Verkehrssicherheit 11.06.1999, 17:21 Uhr

Plattfuß verliert Schrecken

Die Reifenhersteller Continental und Michelin haben neuartige Pannenlaufsysteme zur Serienreife entwickelt, die Ersatzräder ebenso wie die erwähnten Behelfslösungen gänzlich überflüssig machen. Damit wird auch die Unfallgefahr durch plötzlichen Reifendruckverlust weitestgehend reduziert.

Von einer Reifenpanne wird ein Autofahrer, statistisch betrachtet, nur noch etwa alle 100 000 km heimgesucht, errechnete Reifenhersteller Continental. DaimlerChrysler spricht sogar von 150 000 km, so daß durchschnittlich ein Fahrer nur einmal in zehn Jahren zum Wagenheber greifen muß. Kein Wunder, daß das überwiegend unbenutzte Ersatzrad den Autokonstrukteuren seit langem ein Dorn im Auge ist: Es raubt nicht nur Platz im Kofferraum, sondern treibt auch das Wagengewicht um rund 20 kg nach oben.
Als platz- und gewichtssparende Alternativen bieten daher immer mehr Autohersteller Noträder oder Falträder an, die im Pannenfall mit einem kleinen, aus dem Bordnetz gespeisten Luftkompressor aufgepumpt werden. DaimlerChrysler setzt bei einigen Modellen auf das „Tirefit-System“: Der platte Reifen wird über das Ventil mit einer Latexlösung befüllt und anschließend mit einem elektrischen Minikompressor auf 2,5 bar aufgeblasen.
Nahezu zeitgleich haben jetzt die Reifenhersteller Continental und Michelin neuartige Pannenlaufsysteme zur Serienreife entwickelt, die Ersatzräder ebenso wie die erwähnten Behelfslösungen gänzlich überflüssig machen. Continental bringt in diesem Jahr mit dem „Conti-Sicherheitsring“, kurz CSR, eine relativ einfache und mit 75 DM pro Rad recht kostengünstige Lösung auf den Markt. Sie besteht aus einem leichten Metallring mit flexibler Lagerung, der auf die Felge montiert wird.
Bei plötzlichem oder schleichendem Luft-verlust stützt sich beim CSR der Reifen auf den Sicherheitsring ab, das Fahrzeug bleibt manövrierfähig und kann mit maximal 80 km/h noch rund 200 km weit fahren. Im Falle einer Reifenpanne warnt CSR den Fahrer durch leichte Vibrationen und ansteigendes Laufgeräusch. Den mehrfach verwendbaren Sicherheitsring gibt es zunächst für das Reifenformat 195/65 R 15, in kürze dann auch für weitere Reifengrößen.
Vorwiegend für die Erstausrüstung gedacht ist das derzeit im Test laufende „Conti-Wheel-System“ (CWS) mit einer neuartigen Rad-Reifen-Konstruktion. Der Reifen wird dabei in eine außenliegende Kammer der Felge eingepaßt und mit einem Gummifüllring fixiert. Er springt so selbst bei starkem Luftverlust nicht von der Felge.
Beim CWS übernimmt bei Druckverlust ein zusätzliches Stützelement aus Gummi und textilen Festigkeitsträgern die Radlast. Es ist dauerhaft mit der Felge verbunden und muß beim Reifenwechsel weder demontiert noch erneuert werden. „Die Pannenlauffähigkeit des CWS macht das Reserverad überflüssig“, erklärte Projektleiter Frank Walloch gegenüber den VDI nachrichten. „Nach einer Reifenpanne kann man mindestens noch 200 km weiterfahren, bei günstigen Bedingungen sogar bis zu 500 km.“
Michelin tritt mit dem Pax-System die Reise in die neue Zeit ohne Reifenpannensorgen an. Entwickelt wurde ein Komplettsystem, das aus einem abspringsicheren Reifen, einem Rad mit flachem Profil, einem flexiblen Stützring und einer Druckverlustanzeige besteht. Spezifisches Konstruktionsmerkmal von Pax ist das Verankerungsprinzip, das den Reifen auch bei völligem Druckverlust bombensicher auf der Felge hält. „Dieses Prinzip basiert auf einer mechanischen Verriegelung, bei der jede auf den Reifen einwirkende Kraft eine Spannung im Mantel erzeugt, die den Verriegelungseffekt noch weiter verstärkt“, erläuterte Michelin-Sprecher Hans-Hartmut Münch . „Das Pax-System ermöglicht dem Fahrer, selbst bei 0 bar Reifendruck seine Fahrt mit reduzierter Geschwindigkeit fortzusetzen.“
Wie Continental empfiehlt auch der französische Reifenkonzern, im Pannenfall nicht schneller als 80 km/h und nicht weiter als 200 km zu fahren. Die Druckverlustan-zeige erfolgt bei Michelin elektronisch über im Stützring integrierte Sensoren, die den Fahrer optisch und akustisch warnen. Die kontinuierliche Überwachung der Reifen durch direkte Messung des Fülldrucks oder indirekte Messung – z.B. des Außendurchmessers oder der Stabilisatorverformung – wird wohl in naher Zukunft zur Standardausstattung von Neuwagen zählen.
Porsches Top-Sportwagen 959 besaß sie schon 1987, immer mehr aktruelle Modelle, z. B. BMW 3er-Coupé, Chevrolet Alero oder das neue Coupé der S-Klasse von Mercedes-Benz, sind serienmäßig oder gegen Aufpreis damit ausgerüstet. Die zunehmende Verbreitung von Pannenlaufsystemen dürfte bald Ersatzräder, Noträder und Falträder zu automobilhistorischen Relikten werden lassen.
HANS W. MAYER/WOP
Pannenlaufsysteme, hier das nachrüstbare CSR und die neue Reifen-Felgenverbindung CWS von Continental, erhöhen die Sicherheit. Der Plattfußärger, statistisch etwa alle 100 000 km, so Continental, dürfte bald Vergangenheit sein.
Das Verankerungsprinzip des „Pax“-Systems von Michelin hält den Reifen auch bei völligem Druckverlust bombensicher auf der Felge.

Ein Beitrag von:

  • Hans W. Mayer

    Hans W. Mayer ist Fachjournalist für Automobilthemen. Er u.a. für die FAZ und verschiedene andere Tageszeitungen und Magazine über Fahrzeugbau und Verkehrsthemen.

  • Wolfgang Pester

    Ressortleiter Infrastruktur bei VDI nachrichten. Fachthemen: Automobile, Eisenbahn, Luft- und Raumfahrt.

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