Nord-Ostsee-Kanal: Jahrhundertwerk wird aufgehübscht
Der Nord-Ostsee-Kanal wird modernisiert. Erfahren Sie, wie das Jahrhundertbauwerk mit neuen Schleusen, Brücken und Ausbauprojekten fit gemacht wird.

Der Nord-Ostsee-Kanal bei Kiel Holtenau. Hier sollen die Schleusen modernisiert werden.
Foto: Smarterpix / 3quarks
Der Nord-Ostsee-Kanal verbindet Nordsee und Ostsee auf direktem Weg. Seit über 130 Jahren erspart er Schiffen den Umweg um Dänemark. Heute wird das historische Bauwerk umfassend modernisiert. Neue Schleusenkammern, Brücken und Kanalabschnitte sollen den Verkehr auf der meistbefahrenen künstlichen Seeschifffahrtsstraße der Welt zukunftsfähig machen. Dabei treffen historische Bedeutung, militärstrategische Ursprünge und moderne Infrastruktur aufeinander.
Inhaltsverzeichnis
Eine Verbindung mit Geschichte
Die Idee eines Wasserwegs zwischen Nordsee und Ostsee reicht weit zurück. Schon im 7. Jahrhundert nutzten Menschen bei Haithabu die nur 16 Kilometer breite Landenge zwischen Schlei und Treene, um leichte Schiffe und Handelsgüter zu transportieren. Die Wikinger zogen ihre Boote auf hölzernen Schlitten zwischen den Flusssystemen hin und her.
Im 18. Jahrhundert setzte der dänische König Christian VII. den Bau des Eiderkanals um. Dieser verband die Nordsee über die Eider mit der Ostsee bei Kiel. Die Fahrt dauerte jedoch mehrere Tage und war für größere Schiffe ungeeignet. Erst im 19. Jahrhundert entstand der Plan für eine leistungsfähigere Verbindung. Otto von Bismarck trieb diesen aus strategischen Gründen voran. Die deutsche Marine sollte unabhängig von dänischen Gewässern agieren können.
Bau des Kanals ab 1887
1883 erteilte Kaiser Wilhelm I. den offiziellen Auftrag. Nach umfangreichen Planungen begann 1887 in Kiel-Holtenau der Bau des „Kaiser-Wilhelm-Kanals“. Unter Leitung von Ingenieur Otto Baensch wurden 80 Millionen Kubikmeter Erde bewegt. Bis zu 8900 Arbeiter waren gleichzeitig im Einsatz. Der Kanal war 67 Meter breit und 9 Meter tief.
Am 20. Juni 1895 eröffnete Kaiser Wilhelm II. den Kanal feierlich. Er verkürzte die Schifffahrtsroute zwischen Nord- und Ostsee erheblich. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Kanal in „Nord-Ostsee-Kanal“ (NOK) umbenannt – ein Name, der bis heute verwendet wird.
Technische Daten und Bedeutung
Der Nord-Ostsee-Kanal ist 98,26 Kilometer lang und durchquert Schleswig-Holstein von Brunsbüttel an der Unterelbe bis nach Kiel-Holtenau an der Kieler Förde. Die Luftlinie zwischen beiden Punkten beträgt rund 85,5 Kilometer. Der Kanal orientiert sich dabei abschnittsweise am Verlauf historischer Flüsse wie der Holstenau oder der Eider und durchschneidet unterschiedliche Landschaftstypen: Zunächst die flache Marsch, dann Geestrücken mit sandigen Böden und zuletzt das ostholsteinische Hügelland.
Entlang des Kanals kreuzen acht Straßenbrücken und vier Eisenbahnbrücken die Wasserstraße. Alle Brücken haben eine einheitliche Durchfahrtshöhe von 42 Metern. Dies wurde bewusst so geplant, um auch größeren Seeschiffen eine gleichmäßige Passage zu ermöglichen. Neben den Brücken sorgen 13 Fahrzeug- und eine Personenfähre sowie zwei Tunnel in Rendsburg (Straßen- und Fußgängertunnel) für zusätzliche Querungsmöglichkeiten.
Durchgehend selber Wasserstand
Die Wasserstraße hat durchgehend denselben Wasserstand. Schleusen an beiden Enden (Brunsbüttel und Kiel-Holtenau) gleichen Gezeitenunterschiede der Nordsee und Wasserstandsschwankungen in der Ostsee aus. Das macht den NOK zu einem sogenannten spiegelgleichen Kanal.
Für die internationale Schifffahrt ist der Nord-Ostsee-Kanal von hoher Bedeutung. Er erspart Schiffen die etwa 250 Seemeilen lange Umfahrung der Kimbrischen Halbinsel über Nordsee, Skagerrak und Kattegat. Je nach Abfahrts- und Zielhafen kann das eine Ersparnis von bis zu 460 Kilometern bedeuten. Mit jährlich rund 25.000 Schiffspassagen zählt der NOK zur meistbefahrenen künstlichen Seeschifffahrtsstraße weltweit. Dabei werden jährlich über 75 Millionen Tonnen Ladung transportiert.
Der Kanal im Krieg und Frieden
Im Ersten und Zweiten Weltkrieg hatte der Kanal strategische Bedeutung. Er erlaubte es der deutschen Kriegsmarine, schnell zwischen Nord- und Ostsee zu wechseln. Nach 1945 stand seine Zukunft zur Debatte. Die Alliierten überlegten eine Internationalisierung, gar eine Verfüllung. Letztlich blieb der Kanal unter deutscher Kontrolle.
In den Nachkriegsjahren stieg das Handelsvolumen wieder stark an. Bereits 1964 passierten rund 80.000 Schiffe den Kanal. Heute sind es weniger, doch die Tonnage steigt durch größere Schiffe weiter.
