Alpine Bergbauhilfe Ruhr
Technik, die unter schwierigsten geologischen Bedingungen in Deutschland funktioniert, ist ein Exportschlager für jeglichen Bergbau im Ausland. Ein Argument für die weitere Subventionierung?
Postkartenpanorama, strahlend blauer Himmel, frische Bergluft – das erlebt Ulrich Specht (36), wenn er zur Arbeit geht. Das „Bergwerk“ des Kumpels aus dem westfälischen Schermbeck liegt nicht mehr an der Ruhr, sondern in der Schweiz. Specht hat Betriebsschlosser auf dem Bergwerk Fürst Leopold in Dorsten gelernt und sich dort zum Techniker qualifiziert.
Jetzt ist er aber gemeinsam mit einem Dutzend weiterer Bergleute nicht mehr „vor Kohle“, sondern treibt bergmännisch den längsten Eisenbahntunnel der Welt durch das Schweizer St.-Gotthard-Massiv. Mit dabei ist auch Walter Wahl (41), ehemals Elektrotechniker beim Bergwerk Niederberg. Wahl und Specht gehören zu den Bergbau-Spezialisten, die für das anspruchsvolle Tunnelbauprojekt in den Alpen benötigt werden – eine Art „alpine Bergbauhilfe Ruhr“ für die Schweiz. „Bergbautechnik, die im Ruhrgebiet 1000 m unter der Erde läuft, kann auch im Gebirge eingesetzt werden“, sagt Specht.
Szenenwechsel knapp 1000 km weiter nach Norden, ins Ruhrgebiet. Hitze, Staub, Lärm – Elektro-Reviersteiger Olaf van Briel und Peter Thyrock von der Zentralen Technik der Deutschen Steinkohle wollen es unter Tage funken lassen. Sie arbeiten im Bergwerk Ost am Flöz „Sonnenschein“. Dort wird „eine Strecke aufgefahren“, also das Gestein – in Fachdeutsch: der Berg – vorbereitet für den Kohleabbau.
Bohrwagen, Bohrbühne und Ausbaumanipulatoren kommen unter widrigsten Umständen zum Einsatz – und das Ganze per Funksteuerung. Aber Funken unter Tage ist nicht so einfach. Unter dem Arbeitstitel „Funkfernsteuerung für elektrohydraulisch angetriebene, ortsveränderliche Betriebsmittel“ erproben die Beiden sensible Technik an einem der staubigsten und härtesten Arbeitsplätze, den die deutsche Industrie zu bieten hat.
Die Funksteuerung in der Mine ist keine technische Revolution, sondern nur ein kleiner Technologie-Schritt, geboren aus den Problemen vor Ort. Obwohl die Deutsche Steinkohle AG (DSK) eigentlich ein reiner Förderbetrieb ist, wird unter Tage zunehmend Technik entwickelt und angewandt. „Der Markt ist eng geworden, und wir können uns nicht darauf verlassen, dass Zulieferer von sich aus alles liefern, was wir benötigen“, sagt Jürgen Czwalinna (49), Forschungsleiter der DSK. 120 Forschungsprojekte hat die Deutsche Steinkohle derzeit in der Pipeline. Kleinere wie die Funkfernsteuerung, aber auch ambitionierte, wie den Einsatz der Brennstoffzelle unter Tage.
Dieses Projekt wird aktuell umgesetzt. Die Brennstoffzelle hat im Bergwerk erheblich bessere Chancen, kommerziell genutzt zu werden, als beim Einsatz über Tage: Dort verhindern ihre hohen Kosten im Vergleich zur bestehenden Technik den Marktdurchbruch.
Im Inselbetrieb des Bergwerks dagegen kann sich die Brennstoffzelle „rechnen“, weil die Bergbaumaschinen unter den Extrembedingungen unter Tage zu sehr viel höheren Kosten betrieben werden, als beim Einsatz über Tage.
