Automobilbau 19.11.1999, 17:23 Uhr

Die Königin der Nacht bekommt ihr Regenwasser

In Dresden zeichnen sich die ersten Konturen der wohl spektakulärsten Autofabrik der Welt ab. Sie wurde den Umweltschützern und Blumenfreunden abgerungen – zum beiderseitigen Nutzen.

Dort wachsen Bär-Lauch und Märzenbecher“. Matthias Bartusch, Technischer Leiter des Botanischen Gartens in Dresden, weist auf seine bedrohte Idylle, hinter der sich ein Bauzaun entlangzieht, über dem die Spitzen riesiger Kräne in den grauen Himmel über Dresden ragen. „In dieser Ecke der Anlage befindet sich seit jeher eine feuchte Niederung“, erklärt er, „die Ulme, die da steht, ist kerngesund. Doch wenn das Grundwasser abläuft, sterben uns hier zahlreiche Arten weg.“
Nachdenklich nimmt der stämmige Mitdreißiger eine Hand voll Erde aus dem Beet, reibt sie zwischen den Fingern. Für das Feuchtrevier des Dresdner Botanischen Gartens, von dem aus Bartusch zu den Kränen rüberblickt, hat der Bauzaun eine ganz eigene Bedeutung.
Denn dahinter gähnt eine riesige Baugrube. Bartuschs neuer Nachbar ist der Volkswagen-Konzern, der am Rand von Dresdens grüner Lunge eine Fabrik für Luxuswagen aus dem Boden stampft, aus Beton, Stahl und vor allem aus viel Glas.
Gut 300 m lang ist der Bauzaun zum Botanischen Garten, auch die Parkanlage Große Garten im Herzen der sächsischen Landeshauptstadt schließt direkt an den Fabrikneubau an.
Sechs Kräne drehen sich über der gigantischen Baustelle des VW-Konzerns, Rammen treiben Pfähle in die Tiefe, Mechaniker schweißen an Trägern. Der Rohbau des ersten Fabrikgeschosses steht bereits, der Aushub für die kleine Teststrecke und den Wirtschaftshof läuft auf Hochtouren. Ende 2000 werden hier dann täglich 150 Luxuslimousinen zusammengeschraubt.
Mitten im altehrwürdigen Dresden soll der zahlungskräftige Kunde wirklich König sein. „Unsere Kunden sollen die Entstehung und Komplettierung ihres eigenen Autos hautnah miterleben“, prophezeit VW-Chef Ferdinand Piëch.
Um die Ecke befindet sich das Deutsche Hygiene-Museum. Zum gläsernen Menschen gesellt sich nun die gläserne Fabrik.
Weltweit stagniert der Absatz von Autos, neue Konzepte müssen her. Mit dem ausschließlich in Dresden gefertigten Luxus-VW will Wolfsburg an die Edelkunden heran, in diesem Segment sind die Gewinnspannen am höchsten ein 12-Zylinder-Motor, etwa 450 PS bei 6 l Hubraum: um die 150 000 DM soll der Nobelschlitten kosten.
Doch das Auto ist nur ein Teil des Events. „Auf Wunsch“ will Piëch auch „Opernabende, Elbdampferfahrten oder Besuche in der Meißener Porzellanmanufaktur“ organisieren und schwärmt zugleich von „der Symbiose des Herstell-Ortes mit dem Flair der Kulturmetropole Dresden.“
VW setzt seine neue Fabrik auf das frühere Messegelände am Straßburger Platz, in die nördliche Ecke des Großen Gartens unweit der Frauenkirche. Die Pläne gingen nicht ohne Debatten um ökologische Probleme im Großen Garten über den Tisch, ein Bürgerbegehren scheiterte.
Im Gespann mit dem Kanzler der TU Dresden, Alfred Post, zog aber Bartusch die Drähte, um so viel für den Botanischen Garten – er gehört der TU – rauszuholen wie nur möglich.
Doch noch sind die Gefahren für den Botanischen Garten nicht völlig gebannt. „Die baubedingten Emissionen gefährden unsere Orchideen, die wir mit Regenwasser gießen“, erklärt Bartusch. „Staub, Zement, Kalkstäube lagern sich auf den Dächern ab und gelangen mit dem Niederschlag an die freien Wurzeln der Orchideen“.
Bartusch riecht an einer stark duftenden Königin der Nacht, einem Besuchermagnet des Gartens. „Selbst die war gefährdet“, sagt er , „deshalb holt VW jetzt für uns das Regenwasser aus der Talsperre Klingenberg.“
Mit Tankwagen karrte der Konzern rund 100 m3 pro Woche in die Zisternen des Gartens. Doch auch dieses Wasser enthält zu viel Schwefel und kann die empfindlichen Pflanzen schädigen. Deshalb vereinbarten VW und die Stadt, die Wasseraufbereitungsanlage der Botaniker aufzurüsten, inklusive Ionenaustauscher. Die Kosten trägt der Konzern, rund 170 000 DM.
Zusammen mit Kanzler Post hat Bartusch auch sonst eine Menge Siege für seine Pflänzchen eingefahren. Um die Absenkung des Grundwassers zu vermeiden, reduzierte VW die Zahl der Kellergeschosse, nur zwei Fahrstuhlschächte ragen in den Grundwasserleiter. An der Grenze zum sensiblen Feuchtrevier ließ VW alte Fundamente im Boden, um das Ablaufen des Grundwassers zu verhindern. „Unser neuer Nachbar ist uns sehr weit entgegen gekommen“, schätzt TU-Kanzler Post, „er hat sogar seine Fabrik verschoben, um unsere Wünsche zu berücksichtigen“ – immerhin um 18 m.
