Schiffbau 05.02.1999, 17:20 Uhr

Ein Schiff im Baukasten

Wenn aus einer Fähre ein Luxusliner wird, ist modernste Technik mit im Boot. Die Verlängerung von Schiffen bleibt dennoch ein Vabanquespiel mit vielen Unbekannten.

Das ist schon ein merkwürdiges Gefühl“, sagt Hans Meeg. Denn als die Schlepper am Bug der „Norwegian Majesty“ Fahrt aufnehmen, muß der Kapitän des norwegischen Kreuzliners mit ansehen, wie sich mittschiffs ein immer breiter werdender Riß auftut. Doch eine Katastrophe ist das nicht, sondern Absicht: Die Norwegian Cruise Line hat sich entschlossen, eines ihrer Passagierschiffe um ein Stück verlängern zu lassen. Wieder ist der Auftrag bei der Bremerhavener Lloyd Werft gelandet, deren Mitarbeiter als Umbauspezialisten gelten. Die 33,6 m lange, neue Mittelsektion – „midbody“ genannt – steht schon bereit und soll nun zwischen Bug und Hecksektion gesetzt eingeschweißt.
Was an diesem Tag rund um das Trockendock der Lloyd Werft geschehen soll, scheint einfach. Schlepper werden zunächst die Bugsektion aus dem gefluteten Dock ziehen, dann den schwimmenden „midbody“ hineinmanövrieren und schließlich den Bug wieder davor schieben. Doch tatsächlich birgt das Geschehen zahlreiche Risiken. „Routine wird das nie“, sagt Uwe Pigors, Projektleiter für den Umbau der „Norwegian Sky“.
Die größte Unbekannte ist wieder einmal die Windkraft. Mit 5 bis 6 Beaufort bläst heute ein frischer Südsüdwest den Männern auf der Werft eisig ins Gesicht und genau von vorn auf die Dockeinfahrt. Eine einzelne Böe kann die wochenlangen Berechnungen der Projektingenieure zunichte machen. Pigors: „Die Windkräfte lassen sich einfach nicht kalkulieren.“
7600 t wiegt die Vorschiff-sektion, 3000 t der „Midbody“ und knapp 9000 t das Heck, das insbesondere durch die Hauptmaschine belastet wird. Das Problem: Alle drei Sektionen müssen genau senkrecht aufschwimmen und anschließend auch wieder trockenfallen, sonst klappt gar nichts beim Projekt Schiffsverlängerung. „Auf der späteren Gesamtlänge von 207 m haben wir eine Toleranz von vielleicht 5 mm“, so Pigors. Für den Fall der Fälle stehen Betongewichte bereit, um das Schiff wieder ins Lot zu bringen.
Doch heute geht alles wie Butter. Nach nur knapp einer Stunde nach dem Ausdocken des Vorschiffes wird die Mittelsektion von Schleppern auf Position gebracht. Die eigentlichen Kraftprotze an diesem Tag sind die „Lufttaljen“ der Werft. Obwohl die preßluftgetriebenen Winden gerade einmal so groß sind wie der Motor eines BMW-Motorrades, entwickeln sie mit 25 t Pfahlzug genau soviel Zugkraft wie die Assistenzschlepper. Zwei Taljen pro Schiffsseite und zusätzlich jeweils noch ein 50-t-Spill reichen aus, die Sektionen im Dock auf den Zentimeter genau zu bewegen. „Peter, ein bißchen fieren Heiner, hol tight“, dirigiert Uwe Adickes über Funk die Winschenführer. Fast sind die Kommandos des Dockmeisters überflüssig. Auf der Lloyd Werft weiß jeder auch ohne große Worte, wo er anzufassen hat.
Bei einem Projekt wie der Verlängerung der „Norwegian Majesty“ ist dies auch erforderlich. Die Werft steht unter Zeitdruck. Knapp zweieinhalb Monate hat sie Zeit, aus dem 1989 als Ostseefähre konzipierten Schiff einen vollständigen Neubau zu machen. Die Mittelsektion ist bei der Marine-Technik Wismar vorgefertigt worden und muß jetzt zwischen die Hälften der alten „Norwegian Majesty“ gesetzt werden. Doch drei Teile zu einem neuen Kreuzliner zusammenzufügen, ist mehr als ein kompliziertes dreidimensionales Puzzle. Nicht nur, daß die Außenhaut und elf Decks nach einem sorgsam ausgearbeiteten Plan innerhalb von einer Woche aufgeschnitten werden mußten (eine verkehrte Reihenfolge hätte sofort ein Verkanten der Sektionen zur Folge gehabt), sondern es galt auch, 1000 Leitungen und 600 Rohre für die Schiffsversorgung und -elektrik so zu trennen, daß sie anschließend wieder ohne Durcheinander zusammenzusetzen sind.
Wichtig für den Zusammenbau sind aus Doppel-T-Trägern geschweißte Abstandshalter, die das erste Aneinanderfügen der Sektionen mit zehn Zentimetern Genauigkeit ermöglichen. „Jawohl, er paßt“, verkündet Adickes, als sich der „midbody“ an das Heck „anschmiegt“.