Die Brennstoffzelle bietet sich als Energiequelle für den Maschinenpark der „Pütts“ an, kann bei Lokomotiven und Einschienenhängebahnen 1000 m unter der Erdoberfläche zum Einsatz kommen. Wenn die DSK-Experten das Problem gelöst haben, den Brennstoff für die Zellen sicher unter Tage zu bringen und dort zu lagern, sehen sie weltweit große Marktchancen für diese Technik. „In den USA scharren sie bereits mit den Hufen, dass wir das Projekt abschließen“, berichtet Czwalinna. „Etliche 10 000 Maschinen – wie beispielsweise die großen Fahrlader, die im US-Bergbau eingesetzt werden – können mit der Brennstoffzelle ausgerüstet werden.“
Den Techniktransfer von der Ruhr ins europäische Ausland, aber auch über den großen Teich in die USA, nach China, Südafrika und Australien besorgen bereits jetzt die DSK-Schwester Deutsche-Bergbau-Technologie (DBT) in Lünen und die Deutsche Montan-Technologie (DMT) in Essen. Die DMT „exportiert“ vor allem Ingenieurtechnik, hat beispielsweise das Know-how, den Schiefen Turm von Pisa auszurichten – wenn es denn gewünscht wäre.
Die DBT ist einer der beiden weltweit führenden Bergbauausrüster, bei den Schildausbaumaschinen ist man Weltmarktführer. Aufträge für die Spezialmaschinen kommen hauptsächlich aus dem Konzern, verkauft wird über die RAG-Grenzen hinaus.
Bei 70 % liegt die Exportquote, und 90 % der Exporte gehen wiederum an Konkurrenten. Die tonnenschweren Schilde aus Lünen in Westfalen, die unter Tage das Gebirge abstützen, während die Maschinen die Kohle abbauen, lernen dafür schwimmen, wenn sie über den Dortmunder Hafen nach Südafrika verschifft werden. Damit DBT weiter erfolgreich arbeiten kann, müssen mindestens fünf bis sechs Zechen in Deutschland auf Dauer rund 20 Mio. t Steinkohle jährlich fördern – und dafür staatliche Gelder erhalten, erklärte RAG-Chef Werner Müller noch am vergangenen Dienstag in Bottrop.
Die DBT-Mutter RAG Coal International betreibt selbst Zechen in Übersee. Dort können deutsche Kumpel bisweilen selbst Erfahrungen sammeln. Jüngst hat die internationale RAG-Tochter drei Kumpeln beispielsweise den Berufsstart in den USA ermöglicht. Die kamen dabei aus dem Staunen nicht heraus: Während in Deutschland die Schichtleistung je Mann bei gut 6 t stagniert, füllt in den USA ein Radlader in 88 Sekunden einen Truck, der dann mit 280 t geförderter Kohle auf dem Kipper das Bergwerk verlässt. Rund 50 $ kostet die Tonne, wenn sie verladen, um den halben Globus verschifft und am deutschen Kraftwerk aufgehaldet wird. Steinkohle von Ruhr und Saar schlägt mit 150 $ je Tonne zu Buche… M. ROTHENBERG
Subventions-Check: Bergbau
Ohne Kohle keine Kohle
Während in anderen Ländern Kohle im Tagebau abgeschaufelt wird, liegt deutsche Steinkohle etwa 1200 m tief. Der Abbau ist teurer. Seit der Krise der 50er Jahre wurde der deutsche Steinkohlebergbau mit 150 Mrd. € subventioniert, seit dem „Steinkohlekompromiss“ 1997 mit abnehmenden Raten. Bis 2005 wird die Fördermenge auf 26 Mio. t/a halbiert und die Subvention auf 2,7 Mrd. € gekürzt. 2003 werden 3,3 Mrd. € an Kohlesubventionen bezahlt. Für die Jahre nach 2005 laufen Verhandlungen. Die Belegschaft der noch zehn Steinkohlezechen, betrieben von der RAG-Tochter Deutsche Steinkohle AG, hat sich seit 1996 auf 44 000 Kumpel halbiert. Offizielle Argumente für die Subventionierung: Strukturwandel abfedern, Entwicklung und Export deutscher Bergwerkstechnik fördern, nationalen Energiesockel sichern. Dazu Prof. Henning Klodt vom IfW, Kiel: „Eine heimische Energiereserve ist so unnötig wie eine nationale Brötchenreserve.“ Schon bislang wurde die sinkende deutsche Kohleförderung stabil durch Importe ausgeglichen. Wenn es aber um die Technik gehe, fragt er, „warum gibt man den Herstellern nicht direkt das Geld? Wenn man so denkt, muss man wieder begründen, warum diese Industrie subventioniert wird und die anderen nicht“. Zur Frage des Strukturwandels stellt der Sachverständigenrat klar: Dieser Wandel werde durch die Subvention nicht gemildert, sondern behindert – denn Geld für Zukunftsinvestitionen fehlt. tg
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