Manager mit Bodenhaftung
Im Februar 1999 wurde Joachim Milberg überraschend BMW-Chef. Unter der Führung des renommierten Ingenieurs und Hochschullehrers bewältigte BMW die verlustreiche Rover-Krise und erzielt Rekordzahlen. Die Bayern stehen mit ihrem ungewöhnlichen Mann an der Spitze besser da als je zuvor.
Hauptversammlung in der Münchner Olympiahalle. Auftritt Joachim Milberg. Lächelnd präsentiert der BMW-Chef vor rund 5000 Aktionären die neuesten Unternehmensdaten. Es hagelt Rekordzahlen – und Lob für Milberg. Dabei hatte es vor nicht allzu langer Zeit ziemlich schlecht für den BMW-Chef ausgesehen.
Erinnert sich noch jemand an Bernd Pischetsrieder? Als Nachfolger für den im Februar 1999 gestrauchelten Vorstandschef stand Milberg außerhalb des Konzerns bei niemandem auf der Rechnung. Als er es dann doch wurde, wollten alle nur den zurückhaltenden Professor in ihm sehen. Er sei zu weich, musste er in den Medien lesen, nicht der richtige Mann für diesen Job. In der Branche hieß es, „kein Benzin im Blut“. Ergo: Ungeeignet.
Einige Male hätte Milberg, wenn es nach den Kritikern gegangen wäre, kaum dass er sich ganz oben im „Vierzylinder“ der Münchner BMW-Zentrale eingerichtet hatte, eigentlich seinen Hut nehmen müssen. Milberg blieb davon weitgehend unbeeindruckt. „Es ging darum, die richtigen Entscheidungen zu treffen und diese konsequent umzusetzen, damit diese tolle Mannschaft wieder sichere Ziele für die Zukunft hat“, sagt der 58-Jährige. Milbergs Zeigefinger, der sich zwischen den Sätzen in die Stuhllehne bohrt, verrät, dass es nicht immer leichte Entscheidungen waren. Aber sie waren richtig: Bereits im letzten Jahr legten die Münchener das beste Ergebnis der Konzerngeschichte hin und in diesem Jahr peilen die Autobauer einen neuen Rekord an. Mit anderen Worten: Das gerade 85 Jahre alt gewordene Traditionsunternehmen strotzt vor Kraft – was nicht zuletzt das Verdienst der „Notlösung“ Milberg ist. Offensichtlich haben ihn alle unterschätzt.
Das mag daran liegen, dass Milberg so untypisch ist für die deutsche Manager-Landschaft, in der nicht wenige Selbstdarsteller erfolgreich sind, die kaum mehr produzieren als flotte Sprüche. Solcherlei Vermarktungstalent geht Milberg völlig ab. Er ist einfach nicht der Typ, der mit dem Bizeps spielt, um andere zu beeindrucken. Wenn er die Ärmel hochkrempelt, dann um zu arbeiten.
Mit seiner als Person zurückhaltenden in der Sache aber zupackenden Art, hatte er sich bereits während seiner Zeit als Ordinarius an der Technischen Universität München einen Ruf als anerkannter Fertigungsexperte erworben. Das wäre, wenn er sich als Hochschullehrer in den berühmten Elfenbeinturm zurückgezogen hätte, kaum gelungen. Doch der leidenschaftliche BMW-Fahrer hat in seinem Berufsleben oft die Spur gewechselt, pendelte ständig zwischen Wirtschaft und Hochschule hin und her. Er hat während seiner beruflichen Laufbahn „Industrie aus jedem Blickwinkel kennen gelernt“, hat in der Produktentwicklung, als Produktionsleiter und im Bereich Personal und Vertrieb Erfahrungen gesammelt.
An der Hochschule hat sich Milberg mit der Frage beschäftigt, wohin die Produktion geht. Die hier gewonnenen Erkenntnisse setzte er dann wieder in der Wirtschaft um. So auch bei BMW, wo er ab 1993 als Vorstandsmitglied für den Bereich Produktion, später Engineering und Produktion, verantwortlich war.
Dieser stetige Perspektivenwechsel kam Milbergs Bedürfnis, komplexe Strukturen möglichst genau zu erfassen, entgegen und hat seinen Blick für das Ganze geschärft. Sein Werdegang hat ihn aber auch sensibel gemacht für die Sorgen und Nöte seiner Mitarbeiter. Bereits seine Lehre, so die Überzeugung des gebürtigen Westfalen, hat dazu beigetragen, dass er „ein Gefühl für die Menschen“ bekommen hat. Spätere Führungsaufgaben haben die Erkenntnis in ihm wachsen lassen, dass es „am Ende des Tages vor allem darauf ankommt, authentisch zu bleiben“.
Zu Milbergs Eigenschaften zählt neben den in seinem Umfeld gelobten analytischen und strategischen Fähigkeiten auch eine deutliche Teamorientierung. „Sachfetzen“ nennt er den Austausch aller Argumente, wenn es darum geht, gemeinsam eine Problemlösung zu finden. Bei den BMW-Mitarbeitern genießt der Chef dann auch den Ruf, sehr sachlich, menschennah und herzlich zu sein – einerseits. Andererseits gilt er als harter Verhandlungsknochen, der seine Vorstellungen konsequent durchsetzt, wenn er erst einmal davon überzeugt ist, das Richtige zu tun – notfalls auch mit der nötigen Härte. Dabei ist er „im Ton freundlich, in der Sache aber klar und eindeutig“, sagt einer seiner engsten Mitarbeiter.
Mit der ihm eigenen Übersicht und Konsequenz hat Milberg, nachdem er sich auf dem Fahrersitz angeschnallt hatte, die Bayern aus dem Kiesbett gefahren. Jetzt zieht BMW wieder an allen vorbei. Der Mann am Steuer will seine eigene Leistung freilich nicht überbewerten. Mit einem Lachen lobt er die „tolle Mannschaft bei BMW“ und sagt dann: „Wir haben es geschafft“, wobei die Betonung auf dem „Wir“ liegt. Diese Bescheidenheit – die man tunlichst nicht mit mangelndem Selbstbewusstsein verwechseln sollte – ist keine Koketterie. Bodenhaftung ist ihm wichtig – nicht nur, wenn er auf der Straße Gas gibt. Das Lob, das jetzt alle für ihn finden, wird ihn deshalb auch nicht aus der Spur werfen. JOCHEN KLEIN
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