Größer, schwerer, komplexer 23.05.2003, 18:25 Uhr

Entwickelt die Automobilindustrie am Kunden vorbei?

Bei ihrer Modelloffensive könnte die Automobilindustrie den Kundennutzen aus dem Auge verlieren. Denn immer mehr Entwicklungskompetenz geht auf die Zulieferer über. Und manchem Pkw-Projektmanager fällt es schwer, deren aufwändige Technik nach dem Marktbedarf zu bewerten.

Direkt vor der Kantine des Porsche-Entwicklungszentrums in Weissach sorgt der gelbe Sportwagen für Aufsehen. Denn das schnittige Gefährt vereint die Wunschträume etlicher Automobil-Ingenieure: Klassisch in der Form und vor allem leicht. Nur 780 kg wiegt das Unikat, das kaum mehr als
1 m in der Höhe misst und von einem Porsche-Aggregat angetrieben wird.
Dass der Wagen wie ein Motorrad beschleunigt – in weniger als 4,5 s von Null auf 100 km/h –, liegt am extremen Leistungsgewicht. „Rund 3 kg pro PS“, erklärt der Automobilbauer des gelben Flitzers mit der Bezeichnung GT6, Heinz Kurek. Seine Philosophie: Durch extremen Leichtbau und ein „homogenes Gesamtkonzept herausragende Fahrleistungen unter ökonomischen Gesichtspunkten zu erzielen.“
Leichtbau liegt im Trend. Spätestens seit Ökosteuern die Kraftstoffpreise in die Höhe treiben, kämpft die AutoIndustrie um jedes Gramm. „Alle reden davon, Gewicht zu sparen“, sagt Günter Weber, Vorstandsmitglied beim Entwicklungsdienstleister Rücker in Wiesbaden. Doch was ausgefeilte Konstruktionen oder Werkstoffe wie Aluminium an Masse senken, „satteln die Automobilhersteller durch allerhand Schnickschnack wieder drauf.“
Als Folge werden Autos werden immer schwerer, beobachtet Professor Gerhard Glatzel, Pro-Dekan am Lehrstuhl für Kraftfahrzeugwesen der Fachhochschule Wolfsburg. Er bezeichnet über 2 t für Pkw bei einem Kraftstoffverbrauch von 20 l/100 km und mehr – wie bei verschiedenen sportlichen Geländewagen – als Anachronismus.
Auch Ferdinand Dudenhöffer vom Center Automotive Research (CAR) in Gelsenkirchen erkennt im „Differenzierungsdrang der Marken und Hersteller ein zunehmendes Eigenleben.“ Das gehe an den wirklichen Bedürfnissen der Kunden vorbei. „Die Gefahr ist groß, dass sich die Hersteller verrennen und nur noch Neuerungen, Komponenten und Funktionen aus den Regalen ihrer Zulieferanten nehmen, anstatt Innovationen in grundlegend neuen Konzepten zu sehen“, sagt Dudenhöffer. Ernsthaft müsse wieder darüber nachgedacht werden, unterstreicht Rücker-Chef Günter Weber, was den jeweiligen Charakter eines Fahrzeugs ausmacht und was ein Auto dazu wirklich braucht.
Dass es auch anders geht, zeigt die Marke Smart. Nach holprigem Anlauf verkaufte die DaimlerChrysler-Tochter im vergangenen Jahr bereits über 120 000 der Stadtflitzer. Mit den beiden neuen Sportwagen-Modellen „Roadster“ und „Roadster-Coupé“ sowie dem künftigen Viersitzer „Forfour“ wollen die Böblinger beweisen, dass leichte und verbrauchsarme Autos auf nicht allzu viel verzichten müssen, um durch „Innovation, Funktionalität und Fahrspaß die Käufer zu überzeugen“, so Unternehmenschef Rentschler.
Neue Sichtweisen tun offenbar Not. Nicht nur bei den Kunden, sondern auch im Management und bei den Konstrukteuren in der Automobilindustrie. „So lange allen der nötige Maßstab fehlt, haben die Leute nicht den Mut zu sagen, wir machen das jetzt anders“, verdeutlicht Rücker-Vorstand Weber.
Deutlicher wird Rainer Kurek, Geschäftsführer bei der Münchner MVI-Group, die als Beratungsunternehmen auf Produktentstehungsprozesse spezialisiert ist. Der Manager aus der Automobilindustrie und Sohn von Fahrzeugentwickler Heinz Kurek sieht längst „die geistige Eigenständigkeit der Entwicklungs-Ingenieure in Gefahr, um sich mit einem Produkt ganzheitlich auseinander zu setzen.“ Ursache hierfür sei zum einen der immer höhere Grad der Verlagerung von Entwicklungsleistungen an Zulieferanten durch die Automobilhersteller (OEM) „sowie die Konzentration von Entwicklern und Management der OEM auf prozessortientierte und administrative Projektaufgaben.“
Die Folge: „Den OEM entgleitet die Technik, weil viele Entwickler die Technik nicht mehr ganzheitlich bewerten können, sondern nur noch das einzelne Bauteil“, macht Kurek eine verhängnisvolle Entwicklung aus. Durch Outsourcing büßen die Automobilhersteller nach seiner Meinung nicht nur immer mehr Kompetenz ein, „die OEM bekommen auch Lösungen und Funktionsumfänge zurück, deren Fülle und Komplexität sie für den Endkunden nicht brauchen und deren Konzeptlösungen sie auch kaum noch bewerten können.“
Mit seiner Warnung steht Kurek nicht allein. Mangelnde Fähigkeit, ein Gesamtfahrzeug aufseiten der OEM beurteilen zu können, beobachtet auch Axel Balk. Für den ehemaligen Leiter der Nutzfahrzeugentwicklung bei Volkswagen führt das zu „halbherzigen Konzeptionen“. Bei vielen Automobilherstellern habe sich die Haltung breit gemacht, Fachkenntnis könne man kaufen, weshalb sie im eigenen Unternehmen zweitrangig ist. „Darunter leidet die Entwicklungsqualität des Endproduktes.“
Karl Dokter, Geschäftsbereichsleiter beim Entwicklungsdienstleiter Edag, fordert denn auch eine „Rückbesinnung zu mehr Fachkompetenz auf der Entscheiderebene.“ Die Krux sieht Dokter im mangelnden Gesamtfahrzeug-Verständnis vieler Projektmanager. Den meisten fehle die Erfahrung und das Gespür bewerten zu können, was den Charakter eines Fahrzeugtyps wirklich ausmacht und was nicht, kritisiert Dokter. Die Folge seien häufige Richtungsänderungen in den Fahrzeugprojekten und der Verlust des Zielhorizonts.
Für den Automobilbauer Heinz Kurek verliert die Industrie den Kunden aus dem Fokus. Zu wenig werde die eigentliche Frage gestellt: Welches Produkt will der Kunde wirklich? Weniger Komplexität und eine gleichzeitige Konzentration auf den homogenen Charakter eines Fahrzeugtyps bedeuten für Kurek unterm Strich „mehr Differenzierung und vom Markt mehr akzeptierte Produkte.“ B. ROSE/KIP

 

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