„Die meisten Ingenieure können es auch nicht besser als mein Bauch“
VDI nachrichten, Greifswald, 4. 8. 06, ps – HanseYachts in Greifswald gehört zu den größten Yachtbauern Europas. Auch technologisch gilt das rasant wachsende Unternehmen als führend. Fragen an den Unternehmensgründer und erfolgreichen Segler, Michael Schmidt.
Schmidt: Ja, etwa bis zur Jahrtausendwende. Denn es kam anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Wir planten nur eine Marina mit Reparaturbetrieb. Dann begannen wir, Boote zu bauen. Anfangs, um Arbeitsplätze zu schaffen. Dabei wollte ich nie Boote in Serie bauen. Aber heute bin ich ziemlich glücklich, dass ich es gemacht habe. Wir fertigen heute Schiffe in sieben Klassen, vor allem kleinere Yachten ab 9 m Länge. Die Größte ist derzeit 18 m lang, das ist schon die Kleine unter den Großen.
VDI nachrichten: Nicht jeder Bootsbauer entwickelt seine Schiffe selbst. Wie viel ist bei Hanse wirklich Hanse?
Schmidt: Nahezu alles. Wir kaufen die Konstruktionslinien sowie technische Berechnungen. Aber das ist nur der Grundstock eines Schiffes. Wie es dann wirklich aussieht, das entwickeln wir selbst. Hierfür haben wir über 50 Leute, darunter viele gute Ingenieure, die sich um Entwicklung, Prototypenbau, Forschung, Design Gedanken machen.
VDI nachrichten: Sie selbst sind ein erfahrener und äußerst erfolgreicher Segler. Wie sieht das bei Ihrem Team aus?
Schmidt: Alle, die hier was zu sagen haben, sind in ganz jungen Jahren zum Wassersport gekommen. Natürlich fertigen wir heute industriell, doch das Wasser und die Natur haben sich ja nicht geändert, sie sind dieselben wie vor tausenden Jahren. Es gibt Wind, Stürme, Wellen ¿ Wenn Sie vergessen, wofür Sie diese Schiffe bauen, machen Sie einen Kardinalfehler. Bei uns fließt nach wie vor sehr viel von dem ein, was über viele Bootsbauergenerationen zusammengetragen wurde.
VDI nachrichten: Ihre Boote firmieren als Cross-Over-Yachten. Was versteht man darunter – Allroundboote, die für Regatten ebenso taugen wie als Freizeitkahn und Familienboot?
Schmidt: Wir machen keine Allroundboote! Das impliziert immer Zugeständnisse, einen Mischmasch aus allem. Wir machen das Gegenteil, halten die Kompromissfähigkeit bewusst gering. Wir feilen so lange an den Lösungen, bis das Ergebnis eigentlich exzellent ist. Uns geht es um das Vereinigen von zwei Welten – ein variantenreiches Produkt bei geringer Teilemenge.
Sehen Sie, ein Schiff, das sehr breit und sehr hoch ist, bietet zwar mehr Platz und Wohnkomfort, segelt aber normalerweise eher schlecht. Ein Jeep ist ja auch kein Porsche. Und diesen Gegensatz versuchen wir durch andere Materialien, ein anderes Design, bestimmte Konstruktionsformen zu entschärfen. Wir segeln dazu ganz viel mit den Prototypen, weil wir so herausfinden: Hier müssen wir noch 50 kg Gewicht unter den Kiel tun, dort den Mast um 15 cm verlängern oder den Bauch zehn cm strecken¿
VDI nachrichten: Vor welchen ingenieurtechnischen Herausforderungen steht der Yachtbau?
Schmidt: Zum einen gibt es immer mehr Elektronik an Bord, von Klimatechnik über Selbststeueranlagen und kombinierte Radar- und Windmessgeräte bis zu elektrischen Toiletten. Zum anderen wird zunehmend mit Kartiersoftware gearbeitet. Wir haben heute Architekten und Gestalter, die sind rund um den Erdball verstreut und arbeiten doch alle am selben Projekt. Sie steuern von ihrem Rechner in Neuseeland unsere Fräsmaschinen an.
VDI nachrichten: Sie haben einen zweiten Standort in Polen – um Lohnkosten zu sparen?
Schmidt: Nein, hier machen wir sehr viel Kunststoffarbeiten. Dafür finden Sie in Deutschland nicht mehr genug gute Leute. Polen hat da einfach einen Vorsprung. Sie bauen seit Jahrzehnten Segelyachten, sind heute einer der größten Kleinboothersteller in Europa.
VDI nachrichten: Sie bauen ihre Boote weitgehend in Epoxy – nicht eben ein Billigmaterial. Wo liegen für Sie die Vorteile?
Schmidt: Epoxyharz ist als hochwertiges Harzsystem dem herkömmlichen Polyesterharz weit überlegen. Aufgrund einer speziellen Verarbeitungstechnologie und des Vakuumverfahrens hat es die Festigkeit von Stahl, wiegt aber nur einen Bruchteil dessen. Die Fasern verkleben wesentlich besser, dadurch brauchen wir weniger Material. Die Yacht wird leichter, der Spritverbrauch sinkt, die Beschleunigung nimmt zu.
