Ideengeber für Fahrzeuge von morgen gesucht
VDI nachrichten, Düsseldorf, 4. 11. 05 – Start-ups können die Qualitäts- und Verfügbarkeitsanforderungen in der Autoindustrie kaum erfüllen. Doch ihre Ideen sind durchaus willkommen. Wer etwa Fahrerassistenz- und Sicherheitssysteme, vollelektronische Lenkungen und Bremsen oder Wasserstoffantriebe bietet, kann durchaus den Fuß in die Tür bekommen.
Neulinge haben es im Automobilbau schwer. „Bei der Motorentwicklung oder bei der Hardware für Karosserie und Antriebsstrang können uns Jungunternehmer kaum weiterhelfen“, erklärt Prof. Raymond Freymann, Leiter Forschung und Technik der BMW Group. In diesen Bereichen seien die Autohersteller und ihre Großzulieferer allein schon von der F&E-Infrastruktur her so im Vorteil, dass frisch gegründete Firmen nur in seltenen Ausnahmen mit neuer Technik punkten können. Entsprechend warnt Freymann davor, Zeit und Geld in teure Prototypen zu investieren, bevor klar ist, ob eine Technik wirklich gewollt und gebraucht wird.
Und selbst wenn ein junges Unternehmen einmal einen Zuschlag bekommt, ist unklar, wie dauerhaft es von der Kooperation profitieren kann. Selbst etablierte Zulieferer beklagen, dass die Autohersteller kaum noch langfristige Verträge schließen. Außerdem zögen sich die Verhandlungen stets bis kurz vor Serienstart hin. Alle potenziellen Partner müssen dann Produktionskapazitäten vorhalten, ohne zu wissen, ob sie wirklich gebraucht werden. Kein gutes Pflaster für Gründer, die noch die Strukturen ihres Betriebs aufbauen.
Ganz schwarz sieht Freymann für Jungunternehmer im Automotivebereich aber nicht. Es gebe durchaus Bereiche, wo ihre Kreativität sehr gefragt sei: „Mit Software- und Elektronikideen oder innovativen Verfahren im Bereich alternativer Energieträger – vor allem Wasserstoff – haben Gründer bei Autoherstellern gute Chancen.“ In diesen Feldern seien auch die Entwicklungskosten überschaubarer, zumal hier niemand fertige Verfahren oder lauffähige Software erwarte. Um einen Fuß in die Tür zu bekommen, würden bereits geeignete Entwicklungsansätze genügen. Vor allem bei Fahrerassistenz- und Sicherheitssystemen, vollelektronischen Lenkungen und Bremsen (by-Wire-Technologien) und bei Klimatisierung und Fahrdynamik seien noch große Potenziale zu heben.
Software und Elektronik gelten als zentrale Innovationsfelder der Autoindustrie. Experten schätzen, dass 90 % aller Neuerungen darauf entfallen und sie 40 % der Produktionskosten heutiger Oberklassewagen ausmachen. „Die nächste Generation von Fahrzeugen im Premium-Segment wird bis zu ein Gigabyte Software beherbergen“, prophezeit die BMW Car IT GmbH. Dr. Burkhard Göschel, BMW Entwicklungsvorstand, sieht Software sogar als den entscheidenden Schlüssel, um sich künftig im Wettbewerb hervorzutun. Deshalb dürfe man sie keinesfalls nur bei Zulieferern kaufen, sondern müsse hier eigene Kompetenz aufbauen.
Das hat auch Audi erkannt. (Siehe auch Artikel unten.) Die Ingolstädter möchten mit neuen Software- und Elektronikideen glänzen, die Zahl der Pannen senken und sich der Abhängigkeit von ihren Zulieferern entziehen. „Wir als Autohersteller brauchen diese Kompetenz direkt bei uns an Bord“, so Dr. Andreas Kleineicken. Kleineicken betreut bei der Audi Electronics Venture (AEV) Start-ups mit Software- und Elektronikhintergrund. Die AEV wurde gegründet, um Technologie-Scouting zu betreiben und Gründer mit Erfolg versprechenden Ideen an den Konzern zu binden. Dafür verfolgen die AEV-Mitarbeiter einschlägige Veröffentlichungen, besuchen Konferenzen und nehmen Businesspläne entgegen. „Die AEV ist Audis Andockstelle für Gründer“, erklärt Kleineicken. Der Konzern reagiere damit auf das Dilemma, dass Außenstehende mangels Einblick in die Strukturen oft nicht die richtigen Ansprechpartner finden. So besteht nicht länger die Gefahr, dass Gründer von den Serienentwicklern abgewimmelt werden, obwohl ihre Idee für die Vorentwicklung wertvoll sein könnten.
Damit aus den Ideen auch Produkte werden, gibt die AEV ihren Schützlingen finanziellen, juristischen, technischen und personellen Beistand. Dabei geht Qualität vor Masse – die AEV will ihr Portfolio klein halten, um angemessen fördern zu können. Wo die Audi-Tochter sich engagiert, pocht sie auf eine 50 %-ige Beteiligung. „Wir wollen auf Augenhöhe mit den Gründern zusammenarbeiten“, so Kleineicken.
Wenn die entsprechende Fachabteilung einer Beteiligung zustimmt, setzt die AEV ihre Maschinerie in Gang. Die Audi-Patentabteilung kümmert sich um die Absicherung der Technologie, AEV-Kaufleute verfassen mit den Gründern den Businessplan, und Entwickler legen mit ihnen Meilensteine auf dem Weg zur Serie fest.
Audi betreibt mit der AEV offenes Technologie Venturing. VW bietet mit der AutoVision GmbH eine ähnliche Anlaufstelle für Gründer. „Doch in der Regel bahnen Autohersteller ihre Kooperationen mit Software- und Elektronik-Start-ups eher leise an“, weiß Marktkenner Kleineicken. Auch wenn sie sich nicht finanziell an jungen Unternehmen beteiligen, erfüllen die IT-Töchter diverser Autokonzerne den Zweck, softwarebasierte Technologien zu evaluieren und integrieren – und dafür von Fall zu Fall auch Kooperationen mit Gründern einzugehen.
PETER TRECHOW
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