„Die Autokrise bringt uns nicht um den Schlaf“
VDI nachrichten, Schwarzenberg, 28. 11. 08, ps – Im Eisenwerk Erla, mit über 600 Jahren Deutschlands zweitälteste Gießerei, entwickeln und fertigen knapp 400 Mitarbeiter Gussteile in allen modernen Eisengusswerkstoffen. Seit knapp zwei Jahren gehört die Traditionsfirma mehrheitlich dem indischen Mischkonzern Sanmar. Fragen an Hauptgeschäftsführer Dietmar Hahn.
Hahn: Zu über 75 %.
VDI nachrichten: Schlafen Sie noch ruhig?
Hahn: Keine Sorge, die Autokrise bringt uns nicht um den Schlaf. Wobei, sorglos darf man in solch einer kritischen Wirtschaftssituation nie sein. Wir haben aber das Glück, in einem speziellen Markt zu agieren. Wir gießen vor allem Turboladergehäuse und Abgaskrümmer, und diese Produkte laufen immer mit langen Bestellzeiten. So können wir die Rezession, die wir momentan in anderen Zulieferbereichen erleben, gut ausgleichen mit Dingen, die wir besonders gut können.
Wir verkaufen unsere Kapazitäten an die wichtigsten Hersteller von Turboladern für Ottomotoren. Unsere Gussteile finden sich in allen Marken des VW-Konzerns, außerdem BMW, Daimler, Fiat, Renault, Lancia.
VDI nachrichten: Für Opel und Ford arbeiten Sie also nicht. Wie geht es 2009 weiter?
Hahn: Wir sind frohen Mutes, noch mehr zu verkaufen als 2008. Wir haben einen Auftragsbestand, der in etwa unserem Jahresumsatz von rund 100 Mio. € entspricht.
Wir gewinnen der Krise am Automobilmarkt sogar positive Seiten ab. Denn wegen der extremen Nachfrage durch die Turboladerhersteller arbeiten wir derzeit in 18 Wochenschichten, selbst sonntags noch. Das mutet man auch solch einer hoch engagierten Mannschaft, wie wir sie hier im Erzgebirge haben, nicht auf Dauer zu. Ich hoffe, wir können ab Februar wieder auf 15 oder zumindest 16 Schichten zurückgehen.
VDI nachrichten: Offenbar sind Sie in der Nische Turbolader auf eine Goldader gestoßen. Wie kam es dazu?
Hahn: Es war ein Bauchgefühl. Uns war Ende 2000 klar, der Turboladermarkt boomt eines Tages. Denn der Ottomotor hat so viele Vorteile, wenn er aufgeladen ist. Hier zahlten sich gewisse Erfahrungen aus, die wir ab 1994 – seit wir zur Ingolstädter Gießereigruppe Schubert & Salzer gehörten – gewissermaßen im Dunstkreis von Audi sammeln konnten. Seither haben wir zielstrebig darauf hingearbeitet, wandten uns speziellen Werkstoffen und Gießtechnologien zu.
2003 fühlten wir uns dann fit genug, sehr komplizierte, hoch legierte Materialien für Turboladergehäuse zu vergießen, für die es viel Know-how braucht. Heute sind wir hier einer der Marktführer bei Turbinengehäusen. Wir gehören in Europa zu den fünf, weltweit zu den acht wichtigsten Spezialgießereien. Über weite Strecken führt kein Weg an uns vorbei.
VDI nachrichten: Es klingt, als wenn Sie das Thema eher mit den Augen eines Automobilbauers denn eines Gießereiingenieurs angingen.
Hahn: Das war meine Aufgabe, seit mir Herr Kawlath von Schubert & Salzer den strategischen Vertrieb für Erla übertrug. Ich hörte mich ständig in der Entwicklung von Audi um, kannte viele Ingenieure und auch deren Probleme. Es war für beide Seiten sehr wichtig, dass sich jemand der Themen annahm, der einen Gießereibackground hat. Diese Strategie, sich in den Kunden hineinzuversetzen, praktizieren wir auch weiter.
VDI nachrichten: Auf der Suche nach neuen Nischen?
