Millimeterarbeit für einen Riesen aus Stahl
Sie gilt als eine der erfolgreichsten Werften Europas, die Meyer-Werft in Papenburg. Zwei Mal im Jahr macht sich ein riesiges Kreuzfahrtschiff auf, um durch die schmale Ems aufs freie Meer hinauszukommen.
Geisterstunde im Baudock der Meyer-Werft in Papenburg: Fast unhörbar, nur durch die Kraft der eigenen Ankerwinden gezogen, schiebt sich das 92 000 BRZ (Bruttoraumzahl) große Kreuzfahrtschiff „Norwegian Dawn“ am 27. Oktober, kurz nach Mitternacht, rückwärts aus dem größten überdachten Baudock der Welt. Obwohl alles im Schneckentempo läuft, ist Eile angesagt: Sturmtief „Jeannette“ hatte sich angemeldet. „Wir mussten das Ausdocken vorverlegen“, erklärt Werftsprecher Peter Hackmann die Aktion zu ungewöhnlicher Stunde, „weil wir jetzt ein ausreichend langes ‚Fenster‘ mit abflauendem Wind haben.“
Anders als auf anderen Werften findet in Papenburg kein Stapellauf statt, statt dessen gleiten die neuen Schiffe aus der Halle ins freie Wasser des Außenbeckens. Ungefährlich ist das nicht. „Eine richtige Sturmböe im falschen Moment“, so Hackmann, „und das neue Schiff würde die Dockhalle nachhaltig beschädigen.“
Doch alles läuft glatt und zwei Stunden später liegt der neue Stolz der amerikanischen Reederei Norwegian Cruise Line sicher im Freien am Ausrüstungskai.
Dort erhält die „Norwegian Dawn“ ihren letzten Schliff. Gut 2500 Arbeiter fallen noch einmal eine Woche lang über das Schiff her, richten die letzten Feinheiten von Teppichen bis zu den Bordküchen und montieren den Schornstein, für den selbst das überdachte Baudock zu klein war.
Aber das wirklich harte Stück Arbeit kommt noch.
Auf das bereiten sich schon ein Werftkapitän und zwei Lotsen vor: Sie müssen den riesigen Pott sicher gut 50 km durch die Ems mit ihren Engpässen zum offenen Meer hin manövrieren.
Eine Woche liegt die „Norwegian Dawn“ am Ausrüstungskai. In der Nacht vom 2. auf den 3. November ist es dann soweit: Das riesige Schiff legt ab, fast eine Stunde wendet es in dem engen Becken, um dann rückwärts, von zwei kleinen Schleppern gezogen, in die Ems einzufahren.
Jetzt, kurz nach Mitternacht ist kaum ein Zuschauer auf den Beinen. Nur die Schiffsbeleuchtungen schimmern durch die windige Nacht, sind über dem platten Land von weit her zu sehen.
Dass seit Bestehen der Meyer-Werft die Flussfahrten der Ozeanriesen reibungslos verliefen, ist vor allem Verdienst der Werftkapitäne und Lotsen. Doch auch sie üben vor einer solchen Fahrt mehrere Wochen auf einem speziellen Simulator. Im Maritime Institute of the Netherlands in Wagening wird die Fahrt auf einem Nachbau des Steuerstandes des jeweiligen Schiffes unter allen erdenklichen Bedingungen wieder und wieder geprobt, „bis jeder Handgriff und jede Ruderbewegung selbst im Schlaf sitzen“, so Kapitän Friedhelm Husemeyer. Husemeyer hat selbst jahrelang als Lotse und Werftkapitän die Überführungen von mehr als 30 Schiffen der Meyer-Werft geleitet.
Auch für „Norwegian Dawn“-Kapitän Thomas Teitge und seine Crew ist die Fahrt über die Ems ein regelrechter „Blindflug“. Nicht nur, dass es dunkel ist und der Fluss von der Kommandobrücke aus wirkt wie ein Rinnsal, jetzt kommt noch dazu, dass das Schiff rückwärts gezogen wird. Und nur weil die Ems durch das neue Emssperrwerk aufgestaut wurde, hatte die „Norwegian Dawn“ überhaupt genug Wasser unter dem Kiel.
