Beständig ist nur der Wandel im alten Revier
Der Strukturwandel an Rhein und Ruhr greift – selbst wenn er die in Kohle und Stahl wegfallenden Arbeitsplätze in Zukunft nicht ersetzen kann.
Früher stieg Rudolf Walter in einen Förderkorb und verschwand für Stunden unter der Erde. Heute verschwindet er in einem hochmodernen Produktionsgebäude im Dortmunder Technologiepark, und tiefer als ins Untergeschoss geht es hier nicht.
Noch vor wenigen Jahren arbeitete der 37-jährige Walter als Bergmechaniker auf einer Zeche der Ruhrkohle (RAG) „vor Kohle“. Heute steigt Walter täglich als Schichtleiter ins Untergeschoss von microParts, einer im Dortmunder Technologiepark angesiedelten Hightech-Schmiede voller Reinstraum-Technik und aufwendiger Fertigungsanlagen.
Die Berufslaufbahn von Rudolf Walter und die junge Geschichte des aufstrebenden Hightech-Unternehmens microParts scheinen aus dem Bilderbuch des Strukturwandels zu stammen: Die Tochterfirma eines alteingesessenen Bergbaukonzerns expandiert im Revier mit einem Spitzenprodukt – dem Aerosol-Zerstäuber. Dort, wo viele ehemalige Kumpel unter Staublungen leiden, wird ein Feinstzerstäuber produziert, der Lungenkranken Linderung verschafft. Gefertigt wird er – und da schließt sich der Kreis – von früheren Bergleuten.
Doch die Geschichte hat einen Haken: Sie stimmt nicht.
Gut, die microParts GmbH im Dortmunder Technologie-Zentrum ist Tochter der Steag AG (Essen), einem großen Steinkohleverstromer. Der gehört mehrheitlich der Essener RAG, der ehemaligen Ruhrkohle.
Richtig auch, dass Rudolf Walter in seinem früheren Leben einmal Bergmann war. Und schließlich forscht und fertigt microParts neben dem Zerstäuber an weiteren Hightech-Produkten, mischt in der Mikrostruktur-Technik weltweit vorne mit. Doch damit endet die Story von der gelungenen Konversion von Kohle zur Zukunftstechnologie.
Denn die Idee, einen Feinstzerstäuber zu entwickeln, stammt nicht aus dem Bergbau. Vielmehr wurde im Auftrag der Steag am Karlsruher Kernforschungszentrum eine Trenndüse für die Urananreicherung entwickelt. „Die Düse, die erstmals Strukturen von tausendstel Millimetern Größe aufwies, gelang perfekt“, erinnert sich microParts-Chef Dr. Reiner Wechsung in seinem Büro im Dortmunder Technologiezentrum. Doch das Projekt der Urananreicherung wurde eingestellt, und Auftraggeber Steag fand eine neue Anwendung für die Düse bei Medikamentzerstäubern für Asthma-Kranke.
Eine paar Schritte von Wechsungs Büro entfernt verschwindet Walter in seiner weißen Reinstraum-Schutzkleidung in der Produktionsabteilung, kommt nach ein paar Minuten zurück und legt einen großen Silikonwafer unter das Mikroskop, ein Vorprodukt für die Düse der Zerstäuber. „Qualitätskontrolle“, murmelt er, während er sich über das Mikroskop beugt.
Dass Walter bei microParts unterkam, ist staatlichen Fördergeldern zu verdanken. Die flossen für das wirtschaftlich gebeutelte Revier kräftiger als im prosperierenden Süden. Also zogen 1994 gut 40 Mitarbeiter von Karlsruhe nach Dortmund, wo die Produktion der Zerstäuber begann .
Gut 190 Angestellte zählt microParts heute. Alle zwei bis drei Jahre verdoppeln sich die Umsatzzahlen, seit 1997 werden Gewinne erzielt.
Walter fühlt sich wohl und auch als Seiteneinsteiger gut aufgehoben. „Die wollen mich gar nicht mehr gehen lassen.“ Nach einer Odyssee über mehrere Jobs und Umschulungen kam er 1999 als Praktikant zu microParts, seit März 2000 hat er eine feste Anstellung. „Man muss nur neu anfangen können.“
„Neu anfangen“, das ist auch die Botschaft von Assem F. Audi. Er hat das Jacket abgelegt und die Ärmel hochgekrempelt. Immer noch mit Krawatte stemmt der 62-Jährige schwere Hanteln in der „Mucki-Bude“ seiner Software-Schmiede Mosaic Software AG in Meckenheim bei Bonn. Audi ist Chef des börsennotierten Unternehmens, das er schon 1976 gegründet hat, und froh, wenigstens für kurze Zeit aus seinem Büro herauszukommen.
