Flugzeuge im Bauch
Mitten im Interview klingelt Holger Steinles Handy. Ein Mitarbeiter hat bemerkt, dass am Auto des Chefs noch die Lichter brennen. „Das passiert mir in letzter Zeit aber zu oft“, brummelt der Leiter der Abteilung Luft- und Raumfahrt des Deutschen Technikmuseums in Berlin. Ein weiterer Kollege bietet ihm aus dem Nebenraum an, die Sache zu beheben. Der vorm Museum geparkte Wagen ist kaum zu übersehen: ein weißer VW Polo älteren Jahrgangs. „Stark restaurierungsbedürfig“, lacht Steinle.
Der Mann steckt voller Überraschungen. Da zieht er über die Kontinente, immer auf der Suche nach alten Flugzeugen für die Berliner Sammlung, die am 16. April der Öffentlichkeit übergeben wird. Nimmt allerlei Risiken und Beschwernisse auf sich, um etwa aus einem norwegischen See die Überreste von zwei deutschen Flugzeugen zu heben, die hier im Winter 1941 auf der Eisdecke gelandet, dann aber eingebrochen und versunken waren. Und zieht in einer spektakulären Bergungsoperation tatsächlich die Heinkel He 111 und die Junkers Ju 88 nahezu unbeschädigt aus dem See bei Trondheim.
Der 57-jährige geborene Badener lebt für seinen Job und die Flugzeugsammlung, deren Bestand er seit 1986, als er als Leiter der Abteilung antrat, von 13 auf mehr als 40 Flugzeuge verdreifacht hat. Durch Ankauf oder Tausch, oft mit diplomatischem Geschick und dank vieler Kontakte zu Experten der Flugzeuggeschichte in aller Welt.
Bis er bei den Flugzeugen ankam, nahm der Lebensweg von Steinle einige Windungen. Nach seinem Studium des Wirtschaftsingenieurswesen an der Berliner TU gründete er einen Verlag, in dem er eigene Bücher zur Berliner Alltagskultur und Verkehrsgeschichte herausgab. Er realisierte die „Galerie alter Bierreklame“ in Köln und eine Ausstellung über Blechreklame in Berlin und absolvierte an der HDK Berlin eine Gastprofessur zum Thema Ergonomie.
Auf 6000 m2 Ausstellungsfläche breitet Steinle im Deutschen Technikmuseum künftig seine Schätze aus ¿ von den ersten Flugapparaten eines Otto Lilienthal über die Entwicklungen vor und im Ersten Weltkrieg, die Großzeit der deutschen Verkehrsfliegerei in den zwanziger Jahren, die Remilitarisierung im NS-Staat bis zur Geschichte von Lufthansa und Interflug in der Zeit der deutschen Teilung. Alles sauber dokumentiert mit Hilfe von Originalmaschinen, Einzelteilen und Modellen. Die meisten Flugzeuge sind in der auf Holzbau spezialisierten eigenen Werkstatt des Museums oder unter Anleitung von Partnern wie der Lufthansa Berlin Stiftung restauriert worden.
Steinle ist nicht der Typ, der sich auf Lorbeeren ausruht. Als Fortschreibung der Geschichte, die er in seinem Museum künftig erzählt, träumt er schon von einem Technologie-Schaufenster, in dem die deutsche und europäische Luft- und Raumfahrtindustrie ihr aktuelles Know-how vorstellt. „Um die Akzeptanz von solchen Forschungsprojekten zu steigern“, erklärt Steinle, „und um Hochtechnologie auf spannende Weise zu präsentieren.“
Eigentlich, so räumt er ein, sollte er mit dem Erreichten jetzt zunächst zufrieden sein. Und doch hat ihn die Idee zu einem solchen Zentrum bereits im Griff. Er hat auch schon einen Vorschlag für einen Ort: den Flughafen Tempelhof, der in den nächsten Jahren stillgelegt wird. Könnte sein, dass die Öffentlichkeit von dem Vorschlag bald mehr hört. Denn einer wie Steinle ist beharrlich. JOHANNES WENDLAND
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