Weil in der dunklen Nacht kaum was zu sehen ist, lässt die Crew die Computermonitore auf der Brücke keinen Moment aus den Augen: Solange das auf den Monitoren abgebildete Schiffsmodell seinen vorberechneten Kurs hält, ist alles klar.
Der Navigationscomputer, der das Monitorbild liefert und letztendlich auch das Schiff steuert, arbeitet mit einem eigens für die Meyer-Werft entwickelten Navigationssystem, das auf dem GPS (Global Positioning System) aufbaut, es an Genauigkeit aber weit übertrifft. Die GPS-Daten werden durch eine elektronische Seekarte der Ems und der Emsmündung und einem Radargerät ergänzt. Diese Daten werden ständig online aktualisiert, an Bord des Schiffes aufgearbeitet und ergänzen so die GPS-Daten. Die Lage des Schiffes lässt sich so bis auf wenige Millimeter genau abbilden. Und die beiden kleinen Schlepper sorgen dafür, das selbst ein Schiff wie die „Norwegian Dawn“ mit einer Länge von 294,13 m und einer Breite von 32,2 m auf den Punkt genau manövrieren kann.
Der erste Engpass lässt auch nicht lange auf sich warten. Nach gut 90 Minuten Fahrt, kaum schneller als 5 km/h, taucht in der Nacht die beleuchtete Friesenbrücke auf, eine Eisenbahnbrücke. Jedes Mal, wenn die Meyer-Werft ein Schiff überführt, muss das Mittelstück der Brücke entfernt werden, um einen Durchlass für die gewaltigen Schiffe freizumachen.
Langsam schiebt sich das Schiff durch den schmalen Kanal, manchmal ist kaum ein Meter zwischen Rumpf und Ufer Platz. Trotz Windstärke meistert die Crew die Passage ohne Kratzer am Lack.
Doch nach gut einer Stunde ist es vorbei. Der Sturm zwingt die „Norwegian Dawn“, um 3 Uhr nachts, in Leerort eine Pause von gut 15 Stunden einzulegen. Geplant war, dass die Fahrt am Sonntagmorgen mit einer Premiere enden sollte: Der ersten Fahrt eines Schiffes der Meyer-Werft durch das neu errichtete Ems-Sperrwerk bei Gandersum. Zum höchsten Stand der Flut in der Nacht zum Samstag war das Sperrwerk geschlossen worden, zudem wurde Wasser in die angestaute Ems gepumpt, um für die Überführung der „Norwegian Dawn“ einen Pegelstand der Ems von 2,4 m über Normalnull zu erreichen.
Doch jetzt drückt der Wind das Wasser der Ems vom Land weg – der riesige Kreuzfahrer hätte jenseits des Sperrwerks nicht mehr genug Wasser unterm Kiel gehabt.
Das Emssperrwerk bei Gandersum soll in erster Linie der Sicherheit bei Sturmfluten dienen. Doch Umweltschützer haben immer wieder behauptet, es diene einzig und allein dem Zweck , dass in Papenburg noch größere Schiffe mit noch größerem Tiefgang gebaut werden könnten. Erst nachdem ein Gericht die Fortführung der Arbeiten freigegeben hatte, konnte das 476 m breite Bauwerk fertig gestellt werden.
Gegen 18 Uhr ist der Sturm vorbei, die „Norwegian Dawn“ legt ab, gut fünf Stunden später und 20 km weiter nördlich bugsieren die beiden Schlepper das Kreuzfahrtschiff schließlich durch die Seeschifffahrtsöffnung des Sperrwerks.
Mittlerweile liegt die „Norwegian Dawn“ am Pier im niederländischen Eemshaven und wird für ihre erste große Fahrt ausgerüstet und betankt. Einmal auf See, bietet das Kreuzfahrtschiff über 2200 Passagieren allen erdenklichen Luxus – bis hin zu kleinen „Villen“ von 180 m² inklusive Privatgarten und Butler, pro Person und Woche für 10 000 ‰. Und vorbei dann auch die Zeiten, wo es nur im Schritttempo vorwärts ging. TORSTEN HANSEN/moc
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