Virtuelle Bahnfahrt überzeugt mit realen Bildern
VDI nachrichten, Gießen, 28. 3. 08, wop – Zur Ausbildung von Fahrzeugführern werden heute fast bei jedem Verkehrsbetrieb Simulatoren verwendet. Eine neue „Generation“, entwickelt an der FH Gießen-Friedberg, benutzt realistische statt virtueller Bilder und verspricht ebenso deutlich kostengünstigere Lösungen.
Merkel hat sich seit fünf Jahren eingehend mit Fahrsimulatoren auseinandergesetzt und mit seinen Studenten die Entwicklung auf den heutigen Stand gebracht. Weil die Bewegung nur von der Weglänge abhängt, lasse sich mit den heutigen Möglichkeiten der digitalen Fotografie eine ausreichende Zahl von Bildern aufnehmen und vorrätig halten, um bei der Simulation einen lebensnahen Eindruck von der Fahrt entstehen zu lassen.
Allerdings bedeutet auch das Aufnehmen der Bilder keine leichte Aufgabe, so Merkel: „Wir benutzen eine Hochgeschwindigkeitskamera, die bis zu 1000 Fotos/s in Farbe mit einer Auflösung bis zu 1280 Punkten je Zeile aufnehmen kann. Sie hat den Nachteil, dass bei hohen Bildfolgen befriedigende Ergebnisse nur mit kurzen Belichtungszeiten und damit bei gutem Wetter zu erreichen sind.“
Die Kamera lasse auch örtlich definiertes Auslösen zu, gesteuert etwa durch Wegimpulse, die vom Gleitschutzgeber abgeleitet werden. Durch dieses „Triggern“ entsteht eine regelmäßige Bildfolge, was gleichmäßigen Wegabständen entspricht und für die Verarbeitung besonders vorteilhaft sei. Zur Simulation einer Fahrt mit geringerer oder höherer Geschwindigkeit suche der zugehörige Rechner nach jedem Simulationsschritt das passende Bild.
„Als Alternative verwenden wir eine HD-Kamera“, erläuterte Merkel, „die sich zwar nicht triggern lässt, so dass die Wegdaten besonders aufgezeichnet und zugeordnet werden müssen. Sie liefert nur 30 Fotos/s, aber auch bei ungünstigen Lichtverhältnissen gute Ergebnisse.“
Für die ersten Aufnahmeversuche stellte die Hessische Landesbahn ihre Strecke von Frankfurt-Höchst nach Königstein zur Verfügung. Dort aufgezeichnete Fotos fanden dann bei der Münchner U-Bahn solchen Anklang, dass sich daraus ein erster Auftrag für einen Vorführsimulator ergab. Er ist mittlerweile im kürzlich eröffneten Museum der Münchner Verkehrsgesellschaft eingerichtet und erwies sich sogleich als Publikumsmagnet. Die Besucher können dort selbst in einem originalgetreuen Führerraum „auf die Strecke gehen“. Dabei läuft die Fahrt weitgehend genauso ab wie in Wirklichkeit.
„Dieser Auftrag hat die Entwicklung des Verfahrens wesentlich beschleunigt, uns aber auch vor neue Herausforderungen gestellt“, berichtete Merkel. Denn erstmals mussten nun Tunnelstrecken aufgenommen werden. Die Züge durchfahren sie im Dunkel, damit der Fahrer Signale und Tafeln möglichst gut erkennen kann. Im Simulator soll jedoch auch der Tunnel selbst zur Geltung kommen, ohne dass der Eindruck einer Fahrt durch den Untergrund verloren geht. „Die Tunnelbeleuchtung, eine Belichtungsautomatik oder Aufnahmen ohne Rücksicht auf die Lichtverhältnisse lieferten kein befriedigendes Ergebnis“, schilderte Merkel.
„Schließlich haben wir doch einen Weg gefunden: Auf der Rangiererbühne einer Lok wurde neben der Kamera ein Scheinwerfer mit 1000 W montiert, der den Tunnel diffus ausleuchtete“, sagte Merkel: „Dadurch sind viele Details erkennbar, ohne dass ein heller Lichtkegel die Illusion von der Fahrt durch die Tunnelröhre verloren gehen lässt.“ In mehreren Nächten entstanden von den Strecken U3 und U6 vollständige Aufnahmen, die nebenbei den Zustand dieser Strecken mit Stand 2007 auch fürs Archiv dokumentieren. Im Norden Münchens verläuft die U-Bahn bis Hochbrück im Freien, wo sich bei den Aufnahmen keine Schwierigkeiten ergeben hätten.
Bei Simulationsübungen zur Mitarbeiterschulung müssen sich auch die betrieblichen Situationen verändern, Signale zum Beispiel von Rot auf Grün stellen lassen, um richtiges Verhalten zu üben. „Das erreichen wir, indem in die realen Bilder Signale als zweidimensionale Objekte eingeblendet werden“, erläuterte der Hochschullehrer. Keinen Zweifel lässt er daran, dass die Entwicklung trotz der brillanten Ergebnisse noch keineswegs am Ende ist.
Um das neue optische Verfahren in ein optimales Simulationsprogramm einzubinden, arbeitet Merkel mit Hansjürg Rohrer von der Berner Fachhochschule in Biel zusammen. Dort hat Rohrer, Professor für Elektrische Maschinen und Zugförderung, in der Arbeitsgruppe für Transporttechnik (ATT) seit 1995 den Simulator „Locsim“ entwickelt, der anhand der Strecken- und Fahrzeugdaten die Fahrphysik sehr exakt und realistisch berechnet.
„Inzwischen haben wir auch bei den Aufnahmen nachgezogen“, ergänzte Rohrer: „Durch Überlagerung von Bitmaps können wir im Videofilm ebenfalls Signale während der Simulation verändern, Weichen nach verschiedenen Fahrwegen stellen, ja auf der Doppelspur sogar virtuelle Gegenzüge einblenden“. Demnächst werden die Münchner U-Bahnfahrer einen Teil der vorgeschriebenen Streckenkenntnis an einem Simulator aus Friedberg erwerben können. Mit der neuesten Version der „Punktförmigen Zugbeeinflussung“ (PZB 90) auf dem Netz der Deutschen Bahn sollen Lokomotivführer bald ebenfalls an einem solchen Simulator vertraut gemacht werden. RALF R. ROSSBERG/WOP
Kamera liefert 1000 Fotos/s mit hoher Auflösung
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