Mit dem Exelero lebt eine Legende
VDI nachrichten, Offenburg, 16. 9. 05 – Manchmal genügt ein einziges Stichwort, um die Augen eines engagierten Ingenieurs zum Leuchten zu bringen. Maybach zum Beispiel. Oder Exelero.
Niemand weiß das besser als Jürgen Weissinger. Der 45-jährige Diplom-Ingenieur ist Leiter der Entwicklung bei Maybach, der Nobelmarke von DaimlerChrysler. Und unter seiner Federführung entstehen nicht nur die Serienlimousinen von Maybach – falls man die automobilen Pretiosen überhaupt so nennen darf – sondern auch Einzelstücke wie das Rekordcoupé Exelero. „Bei so einem Auto“, schmunzelt er, „macht jeder gerne mit“.
Was es mit so einem Auto auf sich hat, lässt sich leicht an den drei Kernpunkten des Lastenheftes ablesen: Coupé auf Maybach-Basis, Höchstgeschwindigkeit mindestens 350 km/h und Straßenzulassung. Indes – die beiden letzten sind so einfach nicht unter einen Hut zu bringen. „Das war eine der Herausforderungen, die wir bei diesem Auto lösen mussten“, sagt Weissinger.
Doch gerade darin liegt der Reiz eines solchen Projektes. „Wenn man klare Ziele hat, alle Beteiligten daran arbeiten und politische Themen Nebensache sind, dann macht es großen Spaß.“
Weissinger stellte dafür ein fünfköpfiges Kernteam zusammen, in dem alle relevanten Fakultäten vertreten waren: Konzeption, Aerodynamik, Motorkühlung, Motorenentwicklung und Fahrzeugversuch, für jeden Bereich einen Spezialisten. Der Maybach-Chefentwickler kannte die meisten bereits aus früheren Projekten mit Konzeptfahrzeugen, „da bekommt man ein Gespür dafür, wen man brauchen kann.“
Das bedeutet freilich nicht nur, fachlich über jeden Zweifel erhaben sein: Bei solch einem Projekt sind voller Einsatz und Flexibilität Grundvoraussetzungen. „Wenn es heißt, du musst morgen nach Turin fliegen, dann muss das auch gehen“, nennt Weissinger als Beispiel. Allerdings nur, wenn der Chef sich selbst auch an diese Spielregeln hält. „Wenn man respektiert wird, dann ist die Mannschaft auch bereit, mitzugehen“, weiß der Entwicklungsleiter. Wobei er sich darüber im Klaren ist, dass ein Auto wie der Exelero von Haus aus schon sehr viel Anziehungskraft ausstrahlt. Bei einem emotionslosen Produkt wäre die permanente Motivation des Teams „sicher schwieriger“.
Und schwierig war das Projekt Exelero auch so schon genug: Nur rund zwei Jahre hatte das Maybach-Team Zeit, um Lösungen für die hoch gesteckten Ziele zu finden und in einem Auto Realität werden zu lassen. Selbst wenn alle an einem Strang ziehen, funktioniert sowas nur, wenn man ebenso pragmatisch wie professionell vorgeht.
Pragmatisch war die Wahl der Technologie: Wo immer möglich, kommt beim Exelero ausgereifte Maybach-Technik zum Einsatz. Also griff das Exelero-Team beim Chassis auf Bodengruppe und Fahrwerk des Maybach 57 zurück. Das ist der kurze Maybach, was – Nomen est Omen – 5,73 m Gesamtlänge heißt. Um die Voraussetzung für die vorgesehene, lang gestreckte Coupéform zu schaffen, rückten die Ingenieure Fahrer- samt Beifahrerplatz schlicht 400 mm Richtung Hinterachse. Gleichzeitig entstand dadurch zusätzlicher Motorraum, den man später auch dringend benötigte. Denn die Berechnungen hatten ergeben, dass neben Roll- und Luftwiderstand eine Motorleistung von mindestens 700 PS für Tempo 350 unabdingbar war.
Professionell war der Entstehungsprozess: Statt nacheinander, liefen die Entwicklungen von Design, Aerodynamik und Antrieb parallel ab. Als Studenten der Pforzheimer Fachhochschule für Gestaltung gemeinsam mit Professoren und Daimler-Designern die Form des Exelero entwickelten, zeichnete sich zunächst ein cw-Wert von 0,34 ab. Zu schlecht, um wirklich schnell zu fahren, und mit Auftriebswerten, die jenseits der 300 km/h Marke den 2,6-Tonner gefährlich aus den Federn heben könnten. Als der Maybach-Aerodynamiker Hans Dieter Schopper nach 43 Versuchen im Windkanal mit seiner Arbeit fertig war, lag der Luftwiderstands-Beiwert bei 0,27. Damit brüsten sich Sportwagen.
Gleichzeitig päppelte Motoreningenieur Uwe Gebbers den Zwölfzylinder auf, schließlich leistet der im Serien-Maybach „nur“ 550 PS. Die Erhöhung des Hubraums von 5,6 l auf 5,9 l plus der Einsatz größerer Turbolader brachten zwar eine beträchtliche Mehrleistung, aber 700 PS waren es noch nicht. Erst die Verdopplung der Ladeluftkühler drosselte die Temperatur der dem Motor zugeführten Verbrennungsluft auf unter 40° C, was schließlich die gewünschte Leistung ergab. „Für diese neue Sauganlage hatten wir ja genug Platz durch das Zurückverlegen des Fahrerplatzes“, erklärt Jürgen Weissinger.
Was sich so einfach in ein paar Zeilen beschreiben lässt, waren in Realität akribische Entwicklungsarbeiten mit Zielkonflikten zwischen den einzelnen Fakultäten, die mitunter auch emotional ausgetragen wurden – auch Spitzeningenieure sind nur Menschen. „Die Kunst war, das zu einem gemeinsamen Ganzen zusammenzuführen“, sagt der Entwicklungschef.
„Aber wenn man den Spirit für das gemeinsame Ziel trifft, dann klappt das auch.“ Seit Mai diesen Jahres mit Brief und Siegel: 351,45 km/h Spitzengeschwindigkeit rannte der Exelero auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke in Nardo – Klassen-Weltrekord. Seither beschäftigen sich Jürgen Weissinger und sein Team wieder mit der Alltagsarbeit, die ohnehin die ganze Zeit parallel lief: der Serienfreigabe des neuen Maybach 57 S, vor allem. Aber auch mit den Kundenwünschen, mit denen sich die Maybach-Entwickler praktisch täglich konfrontiert sehen. Was möglich, erlaubt und mit den Grundwerten der Marke Maybach vereinbar ist, wird auch erfüllt.
Nicht erfüllbar sind dagegen Extras wie der mehrfach gewünschte drehbare Beifahrersitz fürs Personal. „Die Lehne würde das Sichtfeld des Fahrers beeinträchtigen und das ist nicht zulässig“, bedauert Jürgen Weissinger. Machbar wäre das nur bei einem verlängerten Auto, in dem der Sitz dann nach hinten verschoben werden könnte. „Aber so ein Fahrzeug wäre eine Neuentwicklung. Das kann man nicht für nur ein Auto machen“, sagt der Maybach-Entwicklungschef.
Aber wer genau hinschaut, entdeckt dabei vielleicht ein kleines Leuchten in seinen Augen. P. WEIDENHAMMER
www.maybach-manufaktur.com
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