TU Dresden auf neuen Wegen beim Flugzeugbau
Werden Flugzeugrümpfe bald geflochten? Können Turbinen dank superleichter Carbonschaufeln flüstern? Und wie belastbar sind Kardanwellen aus Kunststoff? Wissenschaftler des Instituts für Leichtbau und Kunststofftechnik der Uni Dresden (ILK) gehen diese Fragen systematisch an und spannen den Bogen dabei von Grundlagenforschung bis hin zu fertigen Produkten.
Als die 288 Garnrollen zu tanzen beginnen, strahlt Werner Hufenbach übers ganze Gesicht. „Eine der größten Radialflechtanlagen der Welt“, schwärmt der Leiter des Instituts für Leichtbau und Kunststofftechnik (ILK) der TU Dresden.
Die gigantische Maschine hat einen Durchmesser von 7 m. Ihre 144 Klöppelpaare drehen sich in der Außenbahn im Kreis und ziehen dabei in Schlangenlinien aneinander vorbei. Gleichzeitig dreht sich das Riesenrad. Wie Fahrradspeichen treffen sich 288 Garnfäden an einem etwa 3 m langen und 50 cm dicken Rundkern an der Mittelachse. Dieser wird von einem Fertigungsroboter kaum merklich vorangeschoben. Erst die Hälfte des Kerns ist von Geflecht umhüllt. Die Klöppel müssen noch ein Weilchen tanzen, um ihn ganz zu umgarnen. „Wir haben die Anlage langsam gestellt. Beim normalen Arbeitstempo sehen Sie weder Fäden noch Klöppel“, erklärt Hufenbach.
TU Dresden nimmt Radialflechtenanlage in Betrieb
Als das Riesenrad im August vergangenen Jahres in Betrieb genommen wurde, fabrizierte es zunächst nur weiße Geflecht-Schläuche von etwa 5 cm Durchmesser. Fertigungsingenieur Marco Zichner zeigt die ersten Versuche. Bei einigen verläuft das Geflecht unregelmäßig, teils aufgeraut. „In den ersten Wochen war es zum Verzweifeln“, so Zichner. Doch man lerne täglich dazu. Die neuesten Flechtereien sind tatsächlich ebenmäßig. Und die Durchmesser nehmen deutlich zu.
Fernziel sind 4,20 m Durchmeser – das Maximum der Anlage. „Wenn es an solche Formate geht, steht der Kern in der Mitte, dann schieben wir das Rad“, so Zichner, während die Klöppel im Hintergrund klingelnd weitertanzen. Hufenbach hat das Riesenrad auf Schienen stellen lassen, damit es bis zu 22 m lange Bauteile flechten kann.
Genaugenommen flicht das Rad keine Bauteile sondern deren Halbzeuge. Das Geflecht besteht je zur Hälfte aus Glasfaser und einem Thermoplast, etwa Polyamid oder Polypropylen. Statt der Glasfasern können auch Kohlenstoff-, Aramid- oder Naturfasern zum Einsatz kommen. Das Gewebe wird dann in Spezialöfen zu Bauteilen aus Faserverbundwerkstoffen gebacken. Dabei umschmilzt der Thermoplast die Fasern, die ihm je nach Ausrichtung höchste Bruch- und Reißfestigkeit verleihen.
Erste Produkte gibt es bereits. Olaf Helms, Konstrukteur am Institut, zeigt eine federleichte, hohle Kardanwelle. Die leichte Welle ließe sich hier auf der Anlage als Endlosschlauch flechten. „Damit können sie Riesenmomente übertragen, ob im Lkw, Pkw oder in Maschinen“, so Hufenbach.
Doch bei 4,20 m Durchmesser und 22 m Länge geht es nicht um Gelenkwellen. Entstehen hier neue Flugzeugrümpfe, am Stück geflochten und dann gebacken? „Möglich ist viel“, sagt Zichner orakelnd. Doch ehe so etwas praktisch umsetzbar sei, müsse noch viel Grundlagenforschung geleistet werden. Konstruieren mit Faserverbundwerkstoffen ist schließlich eine vergleichsweise junge Disziplin.
Wissenschaftler der TU Dresden simulieren Belastungen in dreidimensionalen Bauteilen
Am ILK simulieren die Wissenschaftler, welche Belastungen in dreidimensionalen Bauteilen auftreten. Dabei können sie per Mausklick unterschiedliche Fasertypen berücksichtigen. Ehe die konkrete Produktplanung beginnt, simulieren die Forscher künftige Belastungen und entscheiden daran, welche Fasern sie nehmen. Auch das umgebende Harz oder der Thermoplast will anhand der künftigen Betriebsbedingungen sorgfältig ausgesucht sein. „Die Kunst besteht dann darin, die Fasern genau in die Position zu bringen, in der sie den Belastungen am besten gewachsen sind“, so Hufenbach. Denn während die zu Bündeln vereinten Filamente hohen Zugkräften widerstehen, brechen sie fast widerstandslos, wenn Kräfte seitlich einwirken.
