Schiffbau 30.04.1999, 17:21 Uhr

„Tor auf, Schiff raus, Tor zu“

Mit dem Bau von Spezialschiffen, von Viehtransportern bis hin zu luxuriösen Kreuzfahrtschiffen, hat sich die Meyer-Werft eine Marktnische erobert.

Irgendwie kommt das Gefühl auf“im falschen Film“ zu sein, wenn man unvorbereitet in die gewaltige Halle tritt. Dort, wo man Fertigungsstraßen und Montageanlagen erwartet, liegt ein gigantischer, mit grauer Rostschutzfarbe gestrichener Klotz. Eingezwängt zwischen Arbeitsbühnen, über die Menschen mit Werkzeugen und Plänen laufen, schiebt sich der graue Klotz gut 50 m über den Betrachter in die Höhe.
Traut man sich nah genug ran, wird der schmale Wassergraben sichtbar, der sich um den Klotz zieht, nicht breiter als ein Arm lang ist. Denn in dieser riesigen Halle befindet sich eines der größten überdachten Schwimmdocks – und aus dem grauen Klotz soll einmal ein luxuriöses Kreuzfahrtschiff werden, die „SuperStar Virgo“.
Schon von weitem ist die enorme Dockhalle der Meyer-Werft – 370 m lang, 102 m breit und 60 m hoch – im platten Emsland bei Papenburg ein beeindruckender Wegweiser. Mit einer Fläche, auf der mehrere Fußballfelder Platz hätten können hier Schiffe nahezu aller Größen und Bestimmungsziele geschützt vor Wind und Wetter gebaut werden.
In der Halle sind die Konturen der „SuperStar Virgo“ schon klar zu erkennen – eine schwimmende Luxusstadt mit allem, was ein verwöhnter Urlauber in seinen Ferien sucht: Kinos, Theatern, zahlreichen Restaurants und Sportstudios in Hülle und Fülle. 2000 Passagiere werden sich einmal auf dem Schiff amüsieren können, bedient von gut 1000 Mannschaftsmitgliedern.
Doch nur ein paar Meter weiter, durch eine bewegliche Unterteilung von dem Kreuzfahrer getrennt, liegt bereits der Bug des nächsten Großschiffs, der „Aurora“, im leergepumpten Trockendock.
In der eigentlichen Dockanlage, die 358 m lang und 40 m breit ist, können Schiffe bis zu 140 000 BRT gebaut werden. Neben der Schiffsbauhalle zieht sich auf dem 233 000 m2 großen Werftgelände noch ein Trockendock von 240 m x 35 m entlang sowie vier Ausrüstungs- und Reparaturkais von insgesamt 680 m Länge.
Rund 2000 Mitarbeiter aus dem Umland sind hier beschäftigt – die Werft ist einer der wichtigsten Arbeitgeber in der strukturschwachen Region.
Es ist noch gar nicht so lange her, da blickten die Betreiber der damals noch florierenden deutschen Werften höchstens mit einem verächtlichen Stirnrunzeln auf die Meyer-Werft im emsländischen Papenburg. Baute man doch hier, tief im Binnenland, Tanker und Kreuzfahrtschiffe, während weltweit der Trend zum Bau von Containerschiffen ging.
Mittlerweile sind einige Jahre vergangen, und die Werftindustrie in Deutschland liegt am Boden. Nur in Papenburg hat sich die seit mehr als 200 Jahren in Familienbesitz befindliche Meyer-Werft halten können. Mehr noch: Schiffe, die unter der gold-rot-blauen Firmenflagge vom Stapel laufen, sind weltweit so gefragt, daß die Auftragsbücher der emsländischen Schiffsbauer auf Jahre hinaus gefüllt sind und die Werft zu den führenden Herstellern von Luxuskreuzfahrtschiffen zählt.
