Wenn sichder Boden auftut
Die langsame Erwärmung der Erdatmosphäre ist eine Gefahr für die bestehenden Öko-Systeme. Jetzt ist ein Disput darüber entbrannt, welche Risiken tauende Permafrostböden bergen.
Unlängst meldeten sich russische Wissenschaftler zu Wort, die sich von der zu erwartenden globalen Erwärmung Vorteile für den Norden des Riesenreichs erhoffen: Geringere Heizkosten, eine aufblühende Landwirtschaft und ganzjährig offene Schiffspassagen wären ein wahrer Segen für Sibirien.
Freilich hatten die Optimisten einen wichtigen Aspekt bei ihren Überlegungen ausgespart. Ein Großteil der Infrastruktur nördlicher Regionen steht auf Dauerfrostboden, dessen Stabilität gefährdet ist, warnt jetzt ein Team aus russischen und amerikanischen Forschern im amerikanischen Fachblatt „Nature“.
Anlagen zur Gasproduktion, Pipelines, Straßen aber auch die Transsibirische Eisenbahn und das Kernkraftwerk Bilibino stehen auf Permafrostboden. Aufgrund der Erderwärmung könnte es dort zu lokalen Senkungen oder gar weiträumigen Deformationen des Geländes kommen. Vor allem an Hängen könnten neue Verwerfungen zu Erdrutschen führen. In manchen Gebieten seien sogar großräumige Setzungen des Bodens von mehreren Metern Tiefe zu erwarten.
Auch die Erosion der Küsten würde wahrscheinlich zunehmen, vermuten die Forscher. Anhand von Klimamodellen sowie der Verbreitung von Permafrost berechneten sie das Risiko für Schäden in der Nordhemisphäre und stellten es kartographisch dar. Die Karten sollten als Planungsgrundlage benutzt werden, um negative Konsequenzen abzumildern und Katastrophen zu vermeiden.
Doch nicht nur der Dauerfrostboden in Alaska, Kanada und Russland kann auftauen. Wenn es auf der Erde wärmer wird, dann betrifft dies auch Hochgebirge, wie etwa die Alpen. Beispiel Schweiz: Noch bestehen etwa 3 % der Landesoberfläche aus Gletschern. Diese schmelzen aufgrund der Erderwärmung ab und verschwinden, wofür es klare historische Beispiele gibt. Weniger offensichtlich und erst seit wenigen Jahren im Fokus der Forschung sind die Veränderungen im Permafrost, der weitere 5 % der Schweizer Landesoberfläche bedeckt. Es besteht die Gefahr, dass auch dieser Dauerfrostboden taut, da seine Temperatur nur knapp unter dem Gefrierpunkt liegt.
Dass das allerdings nicht zwangsläufig sein muss, betont Prof. Sarah Springmann vom Institut für Geotechnik der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich: „Es gibt immer Temperatur-Schwankungen im Permafrost.“ Entscheidend sind die Schneefälle. Wenn es sehr früh schneit, hält die isolierende Schneedecke die Wärme länger im Boden. Das ist schlecht für die Stabilität des Permafrosts. Umgekehrt konservieren späte Schneefälle die vorherige Abkühlung. Trotz dieser Unsicherheit sieht Springmann einen „Trend zur Erwärmung des Permafrosts“.
Und die kann fatale Folgen haben. „Wenn die Temperatur ansteigt, dann verliert der Boden an Stabilität“, erläutert Springmann, da die Eishülle um die Bodenteilchen schmilzt und die so genannte Saugspannung, die die einzelnen Teilchen im gefrorenen Zustand zusammenhält, schwindet. Die Folgen könnten Erdrutsche sein oder sogar der Abbruch von Felskanten, sofern es dort mit Eis gefüllte Klüfte gibt. „Bei einer Erwärmung muss mit einer Häufung von Bergstürzen gerechnet werden“, sagt der Glaziologe Felix Keller von der Academia Engiadina im schweizerischen Samedan. „Wir hatten in den letzten zehn Jahren zehn Bergstürze in der Nähe der Permafrostgrenze, das bereitet uns große Sorgen.“ Auch der Steinschlag habe zugenommen. „Außerdem beobachten wir, dass die Anzahl großer Schlammlawinen zunimmt, während die kleinen ausbleiben.“ Je größer die Lawinen, desto eher stellen sie eine Gefahr für die Siedlungen in den Tälern dar.
Betroffen sind auch Seilbahnen, Bergstationen oder Hochspannungsleitungen, die auf Dauerfrostboden stehen. Etwa 1900 km Skilifte und Bergbahnen gibt es in der Schweiz. Etwa 300 Seilbahnen stehen in Permafrostgebieten. Und es werden immer mehr, da tieferen Lagen für Skifahrer nicht mehr schneesicher sind. Um die mit dem Auftauen der Permafrostböden verbundenen Risiken abschätzen zu können, wurde im Rahmen des 1998 gestarteten Forschungsprojekts Permafrost and Climate in Europe (PACE) ein europaweites Beobachtungsnetzwerk aufgebaut. GÜVEN PURTUL
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