Sächsischer Handwerkerstolz
VDI nachrichten, Dresden, 6. 7. 07, ciu – Mit dem überarbeiteten Oberklassefahrzeug Phaeton gibt es wieder neue Impulse für die Gläserne Manufaktur in Dresden. Fünf Jahre nach ihrer Eröffnung produziert das Werk weiterhin noch deutlich unter der Auslastungsgrenze von etwa 100 Fahrzeugen pro Tag, dafür sind Kulturveranstaltungen zum festen Bestandteil der Produktionsstätte geworden. Die für viele unbekannte Welt der Produktion wird hier transparent. Immerhin 80 % der Käufer holen sich auch deshalb ihr Fahrzeug persönlich ab.
Mirko Spielvogel ist ein viel beneideter Mann in Dresden, denn er darf fast den ganzen Tag Phaeton fahren und bekommt auch noch Geld dafür. Der 34-jährige gelernte Kfz-Mechaniker und Karosseriebauer arbeitet als Teamführer der Fahrzeugabnahme in der Gläsernen Manufaktur von Volkswagen und testet pro Tag vier Fahrzeuge auf Herz und Nieren, ehe sie in Kundenhand gehen. Etwa 20 Minuten dauert allein die Innenprüfung, dann geht“s für eine gute Stunde auf einen 46 km langen Rundkurs durch die Stadt über Rumpelpflaster aus früheren Zeiten, auf die Autobahn und ein Stück Landstraße mit lang gezogenen Kurven.
Volkswagen lässt sich diese Qualitätsprüfung etwas kosten, denn schließlich tritt der Phaeton mit Preisen zwischen 66 300 € und 112 800 € gegen die besten Luxuslimousinen der Welt an. Aber die Güte eines Autos ist nicht alles – es braucht auch Mythos und Image. Den muss sich Volkswagen in der Vergangenheit suchen und deshalb steht mitten in der Orangerie, einer reich verglasten Räumlichkeit für Werksbesucher, ein Horch 851 aus dem Jahre 1936.
Der Oldtimer stellt den Bezug zu Dresden als Fabrikationsort hochwertiger Automobile her, denn er wurde beim hiesigen Karosseriebauer Gläser hergestellt. Sein Erstbesitzer hieß Haile Selassie, langjähriger Herrscher von Äthiopien. Etwa 100 000 Besucher bestaunen jedes Jahr das Schmuckstück aus der Nähe und die Phaeton-Montage wenige Meter weiter hinter Glas.
So wie einst jene Firma Gläser montiert auch der VW-Betrieb Wagen aus zugelieferten Teilen zusammen. Die wesentlichen, z. B. die lackierten Karosserien, kommen aus dem etwas über 100 km entfernten Werk Mosel bei Zwickau. Die letzte Strecke durch die Stadt legen sie auf Schienen zurück und zwar in einer Güterstraßenbahn, die sich in den Taktverkehr des öffentlichen Nahverkehrs einreiht. Diese weltweit einmalige Beförderung hat man sich ausgedacht, weil die Gläserne Manufaktur in der Dresdener Altstadt liegt.
Dass es diese Altstadt in ihrer ursprünglichen Form nicht mehr gibt und heute nur noch der Wohnbezirk so heißt, ist eine andere, ziemlich traurige Geschichte. Jedenfalls bleiben die Dresdner dank dieser Bahn von Lärm und Abgasen schwerer Lkws verschont.
In Dresden ist vieles anders als in anderen Automobilwerken. Fast überall ist man stolz auf den hohen Grad der Automatisierung, in der VW-Manufaktur ist es umgekehrt: Es gibt nur drei Roboter in den Hallen, die Scheiben einsetzen und Reifen anbauen – alles andere ist Handarbeit.
Ein Viertel der 170 Mitarbeiter in der Fertigung sind Kfz-Meister oder Techniker, alle haben einen Beruf in dieser Branche erlernt. „Die Sachsen“, sagt Geschäftsführer Ingo Heidenreich, „sind Tüftler. Unsere Mitarbeiter brauchen ihren Handwerkerstolz.“ Wer seinen Wagen selbst in Dresden abholt, und das tun 80 % aller deutschen Kunden, darf unter fachkundiger Anleitung ein bisschen an seinem Auto mitbauen und beispielsweise selbst das Lenkrad einsetzen.
Trotz seiner Besonderheit hat es das Werk schwer, wie der Chef des Hauses offen zugibt: Er, der nicht zufällig aus dem Bereich Qualitätssicherung stammt, verfügt über Fertigungskapazitäten für 100 Wagen pro Tag. Derzeit laufen aber nur 35 vom Band. Bis Ende vergangenen Jahres war darunter ein Anteil Bentley Continental Flying Spur.
Es gibt aber auch wieder Perspektiven für das VW-Flaggschiff: Die aktuelle Überarbeitung des Phaeton mit optischen Änderungen außen und viel aktueller Technik innen, hat dessen Absatzzahlen stabilisiert. Die Nachfrage nach der bisherigen Ausführung hatte bereits zu einem neuen Auslieferungsrekord geführt.
Der Phaeton hat im Mai diesen Jahres nach fünf Jahren in Deutschland gegen die drei süddeutschen Platzhirsche immerhin 16,5 % errungen. Nach neuesten Informationen ist zudem der Bau eines Nachfolgemodells ab 2010 und damit der Fortbestand der Gläsernen Manufaktur gesichert. In der Tat braucht der Aufbruch einer Marke in Richtung Oberklasse Stehvermögen und die Phaeton-Macher erinnern an den Audi A8: Es dauerte neun Jahre, bis ein Marktanteil von knapp 20 % erreicht war.
Fester Bestandteil des ursprünglichen Werkkonzepts war es, das voll verglaste Gebäude auch zu kulturellen Veranstaltungen der gehobenen Art zu nutzen. Klavierkonzerte oder eine „Hamlet“-Aufführung in die Nähe der halbfertigen Phaetons sind Beispiele dafür. Kultur zwischen den Automobilen mit Automobilkultur gleichzusetzen, daran wird in Dresden weiterhin zielstrebig gearbeitet. B.-W. KIESSLER
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