Während die anderen Werften mit ihren Containerschiffen in die Krise fuhren, begann die Papenburger Meyer-Werft frühzeitig Spezialschiffe zu bauen, Schiffe, bei denen ein besonderes Know-how und damit auch besondere Fertigungstechniken erforderlich sind. Mit dem Bau solcher Schiffe, vor allem von Tankschiffen, aber auch Lebendvieh-Transportern und nicht zuletzt den Kreuzfahrtschiffen, hatte das Unternehmen seine Marktlücke gefunden und sein Überleben gesichert.
Neben der Dockanlage in der Halle ein unübersichtliches Durcheinander von riesigen Schiffsteilen: Mit etwas Phantasie sind Kabinen oder Stücke von größeren Räumen zu erkennen.
„Schiffsmodule“, erklärt Werftsprecher Peter Hackmann mit Blick auf die riesigen Elemente, „wir bauen unsere Schiffe wie mit einem Lego-Baukasten“.
In monatelangen Vorgesprächen mit den künftigen Schiffseignern werden alle Details von der Größe bis hin zur Ausstattung der Kabinen festgelegt – und dann kommen in letzter Minute noch die Änderungswünsche. „Für unser neuestes Schiff, die “Aurora“, waren die Baupläne schon fertig“, zeigt Hackmann auf den Bug des Schiffsskeletts im Trockendock. „Dann kam der Film “Titanic“ ,und auf einmal wollte der Reeder für die Aurora auch einen Vorsprung in der Bugreling haben, wie das Filmschiff.“ Also mußte eine neue Reling her.
Dafür, daß sich die Passagiere der „Aurora“ vorn am Bug wie Leonardo di Caprio den Wind durch die Haare wehen lassen können, sorgt die Konstruktionsabteilung. Von ihren Büros unmittelbar neben dem Schwimmdock können die Ingenieure der Werft durch eine vollverglaste Wand das tägliche Wachsen des Schiffes beobachten, während sie auf ihren Computern schon am Bau des nächsten Teilstückes arbeiten.
Handzeichnungen sind heute selten, das Schiff entsteht fast vollständig im Computer. Dort wird das fertige Computermodell in rund 50 Bausegmente zerlegt. Diese Segmente wiederum werden in den Werksanlagen der Werft Stück für Stück vorgefertigt und neben dem Dock gestapelt.
Bereits in dieser Phase beginnt der Innenausbau des Schiffes. Rohrleitungen und Kabelschächte, Strom- und Wasserleitungen, Treppen und sogar die Naßzellen werden montiert. Ist ein solches Modul fertiggestellt, wiegt es rund 600 t. Die eigentliche Montage dieses „Bausteins“ auf dem Schiffstorso erfolgt schließlich mit Hilfe eines gigantischen Brückenkrans. „Wenn die einzelnen Module eingebaut werden, sind sie soweit fertig, daß praktisch nur noch die Betten bezogen und die Handtücher in die Naßzellen gehängt werden müßten“, so Hackmann.
Ein paar Wochen später ist der große Augenblick da. Langsam öffnen sich die Tore der Dockhalle und geben der „SuperStar Virgo“ den Weg frei in offene Gewässer. „Tor auf – Schiff raus – Tor zu“, kommentiert ein Werftmitarbeiter lapidar diesen großen und immer noch bewegenden Moment für die Werft, der dem früheren Stapellauf entspricht und jedesmal Hunderte von Schaulustigen anlockt.
Nicht daß das Schiff für den Weg vom Dock zum Ausrüstungskai die Schiffsmotoren anließe – für das Schwimmdock würde das ein jähes Ende bedeuten. Dennoch verläßt jedes Schiff aus eigener Kraft die Halle: Geführt von einer Leitschiene, die in Verlängerung des Docks in das Vorbecken hineinreicht, zieht sich das Schiff über die eigenen Ankerwinden aus der Halle ins Freie. Dort werden die Trossen von der Leitschiene gelöst und neu ausgelegt, so daß sich das Schiff letztlich selbst an den Ausrüstungskai ziehen kann.
