilde karbonisiert (bei 900 °C bis 1100 °C wird das Harz in Kohlenstoff umgewandelt, die thermische Zersetzung lässt gasförmige Bestandteile entweichen – es entsteht eine Art offenporiger Schaum) im letzten Schritt saugt der offenporige Schaum flüssiges Silizium (Si) wie ein Schwamm auf.
Die Silizierung erfolgt zwischen 1500 °C und 1650 °C. Sie ist besonders kritisch, weil das Si nur mit dem Matrix-Kohlenstoff zur SiC reagieren soll, und die Kohlenstofffasern nicht von der Umwandlung erfasst werden dürfen. Vom Silizium reagieren nur wenige Prozent nicht, so dass die fertige Scheibe im wesentlichen aus SiC-Keramik und Kohlenstofffasern besteht. Die Porosität der fertig gestellten Bremsscheibe beträgt nur noch etwa 2 %.
Während GG-Bremsscheiben in der Regel zwischen 80 000 km und 120 000 km gewechselt werden müssen, halten solche aus Keramik etwa zehn Mal so lange. Da sie auch bei extremer Temperaturbelastung keine Eigenschaftsänderungen aufweisen, ändert sich auch der Reibwert nicht. Die Keramik-Bremsscheiben sind thermisch wesentlich höher belastbar (Bergabfahrt mit beladenem Wagen plus Anhänger) und kennen weder Fading noch Kalt- bzw. Heißrubbeln. Wegen der etwa zehn Mal höheren Eigendämpfung der Faserkeramik gegenüber GG gibt es auch kein Bremsenquietschen.
Bremsscheiben aus Keramik sind Leichtgewichte. Sie wiegen 60 % bis 70 % weniger als ihre Pendants aus Grauguss, so dass die ungefederten Massen schrumpfen und der Wagen wesentlich agiler auf Lenkkommandos reagiert – und das bei verbesserter Bodenhaftung der Räder. Korrosion kennt die Faserkeramik nicht, Kühlkanäle können nicht durch Rost verstopfen. Derzeit erreichen die für die Keramik-Scheiben entwickelten Bremsbeläge gegenüber den bisherigen etwa die doppelte Lebensdauer.
Keine andere Entwicklung kann hinsichtlich des Standes der Technik eine solche Fülle von Pluspunkten vorweisen. Ihr einziger Nachteil ist zur Zeit noch der exorbitant hohe Preis, da zur aufwendigen Produktion auch die Werkstoffprüfung bis hin zum Röntgen jeder Scheibe gehört.
Mit Beginn der Serienfertigung, die -derzeit in einem Mercedes-Benz-Betrieb in Esslingen aufgebaut wird, beträgt der Preis einer Keramik-Bremsscheibe etwa das -Zehnfache einer aus Grauguss. Die Ingenieure rechnen jedoch damit, dass der Preis mit Zunahme der Stückzahl rasch sinken wird, und hoffen, eines Tages dem Niveau der GG-Scheiben nahe zu kommen. Ohne -jeden Zweifel gehört den Keramik-Bremsscheiben die Zukunft. Sie dürften in etwa fünf Jahren in den Spitzenwagen zu-mindest der deutschen Pkw-Hersteller zu finden sein und sich spätestens in zehn -Jahren bis zur Mittelklasse vorgearbeitet -haben. CHRISTIAN BARTSCH/WOP
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