Zugleich können wir durch leichteres Material mehr Komfort an Bord installieren, etwa eine Waschmaschine, ohne damit das Gewicht zu erhöhen. Und Epoxy macht die Boote haltbarer, resistenter gegen Umweltbelastungen.
VDI nachrichten: Gehört dem Leichtbau die Zukunft im Bootsbau?
Schmidt: Zumindest wir investieren immer mehr in diese Technologie. Wir bauen jetzt schon alle Schiffe ab 43 Fuß standardmäßig im Epoxy-Sandwich-Vakuum-Verfahren, sind damit Europas einzige Werft, die das serienmäßig macht. Man muss es freilich auch beherrschen!
Wir forschen auch zu neuen Materialien und Produkten, arbeiten mit Instituten zusammen, so gerade bei der Frage, wie man Werkstoffe mit sehr unterschiedlichen Dehnungskoeffizienten wirksam verbindet, etwa Eisen und Kunststoff.
VDI nachrichten: Sie selbst sind aber gar kein Ingenieur ¿
Schmidt: Nein, ich bin Kaufmann. Das Schöne ist nur (lacht), dass es die meisten Ingenieure auch nicht besser können als mein Bauch. Aber im Ernst: Ich meine, es ergibt eine gute Mischung, wenn Sie als Chef technisches Verständnis besitzen, rechnen können – und dazu noch die richtigen Ingenieure haben, die dann alles ordentlich fundieren.
Im Übrigen ist hier bei Hanse in Greifswald eine glückliche Fügung aus Ost und West entstanden. Dazu gehören motivierte und fachlich gute Leute vor Ort, Know-how aus dem Westen, Fördermittel für den Standort und auch eine gute Behördenstruktur. Im Westen hätten wir solch einen Betrieb in dieser Geschwindigkeit nie aufbauen können.
VDI nachrichten: Was muss eine Yacht heute bieten, damit sie am Markt ankommt?
Schmidt: Eine Yacht muss schnell sein, gut segeln und eine Selbstwendefock haben. Auch bestimmte Alltagstechnik wie ein Kühlschrank ist Standard. Man legt auch mehr Wert auf luxuriöse Toiletten und Duschkabinen. Die Decks werden zudem immer aufgeräumter, klarer, und die Bootsformen gerader, raumschaffender, etwa durch einen senkrechten Steven.
VDI nachrichten: Wie lange dauert es von der Idee bis zu einer neuen Yacht?
Schmidt: Das ist unterschiedlich. Man geht über Bootsshows, sammelt Ideen, die sich dann im Bauch zusammenfügen. Unser Ziel ist es, ein großes Raumangebot, das unsere Hanse-Boote auch familientauglich macht, mit den Segeleigenschaften einer schmalen Yacht sowie einem komfortablen Interieur zu verbinden.
Mit unseren Booten gewinnt man Regatten, man kann mit ihnen aber auch Einhandsegeln, was ganz wichtig ist. Für die „461“ bekamen wir dann auch den Sonderpreis „Europas Innovativste Yacht des Jahres“. Das rührt aus der hohen Variantenvielfalt. Der Kunde kann sich sein Boot innen praktisch maßschneidern.
VDI nachrichten: Ihre Jahresproduktion lag zuletzt bei 450 Booten. Legen Sie weiter zu?
Schmidt: 450 Boote, das war im letzten Geschäftsjahr. Jetzt sind es 650 und demnächst 830. In diesen rasanten zweistelligen Raten wachsen wir schon seit Jahren. Wir arbeiten in zwei Schichten, sechs Tage die Woche.
VDI nachrichten: Wo ist das Limit?
Schmidt: Das Limit sind nur der Himmel, der Wind und unser Wille ¿ Seit wir Ende 2005 in eine neue Produktionshalle umgezogen sind und von Insel- auf Bandfertigung umgestellt haben, können wir noch kräftiger wachsen. Unsere Anlagen sind derzeit auf 2000 Yachten jährlich ausgelegt.
Besonders wichtig ist dabei, dass wir alles vor Ort machen, eben auch die Entwicklung hier haben. So können wir sehr viel schneller auf Trends oder Innovationen reagieren. Wir haben hier sofort die Boote im Wasser, können mit ihnen segeln und sie notfalls modifizieren.
Oft bauen wir die Boote erst einmal in Holz, um zu sehen: Wie ist das Raumgefühl, wie das Verhalten im Wasser? Danach erst entsteht der Prototyp.
VDI nachrichten: Wie viele Yachten nimmt denn der europäische Markt derzeit auf?
Schmidt: Seit längerem werden in Europa jährlich rund 6400 Schiffe in dem Segment gebaut, in dem wir tätig sind. Wer wachsen will, muss also besser sein als andere. HARALD LACHMANN
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