Bühne frei fürs heilige Blech!
VDI nachrichten, Witten, 19. 1. 07, sta – Mobilität ist teuer. Ausgaben für Sprit, Steuern und Versicherungen strapazieren das Budget vieler Autofahrer bis an die Grenze. Teure Reparaturen aus Meisterhand können sie sich nicht mehr leisten. Kommt es zum Schadensfall, können „Selbstschrauber-Hallen“ die Rettung sein. Für kleines Geld stehen hier Hebebühne und Lackierkabine zur Verfügung. In der Wittener „Hobby Miet Werkstatt“ sind neben Tipps vom Profi manchmal sogar Kaffee und Kuchen inklusive.
Gemächlich hievt eine Hebebühne den dunkelgrünen 525er BMW in die Höhe. Besitzer Peter Sobotta stellt sich darunter und schaut skeptisch in den Motorraum. „Die Lenkung geht schwer wie bei einem Lastwagen“, seufzt er. Eine Erklärung liefert er gleich mit: „Die Servopumpe hat nach 196 000 Kilometern den Geist aufgegeben.“ An Silvester sei es passiert. „Erst hat“s nur geknackt, dann war sie hin.“
Auf die Marke BMW lässt Sobotta trotzdem nichts kommen. „Das fast elf Jahre alte Auto ist nach zwei Jahren und über 50 000 Kilometern zum ersten Mal außerplanmäßig in der Werkstatt!“ Nur mit den Servicepreisen der Münchener Autoschmiede ist er nicht glücklich: „Die hätten für die Reparatur weit über 1000 € berechnet. Allein die Pumpe sollte 800 € kosten.“ Das geht auch billiger, dachte sich der gelernte Karosseriebauer. „Schrauben kann ich selbst. Und das Ersatzteil habe ich bei Ebay für 42 € ersteigert.“ Bliebe nur eine Sorge: „Hoffentlich passt das Schnäppchen aus dem Internet auch.“
Testen will er es in der „Hobby Miet Werkstatt“ in Witten. Betreiber sind Markus Schwebel und sein Kompagnon André Schulze. Die Eröffnung war vor knapp fünf Jahren. Seitdem wächst der Kundenstamm stetig. „Wir beschäftigen mittlerweile sogar zwei fest angestellte Meister“, so Schwebel.
Um die fünf Hebebühnen für Pkw und eine für größere Transporter optimal ausnutzen zu können, gibt es neben der Mietwerkstatt auch einen normalen Werkstattbetrieb. Vormittags werden laut Schwebel meist Auftragsarbeiten erledigt, am Nachmittag und an den Wochenenden rücken dann die Hobbyschrauber an. „Grundsätzlich kann jeder kommen, wann er will“, so der studierte Philosoph und ambitionierte Schachspieler. Eine Anmeldung sei nicht nötig. Irgendwo in der 550 m2 großen Halle sei immer Platz.
Der Eintrittspreis in das Bastlerparadies ist bescheiden. Kunden zahlen für eine Hebebühne 14 € pro Stunde. Werkzeuge wie Flex, Schwingschleifer und Bohrmaschine sind inklusive. Beulenzieher und Schweißgerät gehen extra, ebenso die Lackierkabine.
Gratis sind die wertvollen Tipps von den Profis. Gibt es beispielsweise Probleme mit Blech und Farben, springt Lackier- und Karosseriemeister Giuseppe Romano aus Italien ein. Hakt es im Getriebe, weiß der polnische Mechaniker Roman Walasek Rat. Gelebtes Multikulti – auch wenn das hier keiner so nennen würde, ohne ausgelacht zu werden.
Das Klientel ist bunt gemischt: Da sind beispielsweise Gelegenheitstäter, die nur mal eben die Winterreifen aufziehen oder sich zum ersten Mal an einen Ölwechsel wagen. Daneben werkeln erfahrene Schrauber, die sämtliche Reparaturen am Alltagsauto selber machen. Anzutreffen sind natürlich auch junge Kerle, die den neuen Spoilerkit an ihren Polo schrauben. Diese werden argwöhnend von Büroarbeitern beäugt, die ihre müden Knochen bewegen wollen und über den Winter ihren Old- oder Youngtimer wieder flott machen. Eines haben sie alle gemeinsam: Sie wissen, dass das Fahrgefühl ein ganz anderes ist, wenn selbst Hand angelegt wurde.
BMW-Besitzer Sobotta ist Stammkunde. Nach nur einer Stunde hält er die ausgediente Servopumpe in ölverschmierten Händen. Ein prüfender Blick auf die Teilenummer, dann Erleichterung: „Passt, die Nummern sind identisch. Also rein damit.“
Meistens ist Sobotta mit seinem Mini Cooper da, Baujahr 1978, Typ 1000er Special. Die Aufhängung macht alle drei- bis viertausend Kilometer Probleme – selbst verschuldet. „Ich habe den Wagen tiefer gelegt, härtere Federn verbaut und den Radstand verbreitert. Das geht auf die Achsschenkel. Die Gummis leiern ständig aus und müssen gewechselt werden. Der Lohn ist allerdings reinstes Go-Kart Feeling“, sagt Sobotta und lacht.
Draußen auf dem Hof stehen die Langzeitpatienten der Mietkunden. Die können ihre Autos über Wochen und Monate hier parken und kommen bei Gelegenheit zum Schrauben vorbei. Da ist zum Beispiel der einst so schmucke VW T3 Bulli von Wohnmobilspezialist Weinsberg. Ohne Kühlergrill sieht der Oldie allerdings eher wie das Opfer einer abgebrochenen Nasentransplantation aus. Und auf der rechten Flanke klafft eine meterlange rostende Beule an Schiebetür und Längsträger. Daneben fristet ein roter Fiat Fiorino Kastenwagen mit Motorschaden sein Dasein. Und in der Ecke parkt ein 3er BMW. Der Eigentümer, ein Polizist, hat sich offensichtlich auf viel Arbeit eingestellt. Jedenfalls hat er einen alten Imbisswagen gleich danebengestellt – wohl für den Hunger zwischendurch.