Wenn Bonn auch unter dem Wegzug der Regierung nach Berlin leidet, macht Audi sich um den Strukturwandel der Bonner Region keine Sorgen. „Wir haben hier eine tolle Infrastruktur, gute Verkehrsverbindungen und keine Staus – wenn nicht gerade Weltklimakonferenz ist“, sagt er.
Ausreichend qualifizierte Mitarbeiter findet er auch, 15 hat er allein in den vergangenen zwei Monaten eingestellt. Die Mucki-Bude gehört bei Mosaic ebenso zur Unternehmensphilosophie wie ein firmeneigener Tennisplatz. Denn Audi muss sein junges Team bei Laune halten. Der gebürtige Libanese hat Clearing-Systeme für die Banken entwickelt und betreibt jetzt Systeme, die den Datenaustausch zwischen Firmen automatisieren. „Eine kleine Firma fertigt spezielle Damenschuhe für ein großes Warenhaus“, erklärt er, „unsere Software schafft einfach die Verbindung zwischen beiden.“
Auch Bonn muss, wie Dortmund, auf Menschen setzen, die neu anfangen können oder Initiative zeigen. Doch Bonn hat mit der Deutschen Telekom und der Post zwei Konzernzentralen – Dortmund dagegen hat mit der VEW AG seinen letzten bedeutenden Konzern verloren.
Trotz Posterbe, trotz Ämtern, die von Berlin nach Bonn umziehen, braucht auch der Strukturwandel in Bonn „Tausendfüßler-Fortschritte“, so Audi. Große Investitionen wie ein neues Autowerk von BMW in Leipzig „kann man doch an einer Hand abzählen“.
Doch manchmal sind es gerade die großen Infrastrukturmaßnahmen wie der Dortmunder Flughafen, die den Strukturwandel sichtbar vorantreiben. Ein tonnenschweres Löschfahrzeug fährt vorsichtig über das Rollfeld, verschwindet im Hangar, Ralf Ruhnke springt aus dem Führerhaus und zieht sich den wuchtigen Gehörschutz vom Kopf. Früher hat der 33-Jährige auf der Schachtanlage Westfalen in Aalen Kohle gefördert. Jetzt transportiert er auf dem Flughafen Dortmund Koffer zu den Flugzeugen oder lenkt als „Pusher“ Flugzeuge aus dem Hangar. „Im Notfall werden wir sogar als Feuerwehrleute eingesetzt“, lacht Ruhnke
Der Flughafen Dortmund zählt zu den Erfolgsgeschichten in der Umstrukturierung der Montanregion Dortmund. Gut 720 000 Passagiere fertigte der Airport 2000 ab, in diesem Jahr werden es bis zu 1,2 Mio. werden. Die Belegschaft am Flughafen verdoppelte sich in fünf Jahren von 700 auf 1400 Mitarbeiter – 50 kommen aus einem erfolgreichen Umschulungsprojekt der Deutschen Steinkohle (DSK).
Ruhnke ist ein Beispiel dafür, wo der Trend hingeht. Im Februar 2000 begann er mit sieben Kumpel eine Ausbildung zum Flugzeugabfertiger. Die meisten seiner Vorfahren waren Bergleute, er ist der erste aus seiner Familie, der oberhalb der Sohle Null arbeitet: „Im Bergbau kann man doch nicht alt werden.“
Rudolf Walter, der sich im knapp 20 km entfernten Technologiezentrum Dortmund aus seinem Reinstraumanzug zwängt, sieht das nicht anders. „Wer heute auf den Bergbau setzt“, sagte er und tippt sich erst auf die Oberarmmuskulatur, dann an die Stirn, „der hat vielleicht 40 000 Volt in den Armen, aber bei dem geht keine Lampe an“. M. ROTHENBERG
Strukturwandel
Die Crux mit den Dienstleistungen
Dienstleistungen gelten im Ruhrgebiet als Hoffnungsträger. Doch der Strukturwandel zur Dienstleistungswirtschaft kommt im Ruhrgebiet langsamer voran als in anderen Regionen Deutschlands, so Untersuchungen des Instituts Arbeit und Technik (IAT) in Gelsenkirchen. Mit 63,5 % aller Beschäftigten ist der tertiäre Sektor zwar der größte Arbeitgeber im Revier, die Dienstleistungsquote liegt höher als in NRW (60,8 %) und Bund (61 %). Rund 50 000 neue Dienstleistungs-Arbeitsplätze sind in den letzten Jahren entstanden – insgesamt verloren gegangen sind aber immerhin 130 000. So erklärt sich der Bedeutungszuwachs der Dienstleistungen im Ruhrgebiet nicht aus deren dynamischen Entwicklung, sondern daraus, dass die alten Branchen viele Arbeitsplätze verloren. In den letzten 20 Jahren wuchs der Dienstleistungssektor bundesweit um 39,5 %, in NRW um 36,5 %, im Ruhrgebiet lediglich um 24,9 %. moc
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