Kohle 27.11.1998, 17:20 Uhr

„Im Jahre 2002 sindwir garantiert am Netz“

Gut 20 Mrd. DM will RWE-Energie in die Modernisierung seiner Braunkohlekraftwerke stecken – wenn Garzweiler II genehmigt wird. Doch in Niederaußem wird schon seit August an einem neuen Kraftwerk gebaut – ob es sich je rentiert, ist offen.

Rolf Bauer macht es sich bequem, rückt seinen Stuhl zurecht und schaut sich zufrieden um. Sein Büro ist klein, eine typische Containerbehausung, ein Provisorium auf Zeit, wie man sie von Großbaustellen kennt: Schreibtisch, Computer, Telefon, Ablagen, Unterschriftenmappe und natürlich zwei Fotos von seinem letzten Job. „Kraftwerk Schwarze Pumpe“, erinnert sich der Maschinenbauingenieur und lächelt.
Doch das ist Vergangenheit – die Zukunft kann Bauer vom Fenster seines Containers aus sehen: aufgerissene Erde, Röhren, Stahlskelette, eine der größten Baustellen der Republik: Seit dem 3. August stampft die Essener RWE Energie AG hier am Standort Niederaußem das erste 950-MW-Braunkohlekraftwerk aus dem Boden.
Seitdem plant, koordiniert und lenkt Bauer die Bauarbeiten. Hier ist alles nur gigantisch, immer geht es um riesige Einzelposten und mehrstellige Millionenbeträge.
Beispiel Beton: Etwa 9000 m3 wurden im November innerhalb von nur 60 Stunden in das ausgeschalte Fundament des neuen Kesselhauses gegossen. „Alles eine Frage des Timings und des Managements“, meint Bauer, der alles genau mit seinem Stellvertreter, Manfred Asser, abspricht. Der wiederum koordiniert die ausführenden Baufirmen Hochtief, Heitkamp und Strabag. Ende letzter Woche lieferten diese dann rund um die Uhr Spezialbeton für Niederaußem. „Verzögerungen darf es nicht geben. Wenn da was nicht hundertprozentig klappt, würde uns das eine hübsche Stange Geld kosten“, so Asser. Gut 1200 Lkw waren pausenlos im Einsatz, dazu ein ganzes Heer von Bauarbeitern. Zuvor mußten Tausende Tonnen Erde ausgebaggert werden. Dazu nutzten die Planer die vorhandene Infrastruktur der RWE-Tochter Rheinbraun. Direkt an der Baustelle führt eine Bahntrasse vorbei, die in Niederaußem normalerweise die alten Kraftwerksblöcke mit Braunkohle aus dem nahen Tagebau Hambach versorgt. Jetzt wurde auf diesem Weg der Aushub weggeschafft. „Akkordarbeit im großen Stil“, kommentiert Bauer.
Generalstabsmäßig wird dieses Projekt durchgezogen, nichts dem Zufall überlassen. Auf dem fast 1,70 m langen Ablaufplan ist jeder einzelne Schritt, jede einzelne Bauphase eingetragen. Insgesamt 300 kleinere und größere Teil-Projekte müssen bis zur Fertigstellung im August 2002 abgeschlossen sein.
Auch hier hat man den besten Überblick von oben. Nur 200 m von Bauers Container-Büro, in unmittelbarer Nähe des Baugeländes, liegt der Zugang zum Kraftwerksblock H des alten 600 Megawatt-Braunkohle-Meilers von Niederaußem, der 1976 fertiggestellt wurde. Bauer steuert auf eine olivgrün gestrichene Metalltüre zu. Dahinter wird es plötzlich sommerlich warm. Zwischen dicken Betonträgern die Kohlemühlen, die die Braunkohle staubfein mahlen, dahinter ein Aufzug, mit dem es hoch geht auf die Spitze des Kraftwerksblocks.
Von hier, aus 70 m Höhe, kann man die ganze Baustelle überblicken. Hunderte von Bauerarbeitern tummeln sich an diesem trüben Novembernachmittag auf dem Gelände, eingepackt in gelbe Regenjacken.
Neben den Containern der RWE-Bauleitung sind die Fundamente des neuen Maschinenhauses zu erkennen, ein quadratisches Etwas, mit an- und abfahrenden Betonmischern. Daneben taucht die in Beton und Stahl gegossene Befestigung des Kesselhauses auf. Wie ein riesiger grauer Wurm schlängelt sich die Hauptkühlwasserleitung durch den morastigen Untergrund, vorbei am Ringfundament des neuen Kühlturms. Dahinter wird in einigen Wochen auf einer Fläche von 150 ha eine der größten Bauarbeiter-Siedlungen in Deutschland entstehen. „Wir brauchen den Platz, um 2000 Leute und das Material der Firmen unterbringen zu können“, sagt Bauer. Um den Straßenverkehr zu entlasten, werden in den kommenden Wochen auf dem Baugelände eigens zwei große Betonmischanlagen errichtet. Eine besondere technische Herausforderung ist der Bau des 200 m hohen Kühlturms, des künftigen Wahrzeichens der neuen Anlage. Die Kühltürme des alten Kraftwerks hatten es gerade mal auf 145 m gebracht. „Der neue wird in Spezialbeton gegossen, der über eine hohe Dichte verfügen muß“, sagt Asser. Nach seiner Fertigstellung im November 1999 wird der Turm, viermal so hoch wie der Turm von Pisa, kilometerweit über die angrenzende Autobahn A61 zu sehen sein.