Das Einschwimmen der Vorschiffsektion, das unmittelbar danach beginnt, scheint schon fast Routine. Der „forbody“ hat das Dock-Tor schon zur Hälfte passiert, da gibt es einen lauten Knall. Der böige Wind hat den Werftarbeitern einen Strich durch die Rechnung gemacht. Der ein Meter große Doppelblock, der den Zugdraht vom Steuerbordbug auf die „Lufttalje“ umlenkt, ist gebrochen. Doch Pigors und Adickes behalten die Ruhe, obwohl der Rumpf zu treiben beginnt und sich die stählernen Auftriebskörper am Steven an der Dockeinfahrt zu verkanten drohen.
Die „Bargen“ sind eigens für Bug und Heck der „Norwegian Sky“ konstruiert worden, um die Sektionen nach dem Auseinanderschneiden des Schiffes stabil und schwimmfähig zu halten. „Früher haben wir für derartige Konstruktionsaufgaben tagelang gerechnet und am Zeichenbrett gestanden“, erinnert sich Pigors, der „beim Lloyd“ gelernt hat und das Schiffsingeneurs-Patent C6 besitzt. Heute nutzen die Ingenieure Programme zum computerunterstützten Design, mit denen sie binnen Minuten eine farbige Grafik der optimalen Kräfteverteilung und der richtigen Ansatzpunkte für die Stahlstützen erstellen können, die den Schiffskörper halten.
Das Problem, das durch die plötzliche Windböe entstanden ist, lösen die Lloyd-Werker allerdings mit ihrem Improvisationstalent. Ein 8-t-Gabelstapler ersetzt die Kraft des Spills, das durch den gebrochenen Stahldraht beschädigt wurde – auch das Vorschiff der „Norwegian Majesty“ gleitet nach einer zweistündigen Unterbrechung der Arbeiten scheinbar mühelos auf seinen Platz.
Die eigentliche Feinarbeit allerdings beginnt, als die Ehrengäste der spektakulären Schleppaktion – der Reedereivorstand, Vertreter von Banken und Reiseveranstaltern – schon längst wieder gegangen sind. Der Abend dämmert über der Lloyd Werft, als die drei Sektionen langsam im Dock trockenfallen. Um die riesigen „bodies“ auf den Millimeter ausrichten zu können, setzen die Werftarbeiter auf die geballte Kraft der Hydraulikstempel im Dockboden und der bewährten „Lufttaljen“. Die Stempel bewegen die Sektionen in der Höhe, die Taljen ziehen die drei Schiffsteile über teflonbeschichtete Schienen zu den Seiten – so lange, bis Pigors verkünden kann: „Ja, alles steht an seinem Platz.“
Wichtig ist, daß die Mittelachse des Schiffes in allen Ebenen exakt gerade ausgerichtet ist. Die Lloyd-Werker kontrollieren dies mit Hilfe von Laserstrahlen, die parallel zum Rumpf auf eigens angebrachte Markierungen gerichtet sind. Mittels Höhenwinkelmessung per Laserstrahl achten die Vermessungsingenieure außerdem darauf, daß das Schiff genau senkrecht steht.
Nun haben die Schweißspezialisten wieder das Sagen auf der Werft: 1,8 km messen die Nähte insgesamt, die sie ziehen – wiederum genau nach Plan, um jede unerwünschte Spannung zu vermeiden. Kapitän Hans Meeg ist in der Zwischenzeit noch einmal an den Dockbauplatz zurückgekehrt: „Das sieht schon wieder gut aus.“ Sein Vertrauen in die Arbeit der Lloyd Werft ist grenzenlos: Am 1. April wird er mit der „Norwegian Majesty“ wieder Richtung Karibik aufbrechen. Die meisten der dann 731 Kabinen für 1462 Passagiere für die zweite Jungfernfahrt sind bereits gebucht.
WOLFGANG HEUMER
Projektleiter Uwe Pigors und Dockmeister Uwe Adickes: „Ruhe ist alles.“ Lloyd-Werker sind so schnell nicht aus der Balance zu bringen. Mit einer Spannvorrichtung wird das Mittelteil feinjustiert. Im Hintergrund der vorübergehend fixierte Bugteil des Liners. Die „Norwegian Majesty“ vor dem Zusammenbau auf der Bremerhavener Lloyd Werft: Die 33,6 m lange Mittelsektion muß zwischen Bug und Hecksektion so eingefügt werden, daß die Toleranz nur wenige Zentimeter beträgt. Danach werden elf Decks, 1000 Leitungen und 600 Rohre miteinander verbunden.

 

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Ein Beitrag von:

  • Wolfgang Heumer

    Der Autor hat mehr als zehn Jahre als Redakteur und Redaktionsleiter für verschiedene Tageszeitungen gearbeitet. Seit 1998 ist er freiberuflich mit den Schwerpunkten Wirtschaft, Technik und Wissenschaft für Magazine, Agenturen, Tageszeitungen und fachlich geprägte Medien tätig.

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