Hahn: Nicht nur das. Wir bauten eigene Prüfstände auf, um die neuen, teils patentierten Materialien, Oberflächenbeschichtungen und Werkstoffe, die wir im Hause entwickeln, exakt checken zu können, bevor sie zum Kunden gehen. Uns bewegt stets, was hat der spätere Nutzer für Probleme, etwa mit der Heißgasoxidation oder bei extrem hohen Temperaturen?
Mit der TU Freiberg lassen wir auch in Diplomarbeiten untersuchen, welche Zusatzstoffe in der Legierung welche Effekte erzielen. Das ist schon wissenschaftliche Grundlagenarbeit.
VDI nachrichten: Wie viel eigenes Know-how steckt in dem Material, das Sie für die Turboladergehäuse benötigen?
Hahn: Es handelt sich um den Werkstoff D5S. Seine Hauptbestandteile, wie Nickel (35 %) und Chrom (2 %) sind bekannt. Doch ihn zu vergießen, ist hoch diffizil. Es benötigt mehr als 1500 Grad Gießtemperatur, was für einen Graugießer ungewöhnlich ist.
Unser Know-how besteht darin, das Material mit einer ausgereiften Prozesstechnologie richtig zu vergießen und innerhalb der Legierung eine immense Kleinarbeit zu leisten. Dazu gehört es, die weiteren Materialien in ihrer Zusammensetzung so zu wählen, dass keine Lunker entstehen und das Gefüge sich richtig ausbildet.
Hierfür braucht es ein hoch motiviertes und erfahrenes Team. Denn all das lässt sich nicht im Labor testen, man benötigt schon reale Bedingungen. So raten wir jedem OEM, der Prototypen herstellt, selbst in die Gießerei zu gehen, die ihm später die Serienteile gießt. Nur hier lassen sich die Bedingungen adäquat abbilden.
VDI nachrichten: In einer Firma, die wie Ihre über 600 Jahre alt ist, halten sich – zumal im Erzgebirge – gewisse Legenden. Eine jüngere besagt, Sie seien es gewesen, der Herrn Dr. Kawlath 1994 dazu brachte, das Werk zu kaufen.
Hahn: Wie das eben mit Legenden so ist… Ich war damals ein junger Gießereiingenieur und sollte im Herbst 1993 Dr. Kawlath durch den Betrieb führen. Er kam nach anfänglichem Sträuben im Auftrag der Treuhand.
In Erla war eigentlich niemand mehr so richtig bereit, so genannte Kaufinteressenten aus dem Westen zu empfangen. Aber ich muss Arnold Kawlath, wie er mir erst vor kurzem attestierte, so umgestimmt haben, dass er sich dann doch stark engagierte.
Sechs Wochen später kaufte er das Werk für die symbolische 1 DM und unter persönlicher Haftung für die aufgelaufenen Verluste. Er zeigte sich aus zwei Gründen sehr schnell glücklich darüber: zum einen wegen der wirklich tollen Mannschaft, zum anderen wegen einer modernen Formanlage, die wir schon hatten.
VDI nachrichten: War es also Glück, dass Sie heute noch existieren?
Hahn: Wenn man Glück nicht mit Dusel übersetzt, ja! Es war ein großes Glück, dass gerade Dr. Kawlath selbst nach Erla kam und nicht andere, die – wie jene, die vorher da waren – nur daran dachten, was sie hier mitnehmen können. Als er dann einstieg, stand uns sofort seine komplette Organisation beratend zur Seite. Das gab uns die Möglichkeit, uns zu entwickeln.
VDI nachrichten: Kawlath verlegte sogar eine Gießerei von Ingolstadt nach Erla. Weshalb?
Hahn: Das Werk in Ingolstadt war ungünstig gelegen. So investierte er in Erla in komplett neue Produktionsanlagen, die auf Großserien von Eisengussteilen in einer erweiterten Legierungsvielfalt ausgerichtet sind. Dann verlagerte er die Produktion. In jener Zeit pendelte das Gros unserer Mannschaft nach Ingolstadt. Alles in allem investierte Dr. Kawlath seit 1994 um die 43 Mio. € in Erla. Bereits 1996 schrieben wir schwarze Zahlen.
VDI nachrichten: Dennoch verkaufte Kawlath 80 % seiner Firmenanteile Ende 2006 an die indische Sanmar Group.
Hahn: Das war eine persönliche Entscheidung. Dr. Kawlath, der zu diesem Zeitpunkt auf die 70 zuging, leitet jetzt weiterhin das Stammhaus in Ingolstadt. In Erla musste indes weiter in größerem Maße investiert werden. So sah er sich sehr sorgsam nach einem Partner um. Und mit indischen Unternehmen hatte die Familie Kawlath bereits sehr gute Erfahrungen. Sanmar war eine sehr gute Wahl.
VDI nachrichten: Sind die Inder vor allem Geldgeber? Wie langfristig ist das Joint Venture angelegt?
Hahn: Es gibt keine Fristen. Wir haben eine sehr gedeihliche Arbeitsteilung zwischen Erla und Chennai, wo Sanmar sitzt. Jüngst haben wir von Sachsen aus eine neue Gießerei in Indien geplant. Sie führt Teile unserer bisherigen Fertigung weiter, während wir uns stärker auf strategische High-Value-Produkte konzentrieren, für die nur wir das Know-how haben.
VDI nachrichten: Geht es hierbei vor allem um Lohnkostenvorteile?
Hahn: Ja, sicher. Seit zwei Wochen wird dort nun produziert, auch für europäische Kunden, wobei wir für diese auch weiter der Ansprechpartner bleiben. So sind deutsche Qualitätsstandards gesichert. Wir stehen also auch für unsere Partner gerade.
Möglich sind auch Bypass-Lösungen, indem wir einspringen, wenn die indischen Partner kurzfristigem Bedarf unserer Kunden nicht problemlos folgen können.
VDI nachrichten: Will Sanmar noch weiter in Erla investieren?
Hahn: Deutlich sogar. Für die nächsten drei Jahre stehen 12 Mio. € bereit. Dank ihnen haben wir unsere Qualitätssicherung völlig neu ausgebaut, so durch eine CT-Anlage, die unsere Gussteile röntgt. Sie sieht jedes Fehlerchen. Uns ist es sehr wichtig, dass wir mögliche Fehlstellen selbst entdecken, nicht erst der Endkunde. Noch in diesem Jahr folgt eine 3D-Scan-Anlage.
VDI nachrichten: Kommen die Anregungen dafür von Ihnen?
Hahn: Bisher wurden alle unsere Vorschläge umgesetzt, so auch für neue Manipulatoren oder Roboter für die Probenbearbeitung. Wichtig ist natürlich, dass wir die Effekte sauber begründen. Das trifft auch auf eine neue Produktionshalle zu, die demnächst in Bau geht.
VDI nachrichten: Wollen Sie die Produktion erweitern, avisieren Sie neue Technologien?
Hahn: Mit Verlaub, da möchte ich mich noch zurückhalten. Denkbar ist verschiedenes – aber spruchreif noch nichts!
VDI nachrichten: Zumindest klingt es danach, dass Sanmar noch Großes mit Ihnen vorhat. Werden die Inder auch das letzte Fünftel übernehmen, das noch Ihr Vorgänger in der Geschäftsführung, Bertram Kawlath, hält?
Hahn: Auch hier: Denkbar ist vieles. Natürlich liegt es immer im Interesse eines Hauptgesellschafters, weitere Anteile zu übernehmen, wenn ein Unternehmen gut läuft. Aber was soll ich spekulieren? Wir sind gut aufgestellt, werden von beiden Gesellschaftern gut unterstützt. Die Marschroute für die nächsten Jahre steht. Wir hätten mit keiner der denkbaren Gesellschaftsstrukturen ein Problem.
VDI nachrichten: Hätten Sie denn für neue Linien das nötige Fachpersonal? Die Gießereibranche klagt ja bundesweit.
Hahn: Wenn wir etwas nicht wollen, so Leute vom Markt kaufen. Da es wenige gibt, sind sie teuer. Außerdem meinen wir, Abgeworbene lassen sich weniger binden. Deshalb bilden wir seit Jahren konsequent aus, haben zurzeit ein Dutzend Azubis. Selbst Frauen werden in Erla Gießereifacharbeiter. Das sind dann Leute, die sich wirklich mit unserer Firma identifizieren. Dazu gehen wir beizeiten in die Schulen, an Universitäten. Und wer später bei uns verbindlich einsteigen will, den unterstützen wir auch schon während des Studiums nicht unerheblich.
HARALD LACHMANN
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