Kunststoffe prägen nachhaltig den automobilen Fortschritt
VDI nachrichten, Mannheim, 28. 3. 08, Si – Innovative Werkstoffvielfalt präsentierten Vertreter der deutschen Pkw-, Nutzfahrzeug- und Motorradhersteller auf dem diesjährigen internationalen Branchentreff des VDI Wissensforums in Mannheim. Fast 100 Aussteller aus 13 Nationen zeigten dazu im Kongresszentrum Rosengarten, wie ihre Problemlösungen die Konzeption neuer Fahrzeuggenerationen in puncto Komfort, Sicherheit und Ressourcenschonung nachhaltig beeinflussen.
Zu den inhaltlichen Schwerpunkten des Kongresses zählten u. a. hochwertige Innenräume in Pkw und Nutzfahrzeugen, Leichtbaukonzepte zur Reduzierung des Kraftstoffverbrauchs sowie der Abgasemissionen und neue Designtrends bei der Lichttechnik. So gewinne derzeit die Außenbeleuchtung von Automobilen neben den Sicherheitsaspekten zunehmend als „markenprägendes Designelement“ an Bedeutung, wie Stephan Berlitz, Lichttechnikexperte bei Audi, Ingolstadt, feststellte. Der Einsatz von LED (Light Emitting Diode) für das Tagfahrlicht wie für die Schlussleuchten eröffne den Konstrukteuren dafür neue Gestaltungsspielräume. Gegenüber dem gesetzlich geregelten bisherigen Außenbeleuchtungssystem mit Abblend- und Schlusslicht sowie Positionsleuchten und Kennzeichenbeleuchtung, könne mit den neuen Leuchtdiodensystemen der Energieverbrauch zudem spürbar gesenkt werden. Denn während die normale Beleuchtung mit 300 W im Fahrzeugbetrieb einen Benzinmehrverbrauch von 0,2 l/100 km verursache, so Berlitz, begnüge sich z. B. das Taglichtsystem des neuen Audi A6 mit einem kaum messbaren Mehrverbrauch von 0,05 l/100 km.
Im Innenbereich erlebt die Lichttechnik aktuell einen Wandel von Funktion zu Emotion, wie auf dem VDI-K-Kongress festzustellen war. Dahinter verbirgt sich das Bestreben, im Fahrzeug ein Wohlfühlambiente zu erzeugen. So hatte beispielsweise Karmann, Osnabrück, in seiner in Mannheim präsentierten Konzeptstudie auf Basis eines VW Polo einen hinterleuchteten Innenhimmel aus elektrolumineszenter Polycarbonatfolie installiert.
Überhaupt spielt die hochwertige Gestaltung von Fahrzeuginnenräumen als Verkaufsargument eine große Rolle. Weil das Interieur alle Sinne der Kunden – Sehen, Fühlen, Riechen und Hören – anspricht, legen sich die Hersteller entsprechend ins Zeug. Ein zentraler Aspekt ist die Materialauthentizität, beschrieb Udo Gayer, Leiter Kunststoffe im Interieur bei Daimler, Stuttgart, die Aufgabe. Holz soll beispielsweise wie Holz aussehen. Doch weil Vollmaterialien etwa aus funktionalen oder Gewichtsgründen eher ungeeignet sind, erweisen sich Kunststoffkombinationen oft als geeignete Problemlöser. Nicht zuletzt deshalb fänden sich rund 50 % der in Fahrzeugen verbauten Kunststoffe im Innenbereich. Als alternatives Verfahren bietet sich z. B. das Hinterspritzen hauchdünner Furniere an, die anschließend durch Überspritzen mit einem transparenten Material ihr endgültiges Oberflächenfinish erhalten. Allerdings müssen sich auch diese Materialien dabei besonderen Herausforderungen bezüglich ihrer Eigenschaften stellen. „Cremebeständigkeit“ ist das Stichwort. Das war bis September 2006 kein nennenswertes Problem. Doch nachdem Forscher feststellten, dass nicht nur die UV-B-Strahlen sondern auch die bis dato weniger gefürchteten UV-A-Strahlen der Sonne für die menschliche Haut schädlich sind, änderte die Kosmetikindustrie die Rezepturen. Mit fatalen Folgen, denn die neuen Cremes beeinträchtigen offensichtlich die Langzeitstabilität der Lacke im Automobilinnen- wie im -außenbereich. Das Thema wird die Branche noch einige Zeit beschäftigen, wie die Lackexperten Annett Schramm und Thomas Gese von VW, Wolfsburg, auf dem VDI-Kongress prophezeiten und stellten dafür in Mannheim ein Prüfverfahren vor, für dessen Durchführung sie eine Standardhand- und -sonnencreme entwickelten.
Das Thema Leichtbau ist in der Kfz-Industrie ein Dauerbrenner, verbraucht doch ein um 100 kg leichterer Pkw nach Ansicht der Experten zwischen 0,4 l und 0,6 l weniger Kraftstoff auf 100 km, was im Hinblick auf die Gesamtzahl zugelassener Fahrzeuge ein gigantisches Einsparpotenzial bedeute. Otto Benzinger, Teamleiter Entwicklung neue Materialien bei der Daimler-Tochter Smart, berichtete, dass durch den Wechsel von der Kunststoffkombination PC/PBT zu PP/EPR T20 für die Anbauteile des neuen Smart Fortwo beispielsweise Gewichtseinsparungen von rd. 15 % erzielt wurden.
Mit der „HP2 Sport“ stellte das Berliner BMW-Motorradwerk ihren stärksten und zugleich leichtesten Serien-Boxer vor. Die Maschine ist mit zahlreichen, bislang nur im Rennsport üblichen Elementen ausgestattet, etwa mit einem selbst tragenden Heck aus kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff (CFK). Ebenfalls aus CFK sind Motorspoiler, Kotflügel vorne, Front- und Tankverkleidung, Kennzeichenträger, Fersenabweiser sowie die Zylinderkopfhaube. Fahrfertig wiegt die über 200 km/h schnelle HP2 lediglich 199 kg. Allein beim Motorspoiler konnte das Gewicht gegenüber der herkömmlichen Bauweise mit glasfaserverstärktem Polyamid halbiert werden, wie Martin Derks von der Kunststoffentwicklung bei BMW erläuterte. Die Composite-Bauweise habe zudem auch hier neue Designmöglichkeiten eröffnet, etwa durch die Funktionsintegration von Befestigungselementen.
Bei Bussen treiben vor allem die großen Glasflächen das Gewicht in die Höhe. Die Evobus GmbH entwickelte ein ursprünglich aus Verbundsicherheitsglas bestehendes Außenhautteil einer zweiteiligen Heckscheibe aus Polycarbonat, wie Roland Scharl vom Produktionsstandort Mannheim berichtete. Ziel war es, das ursprüngliche Gewicht zu halbieren und zugleich wenigstens kostenneutral zu bleiben. Nach umfangreichen Untersuchungen und einer Vorerprobung mit dem 2 m langen Bauteil sei der Materialsubstitution zugestimmt worden. Die Serienfreigabe erwartet Scharl bis zur Mitte dieses Jahres. THOMAS SCHWACHULLA/Si
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