„Klein-Detroit“ zwischen Donau und Tatrahochgebirge
Die Slowakei gilt als Shootingstar, wenn es um Standortvorteile und unternehmerfreundliche Wirtschaftspolitik gilt. Doch Experten warnen ausländische Firmen davor, trotz niedriger Lohnkosten nicht zu euphorisch zu investieren.
Wenn es um die Attraktivität als Wirtschaftsstandort geht, gilt die Slowakei unter Managern als Musterschüler. Den Behörden des Tatra-Staates sagt man nach, dass sie besonders unternehmerfreundlich sind. Und mit einer international stark beachteten Steuervereinfachung hat das Land das Interesse zahlreicher Anleger auf sich gezogen. Die Arbeitskosten sind, besonders im Osten des Landes, selbst für ein neues EU-Mitglied noch immer besonders tief. Wirtschaftsminister Pavel Rusko betreibt eine aggressive Standortpolitik und hat damit zuletzt einige große Automobilhersteller und Zulieferer ins Land gelockt.
Die Slowakei kann sich brüsten, weltweit einer der wichtigsten Standorte für Automobilhersteller geworden zu sein – ein neues „Klein-Detroit“ zwischen Donau und Tatrahochgebirge. Das Risiko dieser einseitigen Abhängigkeit von einem einzigen Wirtschaftszweig ist in der Öffentlichkeit des Landes noch kein Thema.
Wirtschaftsfachleute warnen aber davor, dass der Luftballon des jungen slowakischen Wirtschaftswunders bald platzen könnte, weil das staatliche Gesamtgefüge von Einnahmen und Ausgaben nicht stimmt. Dies wird sich allerdings erst in einigen Jahren herausstellen.
Die vom dynamischen Wirtschaftsminister mit vielen Versprechungen ins Land geholten ausländischen Investoren haben aber schon jetzt mit allerlei unerwarteten Problemen zu kämpfen. So kann der koreanische Automobilhersteller Kia sein neues Werk im mittelslowakischen Zilina nur mit größter Mühe verwirklichen, denn die lokalen Landbesitzer wollten ihr Eigentum zum staatlich festgesetzten Preis nicht verkaufen. Ein Eklat. Das Platzen des Vorzeigeprojektes konnte nur unter größter Mühe und in letzter Minute verhindert werden.
Stutzig machen viele Beobachter zudem auch die jüngsten statistischen Daten, die die Entwicklung des slowakischen Wirtschaftswunders nämlich nur bedingt belegen. So sank im März die Industrieproduktion des Landes um 2,2 %. Zudem waren im vergangenen Jahr die von Ausländern getätigten Investitionen nach Angaben der Nationalbank deutlich rückläufig. Während im Vorjahr rund 838 Mio. $ ins Land flossen – davon rund 80 % in die Region Bratislava -, waren es 2003 noch über 1 Mrd. $ und ein Jahr früher sogar vier Mal mehr. Selbst die Landespresse räumt ein: Die Slowakei gilt nur auf dem Papier als Investorenparadies. Zudem stand im Vorjahr das benachbarte Ungarn bei ausländischen Investoren an der Spitze, gefolgt von Tschechien, Österreich und Frankreich.
Beim aktuellen slowakischen Wirtschaftswachstum von 5 % muss zudem beachtet werden, dass Bratislava in Sachen Wirtschaftsmodernisierung in der vier mitteleuropäische Länder umfassenden Visegrád-Region als deutlicher Nachzügler gilt und damit erheblichen Nachholbedarf hat.
Die so genannten Visegrád-Länder konnten 2004 rund 17 Mrd. $ Auslandsinvestitionen auf sich vereinen. Davon entfielen 7,68 Mrd. $ auf Polen, 4,46 Mrd. $ auf Tschechien und rund 4 Mrd. $ auf Ungarn, das damit vier Mal höhere Auslandsinvestitionen ausweisen kann als der vermeintliche Musterschüler Slowakei. Auch statistisch gesehen macht die bisweilen als „Tatra-Tiger¿ bezeichnete Slowakei mit 155 $ je Einwohner keine besonders gute Figur. In Polen entfallen 203 $ Auslandsinvestitionen auf einen Einwohner, in Ungarn 397 $ und in Tschechien sind es 435 $ pro Kopf. Wirtschaftsminister Pavel Rusko beschwichtigt allerdings, dass die jüngsten Investitionsvorhaben erst in den kommenden Jahren in der Statistik auftauchen werden.
Kritische Analysten sind damit befasst, auszurechnen, wie teuer die internationalen Investitionsvorhaben die Slowakei tatsächlich kommen. Offiziell erfährt man nichts, die Regierung behandelt die gegenüber ausländischen Großinvestoren gemachten Zugeständnisse als Staatsgeheimnis. Mittlerweile gibt es aber – nach Klagen der eigenen Wirtschaftsverbände – sogar Gerichtsbescheide, welche die Regierung zu einer Offenlegung dieser brisanten Daten verpflichten.
Gerade der Fall Kia hat nämlich gezeigt, dass das Wirtschaftskabinett in Bratislava zuweilen auch Versprechen macht, die nur unter größter Mühe einzuhalten sind. Kaum jemand in Bratislava hatte sich beispielsweise vorgestellt, dass der Bau einer milliardenschweren Autofabrik in Zilina daran scheitern könnte, dass ein paar störrische Bauern ihren Grund und Boden nicht verkaufen wollen. Erst als der Wirtschaftsminister zusätzliche 100 Mio. Kronen (rund 3,2 Mio. ?) in die Waagschale warf, wurde das Projekt im letzten Augenblick gerettet.
Zwar hat sich zuletzt auch der koreanische Reifenhersteller Hankook Tire für die Slowakei als Standort entschieden. Doch der international viel bekanntere Konkurrent Bridgestone sprach sich jüngst für Ungarn aus – ein herber Rückschlag für Bratislava, das sich bei der Ansiedlung von ausländischen Investoren gerne im sportlichen Wettstreit mit seinen Nachbarn sieht. ARON G. PAPP
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