Bonner Fossilforscher lassen Ölquellen sprudeln
VDI nachrichten, Bonn, 19. 10. 07, ber – Ölbohrungen sind teuer und nur selten von Erfolg gekrönt. In weniger als 10 % der Versuche trifft der Bohrkopf tatsächlich ins Schwarze. Dies ließe sich verbessern, wenn die Prognosen über das Vorhandensein von Öl im Untergrund zuverlässiger sein würden. Über die Bestimmung von Mikrofossilien ist dies jetzt möglich.
Ölbohrungen sind teuer und nur selten von Erfolg gekrönt. In weniger als 10 % der Versuche trifft der Bohrkopf auch ins Schwarze. Diese Quote ließe sich verbessern, wenn die Prognosen über das Vorhandensein von Öl im Untergrund zuverlässiger sein würden.
Anhand der Mikrofossilien ist dies möglich (s. Kasten), weshalb Mikropaläontologen früher schon einmal zur Standardbesetzung der Suchtrupps von Ölfirmen gehörten. Doch dann kam in den 1980er Jahren eine neue Technik auf, mit welcher sich der Erdboden bis in große Tiefe wie mit einem medizinischen Computertomografen durchleuchten lässt: die Seismik.
„Die Konzerne waren so begeistert von den tollen Bildern, die die Seismik liefert, dass sie glaubten, damit alle Explorationsprobleme lösen zu können“, so Langer. „Für Mikropaläontologen ging es damit rapide bergab. Die meisten verloren ihren Job und mussten sich als freie Berater durchschlagen.“
Seismik funktioniert ähnlich wie ein Echolot, allerdings nicht im Wasser, sondern im Gestein. Dafür wird an einem oder mehreren Punkten an der Erdoberfläche eine kleine Sprengladung gezündet. Die Druckwelle dieses Mini-Erdbebens breitet sich durch das Gestein aus und wird von den geologischen Schichten im Untergrund teilweise reflektiert.
So genannte Geophone, die unterschiedlich weit von der Sprengladung entfernt im Erdboden stecken, empfangen das Echo der Erschütterung. Ausgefeilte Computerprogramme können anhand der Stärke und der Verzögerung der Signale Bilder des Schichtenaufbaus im Untergrund berechnen. Darauf lassen sich Gesteinslagen mit einer Mächtigkeit von mindestens 20 m bis 50 m gut unterscheiden und potenzielle Öllagerstätten erkennen.
„Erdölfelder haben aber maximal eine vertikale Ausdehnung von 50 m. Die ganz großen Lagerstätten sieht man darum mit der Seismik sehr gut, die aber sind auch alle schon gefunden“, sagte Langer. „Heute ist die Ölindustrie zunehmend auf kleinere, fragmentierte Ölquellen angewiesen. Viele der Öl und Gas führenden Schichten sind nur wenige Meter dick. Hier erweist sich die Seismik alleine als zu ungenau.“
Deshalb kommt heute die Mikropaläontologie wieder ins Spiel. Sie hilft bei der Feinsteuerung des Bohrprozesses. „Anhand der Fossilien, die mit dem zerkleinerten Gestein aus dem Bohrloch nach oben gespült werden, können wir das genaue Alter der Gesteinsschichten bestimmen“, sagte Langer.
„Wir erreichen dabei eine vertikale Auflösung von etwa 1 m. Für die zielgenaue Bohrsteuerung und damit die Ökonomie einer Erdölquelle ist die Mikropaläontologie darum extrem wichtig“, so der Professor. An den Mikrofossilien lässt sich genau erkennen, ob eine Lagerstätte mit der Bohrung überhaupt schon erreicht wurde oder ob an der falschen Stelle gebohrt wird.
„Jahrelang hat die Ölindustrie allein auf die Seismik vertraut. Neuerdings stellt sie aber wieder Mikropaläontologen ein, weil die Altersdaten der Sedimente nur aus den Fossilien in einer hohen Auflösung abgelesen werden können“, bestätigte Alicia Kahn vom US-Energiekonzern Chevron.
Allein Chevron habe in den vergangenen zwei Jahren die Zahl der Mikropaläontologen von zwei auf sechs verdreifacht und wolle das Team weiter vergrößern. „Diesen Trend gibt es derzeit bei allen Ölfirmen“, sagte Kahn.
Gefragt sind Spezialisten. Heute gibt es noch 10 000 verschiedene lebende Arten von Foraminiferen, Conodonten und Dinoflagellaten. Im Rückblick der Erdgeschichte kommen nochmals mehrere Tausend bereits ausgestorbene Arten hinzu. „Allein um Bohrungen aus der Nordsee korrekt zu interpretieren, muss man mindestens etwa 500 Arten vom Mikrofossilien unterscheiden können. Und jede Meeresregion der Erde hat wieder eine andere typische Artenzusammensetzung“, so Langer.
So lange der Erdölbedarf der Welt weiter steigt und die Ölsuche somit ein lukratives Geschäft bleibt, werden sich Mikropaläontologen wohl über einen sicheren Job freuen dürfen. Einzig der Kollege Computer könnte ihnen künftig vielleicht einen Teil der Aufgaben streitig machen. Der Schweizer Mikropaläontologe Hans Thierstein von der ETH Zürich entwickelt derzeit einen Roboter, der die Mikrofossilien einer Bohrlochprobe automatisch bestimmen kann.
Das System besteht aus einem Mikroskop, unter dessen Linsen die gewaschenen Sedimentproben langsam auf einem Förderband vorbeigefahren werden. Ein Computer mit einer lernfähigen Bilderkennungssoftware sucht dabei auf den digitalisierten Mikroskopbildern automatisch nach den typischen Mustern verschiedener Mikrofossilien.
Noch ist die Fehlerrate der maschinellen Analyse zu hoch, zumindest wenn die Fossilien im Automaten einfach auf eine Platte gestreut und die Streubilder von nur einer Richtung aus betrachtet werden. Doch die nächste Version der Maschine wird mit einem Roboterarm einzelne Fossilien aufpicken und drehen können, um sie von verschiedenen Seiten zu fotografieren.
„Wenn wir die Fossilien von Hand anordnen und der Computer so mehrere Ansichten zur Analyse bekommt, liegt die Erkennungsrate heute schon bei 95 %“, sagte Thierstein. „Ich gehe davon aus, dass unser System in zehn Jahren bereits zum Standard der Erdölexploration zählen wird.“
Müssen die Mikropaläontologen also bald ein zweites Mal wegen neuer Technik um ihre Jobs fürchten? Langer winkt ab, greift in sein Regal und zieht ein Bestimmungsbuch für Foraminiferen heraus. Hunderte Arten sind darin abgebildet, deren versteinerte Kalkschalen sich auf den ersten Blick kaum voneinander unterscheiden. „Zur exakten Interpretation der Funde sind häufig winzig kleine Strukturen von enormer Bedeutung“, sagte er. „Solche Details wird ein Computer nie zufriedenstellend erkennen können.“
LUCIAN HAAS
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