Ursprünglich wollte VW die Fabrik direkt an den Botanischen Garten rücken. In diesem Fall wären Lärmbelastung und Lichteinfall zu stark geworden. Um Abstand zu schaffen, verlegten die Architekten den Bau kurzerhand 18 m vom Botanischen Garten weg.
Doch nicht nur das. „Wir betreiben ausschließlich biologischen Pflanzenschutz, etwa durch den Australischen Marienkäfer, der die Schädlinge im Tropenhaus in Schach hält“, meint Matthias Bartusch. „Das Gedeihen zahlreicher Pflanzen hängt direkt von der Bestäubungsleistung unserer Insekten ab.“
Um die Insekten nachts durch zu viel Licht nicht auf die falsche Fährte zu locken, darf die Beleuchtungsstärke an der Grundstücksgrenze zum Botanischen Garten ein Lux nicht übersteigen, weniger als ein brennendes Streichholz.
Alle Außenleuchten werden ihr Licht deshalb vom Garten weg lenken. Im Gespräch sind spezielle Farbstrahler, deren Licht die Insekten nicht in die Irre führt, wie gelbe Natriumdampflampen. Um Lärm und Licht noch weiter zu dämpfen, wird der Schutzwall begrünt, „mit seltenen Arten, die wir gemeinsam mit den Landschaftsarchitekten der Fabrik auswählen“, so Bartusch. „VW entstehen dadurch keine zusätzlichen Kosten, da die Außenanlagen ohnehin bepflanzt werden müssen.“
Insgesamt scheint er nicht unzufrieden mit seinem neuen Nachbarn. „Das alte Messegelände war komplett versiegelt. VW wird seine Außenanlagen grüner gestalten, das Regenwasser kann wieder im Erdreich versickern“, so der gelernte Landschaftsarchitekt. „Wir müssen natürlich abwarten, wie sich die betriebsbedingten Emissionen für uns auswirken, aber da ist es für Prognosen noch zu früh.“
Der Botanische Garten am Straßburger Platz befindet sich an einer der verkehrsreichsten Kreuzungen in der Dresdner Innenstadt. Durch den Konkurs zahlreicher DDR-Betriebe und neue Heizungen in den Wohnhäusern hat sich die Luft in der Stadt dennoch spürbar verbessert, und Bartusch konnte empfindlichere Arten anpflanzen als früher und sein „Sortiment in den letzten Jahren erheblich erweitern“.
Um hier das Rad nicht wieder zurückzudrehen und die Emissionen durch Zulieferer gering zu halten, baut VW am Rand von Dresden derzeit ein Logistikzentrum, in dem die Baugruppen von Lkw oder Waggons mit Staplern auf die Straßenbahn umgeladen werden. Denn das geplante Frachtaufkommen ist enorm: täglich 4500 m3, etwa 2700 Container bei Vollauslastung der gläsernen Fabrik.
Die Dresdner Verkehrsbetriebe werkeln zur Zeit an einem für die Straßenbahngleise passenden Untersatz. Den Anschluss an das Werk und an das Logistikzentrum bezahlt ebenfalls der Konzern. Die Emissionen aus dem Fabrikbetrieb dürften gering bleiben, denn in der Manufaktur erfolgen nur die Montage des Cockpits und die Komplettierung der Karosserie bis zur Endabnahme.
Die lackierten Rohkarosserien stammen aus dem VW-Werk im westsächsischen Mosel. Dort laufen die Vorbereitungen für das neue Luxusprodukt auf Hochtouren. VW-Mosel hat sich in den letzten Jahren zum umsatzstärksten Unternehmen in den neuen Bundesländern gemausert. 1998 verließen 260 000 Golf und Passat das neue Werk an der Bundesautobahn A4, der Umsatz lag bei 6,4 Mrd. DM. Die Erweiterungsarbeiten laufen gerade an. In einer vollständig entkernten alten Produktionshalle sollen der Karosseriebau und die neue Lackiererei für das Luxusmodell entstehen. Größere Investitionen sind für den Beginn des kommenden Jahres vorgesehen, die Planungen laufen noch.
In Dresden kann Bartusch derzeit dabei zusehen, wie die gläserne Fabrik in die Höhe wächst. Der rechtwinklige Bau wird von einem gläsernen Turm überragt, im Foyer sind ein Konferenzzentrum und ein Restaurant geplant.
Seinem neuen Nachbarn hat Bartusch angeboten, die extensive Pflege der Schutzpflanzung ab dem dritten Jahr zu übernehmen. Dann werden die Pflanzen angewachsen und eingewöhnt sein. „Wenn die Manufaktur fertig ist, können wir über die Details reden. Unsere Nachbarschaft hat ja eben erst begonnen“, sagt er und verschwindet wieder zu seiner Königin der Nacht. HEIKO SCHWARZBURGER
Ein Mann mit einer Mission: Matthias Bartusch, Technischer Leiter des Botanischen Gartens in Dresden, mit seiner Wasseraufbereitungsanlage. Die hat er, zumindest teilweise seinem Nachbarn abgetrotzt, dem VW-Konzern.
Ab Ende 2000 sollen hier gut 150 Luxus-VW pro Jahr vom Band rollen. Zulieferer für die gläserne Fabrik: das VW-Werk Mosel bei Zwickau.
So langsam sind die Konturen des wohl spektakulärsten Automobilwerks der Welt zu erkennen.

 

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