Plattenbau kommt jetzt zum Zug
VDI nachrichten, Ingolstadt, 30.7.04 -Neue Bahnstrecken für Zuggeschwindigkeiten über 250 km/h erhalten eine „Feste Fahrbahn“. Die Deutsche Bahn setzt auf diese Technik, statt den Oberbau mit herkömmlichem Schotterbett herzustellen. Die älteste Bauweise der Festen Fahrbahn, die mit verbundenen Platten, wurde neu „entdeckt“ und kommt jetzt erstmals südlich von Nürnberg auf 35 km Neubaustrecke zur Anwendung.
Das bewährte Schotterbett von Eisenbahntrassen versagt auf Hochgeschwindigkeitszugstrecken. Der Schotter hält den hohen dynamischen Beanspruchungen nur kurze Zeit stand und zerfällt nach wenigen Jahren. Die Verfügbarkeit der Gleise kann dann nur schwer und mit hohem Aufwand gewährleistet werden. Deshalb hat sich für derartige Trassen die „Feste Fahrbahn“ durchgesetzt, bei der die Schienen auf einer durchgehenden Betonplatte liegen.
„Die Bauweise bietet stabile Gleislage über Jahrzehnte“, erklärt Peter Wegerer, Gesamtprojektleiter Neubaustrecke Nürnberg – Ingolstadt der Deutschen Bahn Projekt Bau (DB ProjektBau). Dabei kann er sich auf mehr als ein Vierteljahrhundert Erfahrung mit der Festen Fahrbahn stützen, die auf dem südlich angrenzenden Abschnitt Ingolstadt – München gesammelt wurde. Dort liegt zwischen den Bahnhöfen Dachau und München-Karlsfeld seit 1977 der erste deutsche Versuchsabschnitt – bis heute trotz hoher Belastung völlig verschleiß- und damit wartungsfrei.
„Das damals angewandte Verfahren mit gekoppelten Fertigteilen wagte wegen der fehlenden Langzeiterfahrungen zunächst niemand zu übernehmen“, weiß Dr. Andreas Zachlehner, Oberbauleiter Feste Fahrbahn der zwischen Nürnberg und Ingolstadt im Baulos Nord tätigen Arbeitsgemeinschaft. Doch vor einigen Jahren habe das Bauunternehmen Max Bögl im oberpfälzischen Neumarkt die Methode aufgegriffen, weiterentwickelt und jetzt zusammen mit Bilfinger & Berger den Auftrag, hier den ersten großen Abschnitt mit rund 35 km Länge in der Plattenbauweise herzustellen.
Der Vorteil liege vor allem in der Möglichkeit, die Fahrbahnsegmente industriell im Werk und damit unabhängig von Witterungseinflüssen in besserer Qualität herzustellen. „Wir fertigen täglich 28 Platten in der Größe von 6,45 m x 2,55 m. Insgesamt werden es 10 600 Platten für die 70 km Gleis der doppelspurigen Strecke“, erläuterte Josef Knittel, der Leiter des Fertigteilwerks von Bögl.
Jede der schlaff bewehrten und in Querrichtung vorgespannten Platten wiege ca. 10 t, so dass gerade drei mit einem Lkw transportiert werden können. Außergewöhnlich für den Betonbau ist die hier nötige Genauigkeit im Zehntel-Millimeter-Bereich, aber auch das Schleifen zunächst gleicher Rohplatten, um sie an die Streckenparameter – Gerade, Bogen oder Überhöhung – des Einbauorts anzupassen: „Jede Platte wird ihrer Lage zugeordnet und muss an exakt dieser Stelle auch eingebaut werden“, so Knittel. Deshalb sei in jede Platte eine Nummer graviert und im Verlegeplan dokumentiert.
Verlegt werden die Platten auf eine hydraulisch gebundene Tragschicht, wie sie auch bei anderen Bauformen üblich ist. Um die insgesamt zulässige Toleranz von ± 2 mm zwischen zwei jeweils 5 m voneinander entfernten Messpunkten einzuhalten, muss die Tragschicht mit 5 mm Genauigkeit verlegt sein. „Das leistet ein rechnergesteuerter Straßenbaufertiger, der mit dem Geländemodell programmiert ist“, schilderte Knittel.
Auch das Verlegen der Platten geschieht mit einer Neuentwicklung, dem „Travellift“, einem mobilen Portalkran, der beide Gleisbereiche überspannt. Er übernimmt die Platten vom Lkw und legt sie mit rund 10 mm Genauigkeit an der Stelle ab, für die sie bestimmt sind. Das Feinrichten geschieht mit Richtböcken und manuellem Drehen an Spindeln, die ein stufenloses Verstellen der Platten in horizontaler und vertikaler Richtung im Bereich von 0,1 mm ermöglichen. Die Sollwerte orientieren sich an der künftigen Lage der Schienen und werden nach Abgleich von Ist- und Soll-Position ebenfalls vom Rechner ermittelt und angezeigt.
Wenn die Platten ihre genaue Lage erreicht haben, werden sie mit einem Bitumen-Zementmörtel untergossen und so mit der Tragschicht verbunden. Das Gemisch bleibt nur kurze Zeit verarbeitungsfähig. Deshalb, so Zachlehner von der Arge Baulos Nord, gebe es keine zentrale Mischanlage, sondern eine mobile, und für jede Platte würden in exakter Dosierung genau 187 l angemischt. Die einzelnen Platten werden mit den an jeder Stirnseite austretenden sechs Gewindestäben (20 mm Durchmesser) durch Spannschlösser gekoppelt und mit einem vorgegebenen Drehmoment angezogen. Schließlich wird die Fuge zwischen den einzelnen Platten mit hochwertigem Beton verfüllt und damit die „endlose“ Feste Fahrbahn fertig gestellt.
Die Schienen kommen erst ganz zum Schluss in 120 m Länge mit der Eisenbahn auf die Strecke, die damit von Nürnberg und Ingolstadt her Stück für Stück vollendet wird und zum Schienentransport sofort benutzbar ist. „Beim Plattensystem wird gewissermaßen von unten nach oben gebaut“, erläutert Zachlehner: „Erst die Tragschicht, dann die Platten, zuletzt die Schienen obendrauf.“ Bei allen bisherigen Bauformen werde dagegen von oben nach unten gebaut: Die zunächst behelfsmäßig in ihre genaue Lage eingemessenen Schienen erhielten ihre feste Auflage erst durch Ausgießen des Schwellenrosts mit Beton.
Die Neubaustrecke Nürnberg – Ingolstadt ist für 300 km/h ausgelegt. Als Teil der Magistrale Berlin – München bildet sie auch im europäischen Hochgeschwindigkeitsnetz ein wichtiges Element. Dieses Projekt bleibe deshalb als eines der wenigen von der Streichung von Bundesmitteln verschont: „Allein dieses Jahr investieren wir in den 89 km langen Neubauabschnitt rund 500 Mio. €“, bestätigte Jörg Thomas, bei DB Netz für die großen Fahrweginvestitionen im südlichen Deutschland verantwortlich.
Die Gesamtkosten für die Strecke Nürnberg – München liegen bei rund 3,6 Mrd. €, wobei im nahezu gleich langen südlichen Teil Ingolstadt – München nur die bestehende Strecke für Tempo 200 km/h ausgebaut wird und die S-Bahn im Bereich von München getrennte Gleise erhält. Kurz vor der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 soll die neue schnelle Bahnverbindung zur Verfügung stehen und damit die Reisezeit zwischen München und Nürnberg von gegenwärtig 1 h 45 min auf 1 h schrumpfen. R. R. ROSSBERG/WOP
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