Modernisierung für die Zukunft
Die Infrastruktur des Nord-Ostsee-Kanals stammt in weiten Teilen noch aus der Kaiserzeit. Schleusen, Brücken und Uferbefestigungen wurden zum Teil vor mehr als 100 Jahren gebaut. Um die Leistungsfähigkeit der meistbefahrenen künstlichen Seeschifffahrtsstraße der Welt auch künftig zu gewährleisten, sind umfangreiche Modernisierungsmaßnahmen erforderlich.
5. Schleusenkammer Brunsbüttel
Ein zentrales Projekt ist der Bau der 5. Schleusenkammer in Brunsbüttel. Der Startschuss fiel 2014, nach jahrelangen Vorplanungen. Die neue Kammer entsteht auf der Schleuseninsel zwischen den bestehenden kleinen und großen Schleusen. Sie wird 330 Meter lang, 42 Meter breit und ersetzt bei Sperrungen eine der bestehenden Kammern, ohne den Schleusenbetrieb zu unterbrechen. Rund 1,2 Milliarden Euro sind für dieses Projekt veranschlagt. Die Schleusentore werden in Emden gefertigt und schwimmend zur Baustelle transportiert.
Der Bau ist technisch anspruchsvoll. Die Platzverhältnisse auf der Schleuseninsel sind beengt. Material und Personal erreichen die Baustelle ausschließlich über den Wasserweg. Zeitweise parallel laufende Maßnahmen an den bestehenden Schleusen erfordern eine sorgfältige Baukoordination. Auch der Hochwasserschutz muss dauerhaft gewährleistet bleiben. Die Inbetriebnahme der neuen Kammer ist derzeit für Ende 2026 geplant.
Erneuerung in Kiel-Holtenau
Auch am östlichen Ende des Kanals, in Kiel-Holtenau, werden die Schleusenanlagen erneuert. Die beiden kleinen Schleusen aus dem Jahr 1895 sind seit 2014 stillgelegt. Sie sollen durch zwei neue Kammern mit erhöhter Nutzlänge von 155 Metern ersetzt werden. Die Baukosten liegen zwischen 240 und 285 Millionen Euro. Die neuen Schleusen sollen fünf Jahre nach Baubeginn fertiggestellt sein. Im Anschluss wird geprüft, ob die großen Schleusen ebenfalls ersetzt oder saniert werden müssen.
Die geplanten Verbesserungen basieren auf dem Einsatz eines modernen Stemmtorsystems, das den Wasserstand auf beiden Seiten zuverlässig hält, sowie auf senkrechten statt wie bisher gekrümmten Kammerwänden. Zudem wird die Mittelmauer der Schleusenanlage von 12,50 Metern auf 16,00 Meter verbreitert. Dadurch verschieben sich die beiden Schleusenkammern jeweils um 1,75 Meter nach Norden bzw. Süden. Die Vorhäfen und Leitwerke werden entsprechend angepasst und erhalten eine neue Sohltiefe von −10,0 Metern unter Normalhöhennull (NHN).
Ausbau der Oststrecke
Besondere Bedeutung hat der Ausbau der sogenannten Oststrecke zwischen Rendsburg und Kiel. In diesem Abschnitt ist der Kanal besonders schmal, was vor allem für große Frachter zu Verzögerungen führt. In engen Kurven und bei Gegenverkehr müssen Schiffe in Ausweichstellen – sogenannte Kanalweichen – ausweichen. Deshalb wird die Kanalsohle auf bis zu 70 Meter verbreitert und Kurvenradien werden vergrößert. Das Vorhaben gliedert sich in drei Bauabschnitte.
Der erste Abschnitt zwischen Großkönigsförde und Schinkel ist mittlerweile weitgehend abgeschlossen. Die Arbeiten begannen Anfang 2020, mit einer geplanten Bauzeit von drei Jahren. Weitere Abschnitte bis Kiel befinden sich in Planung. Insgesamt fließen in den Ausbau der Oststrecke rund 500 Millionen Euro
Levensauer Hochbrücke
Die Levensauer Hochbrücke bei Kiel, erbaut 1894, ist die älteste Brücke über den Kanal und steht unter Denkmalschutz. Aufgrund ihres Alters und beschränkter Tragfähigkeit wird sie durch einen Neubau ersetzt. Die neue Brücke entsteht neben der bestehenden und soll 2027 fertiggestellt werden.
Für die Zeit des Umbaus sind Sperrungen für Straße und Bahn unvermeidlich. Die ursprünglich kalkulierten Baukosten von 200 Millionen Euro werden nach aktuellem Stand überschritten. Die neue Brücke wird für modernen Verkehr ausgelegt sein und weiterhin eine Durchfahrtshöhe von 42 Metern bieten.
Herausforderungen und Chancen
Die Modernisierung des NOK ist eine technische und logistische Herausforderung. Kampfmittelbeseitigung, alte Bausubstanz und natürliche Begrenzungen wie Tunnel und Bodenverhältnisse erschweren viele Vorhaben. Dennoch sehen Fachleute in der Wasserstraße einen wichtigen Teil der klimafreundlichen Verkehrsverlagerung.
„Das ausschlaggebende Argument für Wasserstraßen ist der Klimawandel“, sagt Joachim Abratis, Leiter des Wasserstraßen-Neubauamts Nord-Ostsee-Kanal. „Wir sind auf Warenaustausch angewiesen, und der Nord-Ostsee-Kanal ist prädestiniert dafür, auch große Massengüter oder Container über weite Strecken zu transportieren.“ (mit dpa)
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