Doch über allem thront ein blauer Riese: ein Mercedes-Transporter Typ 608 Diesel, Baujahr 1979, 3,30 m hoch und 7,30 m lang. Unter der Haube verbergen sich stolze 3,8 l Hubraum. Dass der Koloss daraus nur 86 PS schöpft, stört seinen Besitzer nicht. „Das reicht locker für Tempo 90“, sagt Andreas Tramm. Getestet hat der Ingenieur das zuletzt auf einer Familienreise quer durch Portugal. Heute ist er nur kurz nach Feierabend vorbeigekommen, um den Ölstand zu kontrollieren und mit dem Chef zu schwätzen. Sein Haupt-Schraubertag ist eigentlich Samstag. Dann ist er fast immer da.
Zuletzt hat Tramm die Heizung optimiert. Nicht, dass sie schwächlich dimensioniert gewesen wäre: Neben dem üblichen Warmluftgebläse pumpt eine Schiffsheizung warmes Wasser durch faustdicke Rohre, die hinter der Wandverkleidung entlang laufen. Doch die Wärmestrahlung war dem Reisefreund zu schwach. Beim nächsten Trip will er schließlich das Baltikum umfahren. Also verbaut er jetzt zusätzliche Ventilatoren, die die Warmluft zügig in den Wohnraum blasen. „Das sind ganz normale Computerlüfter. Die sind schön leise.“ Der Einbau sei eigentlich keine Hexerei. „Letzte Woche habe ich für ein einziges Gerät allerdings drei Stunden gebraucht.“ Verzweifeln lässt das den 35-Jährigen nicht. Der nächste Herbst ist schließlich noch einige Samstage entfernt. Außerdem genießt er die Stunden praktischer Arbeit. „Im Job bin ich fast nur noch mit kaufmännischen Tätigkeiten beschäftigt.“
Schraubererfahrung hat Tramm schon reichlich. Vor zwei Jahren hat er einen Citroen CX auf eine Rallye durch die Wüste geschickt. Vergangenes Jahr widmete er sich seinem weißen 123er Mercedes Kombi. „Der Rost war übel. Ich habe ungefähr 2 m2 Blech reingeschweißt.“
Soweit will es ein Dortmunder Ehepaar mit blauem Suzuki Alto gar nicht erst kommen lassen. Ein freundlicher TÜV-Prüfer hatte vor kurzem zwar keine Mängel am kleinen Japaner festgestellt, aber darauf hingewiesen, dass ein vernünftiger Unterbodenschutz fehlt. Also haben sich die zwei nach Feierabend zusammen auf den Weg zur Mietwerkstatt gemacht. Beide tragen Turnschuhe, Jeans und einen hellen Fleece-Pullover – das Team Suzuki ist heute offensichtlich zum ersten Mal hier. „Ich bin normalerweise nur fürs Catering zuständig, wenn mein Mann zu Hause an seinem Auto schraubt“, erklärt sie entschuldigend. „Aber heute kümmern wir uns um meinen Wagen. Da will ich richtig helfen.“ Und schon schwingt die gelernte Sekretärin die Drahtbürste.
Nach einer halben Stunde ist der Rost weggekratzt. Jetzt muss eine schwarze Masse mit Hochdruck aufgesprüht werden. Die Stamm-Autowerkstatt des Paares wollte die Arbeit nicht machen. Das Sprühen mache zu viel Dreck. Lackiermeister Romano sieht das ganz entspannt. Er schraubt die Literflasche Unterbodenschutz an die Druckpistole und gibt letzte Tipps: „Um den Auspuff herum mit weniger Druck sprühen.“ Schließlich solle der nicht mit versiegelt werden.
Nach nur einer halben Stunde ist der Suzuki von unten akkurat geschwärzt. Das Team Suzuki ist stolz auf sich. Die Kosten in Höhe von 20 € für die Hebebühne und das benötigtes Material trübt das Glück nicht. Der Ausflug unter das Auto wird sogar als ein tolles Gemeinschaftserlebnis verbucht.
Rechter Hand steht ein roter Opel Astra auf der Bühne. Der ältere Herr darunter zeigt auf die Vorderachse. „Mein Neffe ist in einer Linkskurve gegen den Bordstein gerutscht. Jetzt ist die Spur verzogen.“ Nach genauer Inspektion mit Taschenlampe ergänzt er: „Der Querträger hat einen Schlag abbekommen. Das Radlager ist hinüber.“
Der eigentliche Astra-Pilot freut sich, dass sein Onkel den Flitzer wieder flott macht. Schließlich hat der Führerschein-Neuling den Wagen vom eigenen Gehalt bezahlt und bereits kräftig in Scheinwerfer und Sportauspuff investiert. Und demnächst soll eine neue Hi-Fi-Anlage her. Ob das finanziell noch drin ist? Der Familienmechaniker gibt Entwarnung: „Materialkosten rund 100 €.“
Es dämmert schon, als auch BMW-Besitzer Sobotta seinen Wagen von der Bühne rollen lässt – zwei Stunden hat er gebraucht, wie geplant. Die neue Pumpe ist eingebaut, mit Hydrauliköl befüllt und entlüftet. Sobotta rangiert seinen BMW mit leichter Hand aus der Halle – der reparierten Servolenkung sei Dank: „Kein Knacken, alles bestens“. ANDRÉ SCHMIDT-CARRÉ
Ein Beitrag von: