Braunkohle-Kraftwerk Lippendorf setzt neue Maßstäbe
Bei Wirkungsgrad und Umweltschutztechnik ist das neue Veag-Kraftwerk Weltspitze. Liberalisierung und Eigentümer-Wechsel sorgen für Unruhe im Unternehmen.
Die Industriedesigner haben am Kraftwerk Lippendorf gute Arbeit geleistet. Der 174 m hohe Koloss, der die Landschaft im Süden von Leipzig dominiert, wirkt durch eine geschickte Gestaltung weniger erdrückend als es seine Ausmaße erwarten lassen. Veag-Vorstandsvorsitzender Jürgen Stotz hob vorige Woche bei der offiziellen Inbetriebnahme trotzdem die technischen und ökonomischen Werte hervor: „Das weltweit modernste Braunkohle-Kraftwerk steht nun in Lippendorf.“
Damit hat der ostdeutsche Stromkonzern sein eigenes Kraftwerk Schwarze Pumpe übertrumpft, das er vor zwei Jahren ans Netz geschaltet hatte. Die beiden Lippendorfer Kraftwerksblöcke hat die Betreiberin Veag in den vergangenen fünf Jahren gemeinsam mit den Partnern Energie Baden-Württemberg und Bayernwerk für rund 4,5 Mrd. DM gebaut. Jeder Block produziert 933 MW Strom mit einem bisher für Braunkohle-Anlagen einmaligen Wirkungsgrad von 42,6 %. Außerdem nehmen die Stadtwerke Leipzig 200 MW Fernwärme ab.
Dank einer hoch entwickelten Umwelt-Technik stößt das Kraftwerk bis auf Kohlendioxid kaum noch Schadstoffe aus: Modernste Feuertechnologie und eine gestufte Zufuhr der Verbrennungsluft reduzieren die entstehenden Stickoxide auf ein Minimum. Elektrofilter mit einem Abscheidegrad von fast 99,9 % filtern den Staub fast vollständig aus dem Rauchgas. Die Rauchgas-Entschwefelungsanlagen binden das in Braunkohle-Anlagen reichlich anfallende Schwefeldioxid in einem chemischen Prozess, bei dem Gips entsteht. Dieser wird von dem französischen Konzern Lafarge am Kraftwerks-Standort weiterverarbeitet.
Da auch der Braunkohle-Lieferant Mibrag aus dem nahen Tagebau Vereinigtes Schleenhain einen preiswerten und langfristig verfügbaren Brennstoff liefert, kann Lippendorf den Strom sehr effizient produzieren. „Damit trägt das Kraftwerk maßgeblich zum Erhalt der Braunkohle-Förderung und von Arbeitsplätzen in der mitteldeutschen Region bei“, sagte Stotz.
Bundeskanzler Gerhard Schröder freute sich, dass auf diese Weise Energieindustrie und Bergbau in der Region als „industrielle Kerne“ erhalten werden konnten. „Der hocheffizienten Verstromung heimischer Energieträger, gerade auch der wettbewerbsfähigen Braunkohle, kommt im deutschen Energiemix besondere Bedeutung zu“, so Schröder. Mit gemischten Gefühlen dürften dies die Bewohner der Tagebau-Gemeinde Heuersdorf registrieren, die sich immer noch gegen die vorrückenden Bagger der Mibrag wehren.
Der hohe Wirkungsgrad des Kraftwerks Lippendorf wurde vor allem durch den Einsatz neuer Materialien erreicht: Hochfeste Stähle halten überkritische Dampfparameter mit einem Druck von 267 bar und einer Temperatur von 564 °C aus, bei denen der Heizwert der Kohle besser als zuvor ausgenutzt werden kann.
Das Kraftwerk selbst wird vollautomatisch gefahren: In der mit Computertechnik und riesigen Bildschirmen voll gestopften Leitwarte sitzen nur vier Mitarbeiter, assistiert von zwei Kollegen in den Nebenwarten. 25 Leute müssen laufend im Kraftwerk nach dem Rechten sehen und verschlissene Teile wechseln. Insgesamt braucht das neue Kraftwerk noch reichlich 300 Beschäftigte. In den beiden alten Veag-Kraftwerken Thierbach und Lippendorf, die vor kurzem abgeschaltet wurden, hatten zuletzt noch 1100 Leute gearbeitet. Den größten Beschäftigungseffekt hat das neue Kraftwerk deshalb bereits vollbracht: 28 000 Menschen waren beim Bau beschäftigt.
Insgesamt ist die Veag-Belegschaft seit der Wende von 28 000 auf 6000 Mitarbeiter geschrumpft. Dass sich die derzeitigen Hauptaktionäre RWE/VEW und Veba/Viag aufgrund ihrer Fusionen von den Veag-Anteilen trennen müssen, sorgt derzeit im Verein mit dem scharfen Wettbewerb auf dem Strommarkt für weitere Unruhe unter der Belegschaft. „Wir erwarten von unseren Noch-Anteilseignern, dass sie unseren Neustart nicht behindern“, appellierte Veag-Betriebsratschef Wilfried Schreck.
Um einen wettbewerbsfähigen Veag-Konzern zu schmieden, möchte Veag-Chef Stotz zunächst den Stromproduzenten mit dem Lausitzer Braunkohle-Lieferanten Laubag fusionieren und möglichst auch die Mibrag mit einbeziehen. „Der Erwerber sollte über Know-how im Stromhandel und im Vertrieb verfügen“, so Stotz. „Dabei sind uns auch ausländische Gesellschaften willkommen.“ Bundeskanzler Gerhard Schröder sicherte zu, dass die Bundesregierung einen zügigen und reibungslosen Eigentümer-Wechsel anstrebe. Außerdem will Schröder seinen Einfluss geltend machen, dass auch künftig Arbeitsplatz-Zusagen bei der Veag eingehalten werden. STEFAN SCHROETER
Bei Design, Umweltschutz und Wirkungsgrad besticht das Kraftwerk Lippendorf, aber dank des automatisierten Betriebes beschäftigt es nur wenig Mitarbeiter.
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