Kaum hat es dort angedockt, wird das Trockendock mit dem schnell wachsenden Rumpf der Aurora geflutet, und der Rumpf an die Stelle der „SuperStar Virgo“ gezogen.
So lange ist es noch gar nicht her, da wurden auch in Papenburg die großen Luxusliner in der traditionellen Art über eine Slipanlage seitlich zu Wasser gelassen. Erst als die Schiffe zu groß und komplett im Schwimmdock gebaut wurden, ersetzte man auf der Meyer-Werft den Stapellauf durch das sogenannte Ausdocken.
Jetzt dümpelt die „SuperStar Virgo“ am Ausrüstungskai und wird dort wohl auch noch für einige Wochen liegenbleiben, bis sie endgültig startklar ist.
Dann aber kommt eines der spektakulärsten Schauspiele: die Überführung des fertigen Schiffes von Papenburg nach Emden.
Obwohl jedes Jahr mehrere Schiffe, egal ob Neubauten, Umbauten oder Reparaturen, die Werft verlassen, bleibt diese Überführung immer noch eine Attraktion der besonderen Art, die Schaulustige von Nah und Fern ins Emsland lockt.
Rund 50 km lang ist die Strecke auf der, im Vergleich zu solch großen Schiffen, fast lächerlich schmal wirkenden Ems. Diese Überführungen, für die ein eigenes Satelliten-Navigationssystem eingerichtet wurde, stellen nicht nur an die Besatzungen der Schiffe höchste Ansprüche. Während die Brücken-Crew schon Wochen vor der „Emspartie“ in einer werfteigenen Simulatoranlage im holländischen Wageningen für die bevorstehende Flußfahrt trainiert, stehen Spezialmonteure des Wasser- und Schiffahrtamtes sowie der Bahn AG bereit, um am Tage der Überführung in der Nähe des Städtchens Weener eine Eisenbahnbrücke zu demontieren und – nachdem das Schiff das Nadelöhr passiert hat – wieder zu montieren, damit der Bahnverkehr auf der Nord-Süd-Route möglichst wenig beeinträchtigt wird. Die eigentliche Durchfahrt durch diese Lücke ist buchstäblich Millimeterarbeit, da dem Lotsen zum Manövrieren kaum soviel Platz zur Verfügung steht, wie ein durchschnittlicher Autofahrer zum Einparken benötigt. Zudem bedeutet der Wasserstand, der hier schon von den Gezeiten beeinflußten Ems ein zusätzliches Risiko, so daß der traditionelle Wunsch der „Handbreit Wasser unterm Kiel“ für die Schiffe der Meyer-Werft eine völlig neue Bedeutung erhält.
Auf Wasser unterm Kiel hoffen die Papenburger Schiffbauer auch in Zukunft. Neun Luxusschiffe mit Tonnagen zwischen 42 000 BRT und 76 800 BRT verließen seit 1986 das Werftgelände. Mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von rund 850 Mio. DM zählt die Werft zu den erfolgreichsten Handelsschiff-Bauern nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa.
Unter dem Dach der riesigen Halle zeichnen sich mittlerweile die Konturen der „Aurora“ immer deutlicher zwischen den Arbeitsbühnen ab. Nicht mehr lange, dann heißt es wieder: „Tor auf, Schiff raus, Tor zu“.
THORSTEN HANSEN
Die SuperStar Leo, das Schwesterschiff der Virgo, am Ausrüstungskai der Meyer-Werft in Papenburg. 1980 verließ der bislang größte Viehtransporter der Welt, die „Al Shuwaikh“, mit einer Ladekapazität von 125 000 Schafen, die Werft in Richtung Kuwait. Die SuperStar Virgo in der Dockhalle. Im Vordergrund gewinnt die Aurora erste Konturen.

 

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