„Bergbau macht krank – macht endlich Schluss“
Die einen demonstrieren für ihr Heim, ihren Altersruhesitz, ihr Leben. Die anderen kämpfen um ihre Arbeit, ihre soziale Existenz. Noch ist offen, wer gewinnt.
Als Karl-Heinz Gorges aus dem Fenster seines Pfarrhauses sieht, zittert die Erde, Steine regnen herab. Aus über 40 m Höhe knallen sie vor das Portal und auf die gerade erst reparierte Treppe der St. Blasius-Kirche in Saarwellingen. Kalt läuft es ihm den Rücken runter: Nur zwei Stunden zuvor hatte Gorges 40 Kommunionskinder verabschiedet, die an einem Kinderbibeltag teilgenommen hatten. Pures Glück, dass sie jetzt nicht mehr vor dem Kirchenportal spielen. An jenem Samstag Ende Februar vibriert um 16.30 Uhr auch der Boden im nahen Supermarkt. Öl- und Bierflaschen fallen aus den Regalen, Kinder schreien auf.
Zur gleichen Zeit spielt der kleine Daniel zu Hause, die Oma ist zu Besuch. Da reißt der Boden im Esszimmer auf. „Ich dachte, die Erde geht kaputt“, sagt der Junge. Seine Oma fängt an zu weinen vor Schreck.
Seit dem schwersten je gemessenen Bergbau-Beben Ende Februar ist im Saarland nichts mehr so wie es früher war. Wo einst Solidarität herrschte, stehen sich jetzt zwei Interessengruppen unversöhnlich gegenüber.
Auf der einen Seite Menschen, die über dem Abbaugebiet leben und seit Jahren über Bergbauschäden klagen. Sie fürchten um ihr Heim, ihren Altersruhesitz oder ganz einfach um ihr Leben.
Auf der anderen Seite die Bergleute, die das Saarland über Jahrzehnte geprägt haben und denen die Landesregierung einen sanften Ausstieg bis 2018 versprochen hat.
Seit dem Beben sind diese Versprechen hinfällig, es wurde ein unbefristeter Abbaustopp verfügt und 3600 Mitarbeiter der Essener Ruhrkohle AG sind freigestellt. Jetzt kämpfen sie um ihre Arbeit, ihre Existenz.
Doch ihre Gegner organisieren sich erfolgreich. Selten in der Geschichte des deutschen Steinkohlebergbaus sah man mehr Gegner des Steinkohlebergbaus auf den Straßen als von der Schließung betroffene Kumpel.
Anfang dieser Woche trugen 1500 Bergbaugegner von der Saar ihren Protest sogar bis nach Essen und demonstrierten vor dem Konzernsitz der RAG. Mit Protestplakaten und Trillerpfeifen machten sie ihrem Ärger Luft und verlangten eine schnelle Schadensregulierung. „Niemand interessiert sich für uns in Deutschland“, moniert Peter Lehnert, der die vom Bergbau Geschädigten vertritt.
Härter noch formulierte es der Bürgermeister von Saarwellingen, der Stadt, die das Beben am härtesten traf: „Der Bergbau“, so Patrick Lauer, „muss zu Ende gehen, denn Menschenleben gehen vor wirtschaftliche Interessen.“
Es deutet einiges darauf hin, dass die Bergleute gegen diese Opposition einen schweren Stand haben werden.
Bei dem Erststoß im Abbaugebiet Pimsmulde Süd im Landkreis Saarlouis wird eine Stärke von 4,0 auf der Richterskala gemessen. Wände reißen ein, Stromkabel werden zerstört, der Strom fällt aus. Schornsteine stürzen von den Dächern, Lampen krachen vom Tisch auf den Fußboden.
Als das Beben vorbei ist, wird das Nauweiler Rathaus geräumt, jetzt arbeiten die Angestellten in Containern. Hunderte von Menschen werden mit Schocksymptomen behandelt.
Laut Landesverband der Bergbaubetroffenen Saar kommt es immer wieder zu schweren Beben, von denen bisher an die 150 000 Menschen betroffen sind. Schon seit Jahren fordert ihr Vorsitzender Peter Lehnert deshalb die Einstellung des Bergbaus. Er ist gefragt in diesen Tagen, sein Handy klingelt oft. „Sogar die SPD steht hinter uns“, sagt Lehnert.