Genau diesen Effekt führt Zichner nun vor. Er nimmt ein Bündel schwarzer Kohlenstofffäden und zieht aus Leibeskräften daran. Nichts passiert. Doch als er seitlich mit dem Daumennagel drückt, bricht das Bündel sofort. Für die umstehenden Wissenschaftler ist das ein alter Hut. Sie befassen sich mit der höheren Kunst der Zerstörung an millionenschweren Prüfständen.
Prüfingenieur Thomas Haupt muss sich dafür sogar hinter Panzerglas verschanzen. Er bedient einen Hochgeschwindigkeitsrotorprüfstand, der eingespannte Werkstücke auf bis zu 250 000 Umdrehungen pro Minute rotieren lässt: Schleudern, bis die Zentrifugalkräfte die Werkstücke zerreißen.
Im Labor liegen viele geborstene Faserstrukturen, unter anderem zwei Schutzdeckel für medizintechnische Zentrifugen. Eine hätte im Ernstfall wenig genützt, ihre Wand ist zerfetzt. Die andere ist deformiert, aber intakt. „Sie sind beide exakt mit demselben Material und derselben Faserausrichtung gefertigt“, erklärt Zichner. Allein das Fertigungsverfahren habe sich unterschieden.
Wissenschaftler der TU Dresden setzen auf Faserverbundwerkstoffe
Der Ingenieur sieht das als entscheidenden Vorteil von Faserverbundwerkstoffen: „Sie haben einen integrierten Kopierschutz.“ Ohne Fertigungsintelligenz und Material-Know-how sei es unmöglich, Bauteile von hoher Qualität zu reproduzieren. Das Beispiel zeigt umgekehrt, wie wichtig es ist, dass bei Planungs- und Produktionsprozessen mit Faserverbundwerkstoffen alle Beteiligten ihr Handwerk verstehen. „Wir untersuchen mit inzwischen 170 Mitarbeitern die gesamte Prozesskette von der Faser bis zum fertigen Leichtbauteil“, sagt Hufenbach. „Und zwar Werkstoff- und Produktübergreifend.“ Es gehe am ILK keineswegs nur um Faserkunststoffe, sondern auch um Stahl oder textilverstärkte Leichtmetalle wie Magnesium. Systemleichtbau sei nur durch enge Verzahnung grundlegender Materialforschung mit konkreter Produktentwicklung sowie entsprechendem Planungs- und Fertigungs-Know-how realisierbar.
Getüftelt und produziert wird keineswegs im Elfenbeinturm. Im Gegenteil: Die Industrie steht Schlange vor dem ILK. Autokonzerne lassen hier ebenso forschen wie Stahlproduzenten und Luftfahrtzulieferer. Zeugnisse davon sind überall in den Hallen des Leichtbaucampus verteilt – verdeckt unter Planen und Decken. Denn das Gros der Forschungen ist zu geheim, als dass Hufenbach und seine Kollegen darüber reden dürften.
Seit März unterhält auch Triebwerkhersteller Rolls-Royce ein An-Institut am ILK. Es soll in EU-weiten Projekten helfen, Turbinen den Durst ab- und das Flüstern anzugewöhnen. Im Fokus stehen dafür die Fan-Schaufeln. Noch werden sie aus Titan gefertigt. Künftig könnten sie aus Faserverbundwerkstoff gebacken werden, weil sie dann fester, billiger, formstabiler, vibrationsärmer, leiser und vor allem leichter wären als bisher. Um ein Drittel soll das Fan-Modul abspecken. „Dann könnten auch sämtliche Lager und das ganze Drumherum viel sparsamer ausgelegt werden“, erklärt Hufenbach, und es ist ihm anzumerken, wie gern er jetzt von den Details des Projekts berichten würde. Denn ein Gutteil des Wegs zur Plastikturbinenschaufel hat er mit seinem Team schon zurückgelegt. Sie haben die Schaufeln simuliert, gefertigt, und befinden sich nun inmitten aufwändiger Testreihen, um etwa zu klären, wie sie sich bei Vogelschlag verhalten, wie es um ihre Dauerstabilität und Temperaturbeständigkeit bestellt ist, oder wie sie dauerhaft mit anderen Materialien zu verbinden sind.
Die Tests und Simulationen werden noch Jahre in Anspruch nehmen. Ehe die neuartigen Fan-Module tatsächlich Luft in Flugzeugturbinen schaufeln, stehen lange Dauerbelastungstests an. Doch Hufenbach ist fest überzeugt, dass er die Zukunft an seinem Institut bereits in Händen gehalten hat.
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