Ebenso gewaltig und mächtig sind die Stahl- und Eisenkonstruktionen am Standort des Kesselhauses. In Abständen von 2 cm bis 3 cm sind 32 mm starke Eisenstangen zu einem metallischem Korsett verschweißt worden. Bis zu 3 m hoch wird das eiserne Gerippe in den nächsten Tagen mit Beton gefüllt. Diese Bauarbeiten werden sich noch bis zum Sommer kommenden Jahres hinziehen. Fast 600 Mio. DM muß RWE für diesen ersten Bauabschnitt berappen, knapp 2 Mrd. DM werden anschließend in die Anlagentechnik investiert.
Niederaußem ist der erste Schritt in einem komplizierten Deal. Der Essener Stromriese RWE betreibt im rheinischen Braunkohlerevier an den Standorten Frimmersdorf, Neurath, Niederaußem und Weisweiler 33 Kraftwerksblöcke der Leistungsgrößen 150 MW, 300 MW und 600 MW, insgesamt eine Kraftwerksleistung von etwa 9800 MW, die in den Jahren 1955 bis 1976 aufgebaut wurde. In diesen Werken werden jährlich 85 Mio. t Rohbraunkohle aus den Tagebauen Hambach, Garzweiler I und Inden verfeuert. Daraus werden rund 68 Mrd. kWh Strom erzeugt, rund 16 % des deutschen Strombedarfs. Vor drei Jahren kündigten die Essener Energiemanager an, 20 Mrd. DM in die Modernisierung und Umwandlung dieses Kraftwerkparks zu sog. BoAs (Braunkohleblock mit optimierter Anlagentechnik) zu stecken. Mit dem BoA-Konzept wird der Wirkungsgrad der Kraftwerke von 30 % auf 43 % erhöht, so soll die Konkurrenzfähigkeit des – nicht subventionierten – „braunen Goldes“ über die Jahrtausendwende hin gesichert werden. Die Vorteile aus der Sicht des RWE-Managements liegen auf der Hand. „Dadurch können wir zum einen den Brennstoffbedarf reduzieren, die Energieausbeute erhöhen und zum anderen den CO2-Ausstoß um mehr als 30 % verringern“, meint Michael Pflugbeil, in der RWE-Zentrale in Essen für die Braunkohlekraftwerke zuständig. Bedingung für die 20-Mrd.-DM-Investitionen der RWE war allerdings, daß die NRW-Landesregierung im Gegenzug Garzweiler II genehmigt. Mit der Modernisierung von Niederaußem jedoch ging die RWE in Vorlage, schon bevor die Genehmigung für Garzweiler da war – erst Ende Oktober kam mit der Sümpfungserlaubnis für Garzweiler II grünes Licht für den Aufschluß des 48 km2 großen Tagebaugeländes Garzweiler II.
Wenn die Bauarbeiten planmäßig abgeschlossen sind, dann kann der neue BoA-Block in Niederaußem elektrische Leistung von 950 MW bereitstellen und damit den Strombedarf von rund einer Million Menschen decken. Nach der offiziellen Inbetriebnahme im Jahre 2002 sollen dann schrittweise sechs technisch veraltete 150-MW-Blöcke demontiert und verschrottet werden. Ursprünglich war für die neue Anlage ein anderer Standort vorgesehen. Weiter westlich in Frimmersdorf sollten Bauer und seine Ingenieure, so die Planung im Frühjahr 1994, das BoA-Kraftwerk hochziehen. „Das Gerangel um den Aufschluß des Tagebaus Garzweiler II hat dann zu einer Standortverlagerung geführt“, erklärt er. Für die jetzige Baustelle spricht die politisch schon vor Jahren abgesegnete Versorgungssicherheit mit Braunkohle aus dem benachbarten Tagebau Hambach, für den langfristige Abbaugenehmigungen bis zum Jahre 2040 vorliegen. Der BoA-Block kann so auf eine Jahresförderung von 50 Mio. t zurückgreifen. Selbst wenn Garzweiler II nicht kommen sollte, in Niederaußem ist für Nachschub gesorgt.
Doch ob sich diese Investitionen in die Braunkohle noch lohnen, wird derzeit immer stärker bezweifelt, zumal die Liberalisierung der Strommärkte den Kostendruck auf die Braunkohle verstärkt. So wächst auch im RWE-Konzern die Unruhe. Energie-Chef Roland Farnung nahm Ende Oktober vorzeitig seinen Hut, RWE-Vorstand Werner Hlubek wurde in der vergangenen Woche mit der Bemerkung zitiert, er wolle „alles hinschmeißen“.
Von solchen Zweifeln ist bei Baustellenchef Rolf Bauer nichts zu spüren. „Wer aus der Kernkraft aussteigen will, muß sich realistische Gedanken über ihren Ersatz machen. Das kann nur die Braunkohle sein“ – zumal sie nicht subventioniert werde. Und dann das Argument, das heute am sichersten sticht: „Während der gesamten Bauzeit werden etwa 5000 Menschen durch das BoA-Projekt einen sicheren Arbeitsplatz haben“. Im Jahr 2002, da ist er zuversichtlich, „sind wir am Netz“.
Dann klingelt schon wieder das Telefon. Terminabsprache – es geht um den Beton, der für das Kesselhaus geliefert werden soll. Bauer greift zum Kalender, Manfred Asser sucht seinen Kugelschreiber, überfliegt rasch seinen Terminplaner. Der Alltag hat die beiden Planer wieder eingeholt.
MICHAEL FRANKEN

 

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