Albertas Ölsand-Boom fegt Arbeitsmarkt leer
VDI nachrichten, Vancouver, 29. 9. 06, cha – Wenn in Fort McMurray etwas auffällt, dann sind es die vielen Plakate mit Jobangeboten vor den Geschäften der 65 000-Einwohnerstadt in Kanada. „Now Hiring“ und „Technician Wanted“, schreien die meist bunten Schilder heraus. Auf Fort McMurrays Arbeitsmarkt herrscht Ausnahmezustand.
Hier, im Epizentrum von Kanadas Ölsand-Boom, gibt es viel mehr Jobs als Kandidaten, obwohl die Zahl der Einwohner der Stadt seit Jahren um je 8 % wächst. Nie hat es in der Geschichte Kanadas so eine Knappheit an Arbeitskräften gegeben, heißt es bei Statistics Canada. Im Norden Albertas wogt der größte lokale Ölboom außerhalb Saudi Arabiens.
In den schwarzen Bitumenmassen rund um Fort McMurray – das Einheimische „Fort McMoney“ nennen – lagern 173 Mrd. Barrel Öl, ein Drittel der weltweiten Reserven und das zweitgrößte Vorkommen nach Saudi Arabien. Rekordhohe Ölpreise auf dem Weltmarkt haben die technisch aufwändige Ölförderung rund um die Stadt bei Kosten von 25 Dollar je Barrel so profitabel gemacht, dass nach Angaben der Canadian Association of Petroleum Producers allein bis 2010 Investitionen im Umfang von 62 Mrd. € hier realisiert werden sollen, doppelt so viel wie in den vergangenen zehn Jahren. Doch jede Mrd. Investitionen produziert 2000 neue Jobs, hat das Alberta Department of Energy ausgerechnet.
Der Boom hat den Arbeitsmarkt der Provinz so leer gefegt, dass Alberta die niedrigste Arbeitslosenrate Kanadas aufweist. Mit 3,1 % ist sie lediglich halb so hoch wie im Schnitt des Landes. Energiefirmen fliegen Ingenieure und Handwerker ein. Die Jagd auf qualifiziertes Personal ist so aggressiv, dass Bürgermeisterin Melissa Blake im Rathaus von Fort McMurray jedes Jahr 17 % ihrer Beamten ersetzen muss, so viele werden abgeworben. Techniker, Geologen und Petro-Ingenieure werden selbst in den Gefängnissen der Region gesucht. Sie müssen Pipelines verlegen, Ölfelder suchen, Maschinen warten, Minenschächte berechnen und Raffinerien bauen. Die Fachkräfte fehlen, obwohl Handwerker in den Bitumen-Minen der Gegend 70 000 € im Jahr verdienen können.
Rund 100 000 Arbeitskräfte werden der Provinzregierung zufolge in den kommenden zehn Jahren fehlen, die meisten davon müssen technische Qualifikationen mitbringen. „Es gibt nicht genügend Ingenieure und Techniker“, sagt Laurie Milton, Professorin an der Haskayne School of Business der Uni von Alberta. „Wir bekommen die Panik“, bestätigt Jerry Heck, Berater bei „Careers: The Next Generation“, einer Initiative, die mit Geld der Industrie Techniker-Nachwuchs ausbildet oder sucht. Eine Auswertung der Stellenanzeigen im „Calgary Herald“ hat ergeben, dass Techniker nach Marketingleuten die am häufigsten gesuchte Gruppe sind, gefolgt von Chemie- und Petroleum-Ingenieuren. Die krisenhafte Knappheit wird sich noch zuspitzen, sagen Beobachter. Denn bis 2015 soll sich die Produktion rund um Fort McMurray auf 3 Mio. Barrel pro Tag verdreifachen. Doch schon jetzt haben 66 % aller Firmen hier Probleme, geeignete Leute zu finden, belegt eine Umfrage der Merit Contractors Association. Eilig versuchen Ausbildungsstätten und Firmen, sich gegen Schlimmeres zu wappnen.
Die Universität von Calgary will im Grundstudium der Ingenieur-Fakultät jedes Jahr 1000 Studierende mehr einschreiben. Ähnliches plant die Uni von Alberta. Das Southern Alberta Institute of Technology startete einen Pilotversuch, um Jugendliche mit technischen Werdegängen in der Energiebranche vertraut zu machen. Ob die Anstrengungen helfen, steht in den Sternen. Das Beratungsunternehmen Deloitte veröffentlichte im August den „2006 Energy and Resources Talent Pulse Survey“. Er enthüllt, dass 80 % der Firmen in der Region aufgrund des Technikermangels eine verringerte Produktivität beklagen. Die Hälfte aller Unternehmen kann deswegen nicht alle Aufträge annehmen. MARKUS GÄRTNER
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