Siemens baut Züge nun auch im Osten
VDI nachrichten, Prag, 25. 6. 04 -Siemens baut Züge nun auch in Tschechien. Außer in Krefeld fertigt der Konzern jetzt in Prag Eisenbahnen für den europäischen Markt. Dort entsteht eine der modernsten Produktionsstätten für Schienenfahrzeuge. Anfang Juni wurde eine besonders umweltgerechte Lackiertechnik eingeführt. Strategisch ziele der Standort auf Osteuropa, heißt es bei Siemens, aber auch Züge etwa für Großbritannien werden dort gefertigt.
Vor gut zwei Jahren hat Siemens Transportation Systems (TS) in Tschechiens Hauptstadt den Grundstein für einen neuen Produktionsstandort gelegt, den der Geschäftsbereich vor allem für den Markt im Osten einsetzen wird, heißt es bei TS.
Siemens übernahm 2001 die Aktivposten der traditionsreichen, im Jahr zuvor in Konkurs geratenen ¿KD im Prager Stadtteil Zli¿in(Liegenschaften: 229 000 m2 Grund- und 86 000 m2 Fertigungsfläche). Nun füllen sich die verhältnismäßig neuen, modernen Hallen mit innovativer Technik zum Bau von Zügen aus Aluminium (Al) und Stahl.
Am 9. Juni durchschnitt der tschechische Umweltminister Libor Ambrozek das Band zur symbolischen Freigabe einer neuen Lackiererei. Und er freute sich, „dass dieser Industriebetrieb in vorhandenen Hallen entsteht und keine weitere ,grüne Wiese“ verbraucht“. Auch werde dem Umweltschutz vielseitig Rechnung getragen, was die Genehmigung der Anlage erleichtert habe, so Ambrozek, beispielsweise der Einsatz von Wasserlacken ohne chemische Lösungsmittel, die aufwändigen Abluft- und Filtersysteme sowie die Wärmerückgewinnung.
Trotz insgesamt fünf Kabinen bildet die Lackiererei noch einen Engpass bei der geplanten Fertigung von 230 Wagenkästen im Jahr. „Wir müssen deshalb die Lackierkapazität um drei weitere Kabinen erweitern“, sagte Manfred Seibert, technischer Leiter des Prager Werks, vor der Presse. Die alte Lackiererei werde abgerissen und damit zusätzliche Montagefläche gewonnen.
Obwohl die Lage der potenziellen Kunden in Osteuropa nach wie vor als prekär beurteilt wird, überwiegt bei Siemens der Optimismus. „Der Markt hat große Perspektiven“, sagte Jan Maj, Chef von TS-Tschechien, auch wenn die Schere zwischen Bedarf und Finanzierungsmöglichkeiten derzeit noch weit auseinander klaffe. Den größten Markt für Metros sieht er in Russland. In Polen gelten die Chancen ebenfalls als gut. In Tschechien werde sich die Metro Prag weiter entwickeln und womöglich auch Brünn eine erhalten.
Einen näher liegenden Grund für das Engagement in Tschechien nennt der kaufmännische Leiter des Prager Werks, Klaus G. Aigner: den Lohnvorteil. Gegenüber Deutschland liege das Arbeitskostenverhältnis bei etwa 1:5. Das werde trotz des EU-Beitritts noch Jahre so bleiben, wie sich in Portugal und Spanien gezeigt habe. „Wir versuchen, auch Zulieferanten in Osteuropa aufzubauen, um so den Kostenvorteil noch zu vergrößern“, räumte Aigner ein. Allerdings habe bei der Lieferantenstruktur die Qualität Vorrang.
In Tschechien könne ohne Widerstand der Gewerkschaften an sieben Tagen in der Woche in drei Schichten gearbeitet werden, hieß es. Die gegenwärtig rund 830 Mitarbeiter des neuen Werks gelten als hoch motiviert und akzeptierten die Arbeitsbedingungen. Immerhin bot ihnen TS nach dem Konkurs des einst mächtigen ¿KD-Konzerns wieder einen Arbeitsplatz.
Zertifiziert ist das Prager Werk nach den gleichen Standards wie alle deutschen Siemens-Werke. Hinzu kommt beim Standort Zli¿in die Ausrüstung nach neuestem Stand. Noch dieses Jahr soll das Laser-Hybridschweißen im Stahlbau eingeführt werden. „Da sind wir weltweit das erste Werk für Eisenbahnfahrzeuge“, merkte ein beteiligter Ingenieure an. Die Vorteile Zli¿ins werden in den Werken Krefeld und in Wien nicht ohne Argwohn gesehen: Bald könnten Aufträge nach Prag abwandern, zu Lasten der Arbeitsplätze in Deutschland und/oder Österreich.
Schon jetzt wird in Prag allerhand produziert, was im engen Sinn nicht zu „Trains“ gehört: z.B. Doppelstockwagen für Österreichs Bundesbahnen und die S-Bahn Zürich. Das hänge damit zusammen, dass Zli¿in Kompetenzzentrum für Fahrzeuge aus Schwarzstahl werde soll, so TS. Begonnen habe die Fertigung mit Komponenten wie den Seitenwänden der Viersystemlok „189“ für die Deutsche Bahn. Nun sei das Werk in der Lage, die Wagenkästen vollständig herzustellen. In großem Umfang füllen die Prager Halle aber auch Al-Wagen, wie der „Desiro“ für Großbritannien und Al-Kabinen für automatische Metros mehrerer europäischer Städte. R. R. ROSSBERG/WOP
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