Das neue Beben hat dem Verein viel Zuspruch gebracht. Noch am Samstag fand spontan die erste Demonstration von rund tausend Saarwellingern statt. Am Sonntag dann waren es 6000, die protestierten. „Hier ruht unsere Altersversorgung“, „Gott schütze unser Haus“ oder „Bergbau macht krank – macht endlich Schluss“ stand auf den Plakaten.
Denn die Menschen haben Angst.
Auf der anderen Seite, der der Bergleute, ist es wesentlich stiller. Niemand will dort wirklich das Leben seiner Mitmenschen gefährden. Aber es will auch niemand seinen Job verlieren.
Bergarbeiter wie Dieter Kröner, die seit zwanzig Jahren unter Tage arbeiten, können und wollen an ein Ende nicht glauben. Unweit der saarländischen Grenze, im lothringischen Petit Rosselle, ist ein Bergwerk geschlossen und als Besucherbergwerk umgebaut worden. Der Pütt als Museum – das will keiner von Kröners Kollegen.
Auch nicht Michael Fritz. Er hat vor einem Jahr ein Haus gekauft; seine Frau hat vor einem Monat Zwillinge geboren. Jetzt ist ihm nicht nach Glück auf. Was soll werden?
Doch die Gewerkschaft warnt vor den Folgen des Verlusts von über 5000 Arbeitsplätzen in der Region. „Ein sofortiger Stopp wäre nicht nur schlimm für die Bergleute, er hätte auch verheerende Folgen für das Land“, warnt Ulrich Freese von der Industriegewerkschaft Bergbau.
Die Gewerkschaft kritisiert, die Landesregierung habe kein Rezept, um Tausende von Bergleuten und Zulieferern vor der drohenden Arbeitslosigkeit zu bewahren. „Durch ihre verharmlosende Darstellung der Situation in der Debatte um die Steinkohleförderung an der Saar gefährdet die saarländische Landesregierung Arbeitsplätze und die wirtschaftliche Zukunft des ganzen Landes“, mahnt Gewerkschafter Dietmar Geuskens.
Auch die Kohlekraftwerke kämen nicht lange ohne Saarkohle aus. Die Vorräte reichen maximal für einen Zeitraum bis zu drei Monaten. „Wenn nicht innerhalb kurzer Zeit Kohle zu den saarländischen Bergwerken kommt, besteht die Gefahr, dass zusätzlich zu den anstehenden Problemen mehrere hundert Arbeitsplätze in der saarländischen Energiewirtschaft und den Kraftwerken gefährdet sind“, sagt Ver.di-Bereichsleiter Michael Blug.
RAG-Vorstandschef Bernd Tönjes prüft derweil technische Verfahren, die Beben in Zukunft verhindern sollen. Ganz hat er die Hoffnung auf einen Neustart nicht aufgegeben. Immerhin förderte sein Konzern an der Saar bislang 3,7 Mio. t Steinkohle im Jahr und erwirtschaftete im Jahr 2006 einen Umsatz von 517 Mio. €.
Bis Mitte März soll deshalb entschieden werden, ob der Abbau wieder aufgenommen werden kann.
Doch Ministerpräsident Peter Müller (CDU) tritt bewusst auf die Bremse. Er setzt sich schon lange für ein Ende des Bergbaus ein und erklärte den aktuellen Stopp des Kohleabbaus für unbefristet.
Müller hat ganz andere Ziele. Er will aus seinem Land ein Land der Innovationen machen, ein Autoland mit Industrie. Autohersteller und ihre Zulieferer wie Bosch, INA, Michelin und ZF Getriebe beschäftigen schon heute rund 23 000 Mitarbeiter, die Stahlindustrie floriert ebenso wie die Keramikindustrie mit Villeroy & Boch.
Auch die Informatikindustrie an der Saar kann sich sehen lassen. Mit IDS Scheer in Saarbrücken und SAP in Sankt Ingbert verfügt sie über zwei starke Pfeiler, die das Land nach Kräften ausbaut.
Mehr als 200 Unternehmen sind in den vergangenen Jahren aus der Saar-Universität ausgegründet worden und haben 2000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Das Deutsche Zentrum für künstliche Intelligenz, Max-Planck-Institute und Innovationscluster sind heute der Stolz der Wirtschaft. Kein Wunder, dass dazu keine Branchen passen, die es Steine regnen lassen. CORDELIA CHATON
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