Unbeachtet rumort es unter stillen Maaren
VDI nachrichten, Düsseldorf, 11. 8. 06, mav – Auf den Philippinen wächst die Angst vor einem Ausbruch des Vulkans Mayon. Was dort eine reale, direkte bevorstehende Gefahr bedeutet, ist in Deutschland kaum vorstellbar. Oder doch? In der Eifel spie die Erde zuletzt vor rund 11 000 Jahren Feuer und Lava. Doch die Ruhe seitdem könnte trügen, meint der Geologe Ulrich Schreiber – und fordert eine bessere geophysikalische Überwachung.
So hat man sich die Überreste eines Vulkanausbruchs nicht vorgestellt. Hellgelbe, von Tunnel durchzogene Wände erheben sich am Rand des Brohltals bei Brohl am Rhein. Auf den ersten Blick erinnern sie an Sandstein, in den immer wieder dunklere Gesteinsbrocken eingelagert sind. „Das ist Trass“, erklärt der Geologe Ulrich Schreiber, Professor an der Universität Duisburg-Essen. „Der wurde hier während des Laacher-See-Ausbruchs von pyroklastischen Strömen abgelagert – glühend heiße Lawinen aus giftigen Gasen und Gestein, die mit 100 km/h die Hänge des Vulkans hinunterrasen.“
Solche Glutlawinen überrollten einst Pompeji und Herkulaneum. Den Trass am Rhein nutzten schon die Römer als Baumaterial, daher die Tunnel. Die Reste des Glutstroms erinnern an die gewaltige Sprengkraft, die in der Eifel steckt: 16 km3 Tephra – eine Mischung aus Asche, Lavafetzen und kleinen Steinen – spie der Laacher-See-Vulkan damals aus zum Vergleich: beim Mount St. Helens waren es 1980 nur 0,5 km3.
Vor 13 000 Jahren – in der Geologie ist das quasi gestern – geschah der letzte große Ausbruch. Rund 600 000 Jahre zuvor hatte der Vulkanismus begonnen, die Eifel-Landschaft zu prägen. Wo aufsteigendes Magma in der Tiefe auf Wasser traf, kam es zu explosiven Ausbrüchen – sie hinterließen die charakteristischen kreisrunden Seen der Eifel, die Maare.
Am Laacher See blubbert ständig Kohlendioxid aus dem Seeboden – ein deutliches Anzeichen dafür, dass der Vulkanismus hier nur schläft und nicht etwa erloschen ist. In Wallenborn bei Daun erzeugt das Gas sogar eine Art Geysir. Immer wieder signalisieren auch kleine Erdbeben – oft nur von empfindlichen Instrumenten registriert – dass es im Untergrund rumort.
Und doch fällt es schwer, sich vorzustellen, dass sich plötzlich eine Spalte auftut, aus der Lava fließt oder dass eine Aschesäule in den Himmel schießt. „Das ist eine realistische Möglichkeit“, sagt Ulrich Schreiber. Er hat die Störungen der Eifel kartiert, die Fugen in der Erdkruste, an denen einzelne Gesteinspakete aneinanderstoßen und sich bei Erdbeben aneinanderreiben. Sie sind auch mögliche Aufstiegswege für Magma. „Man müsste die Forschung intensivieren, die Störungen noch besser erfassen und ein engeres geophysikalisches Überwachungsnetz aufbauen“, fordert er.
Und er hat einen ungewöhnlichen Weg gewählt, mit seiner Forderung an die Öffentlichkeit zu gehen: einen Roman. „Unter Fachleuten ist ja akzeptiert, dass wir in der Eifel wieder Vulkanismus haben können. Aber es ist nicht so, dass von politischer Seite dazu Stellung genommen wird oder dass es Schutzvorrichtungen oder verstärkte Forschung gibt.“
Im Roman „Die Flucht der Ameisen“ bricht ein Vulkan direkt am Rhein aus. Immer mehr Lava strömt in das enge Flusstal, bis ein Damm den Rhein komplett blockiert. Das Wasser hat keinen Ausweg, das gesamte Mittelrheintal muss evakuiert werden. Der Rückstau erreicht Main und Mosel, zuletzt steht gar der Frankfurter Flughafen unter Wasser. Ingenieure sind gefordert, dem Wasser einen Ausweg zu schaffen, während der Vulkan immer wieder ausbricht. Es ist kaum vorstellbar, welche Folgen eine solche „Geokalypse“ für Deutschland hätte.
Schreiber gibt zu, dass sein Szenario extrem ist. Allerdings: Der Trass, dessen Reste man heute im Brohltal sieht, hat damals den Rhein aufgestaut. Als der Damm brach, kam es zu einer katastrophalen Flutwelle am Unterlauf. Und Untersuchungen zeigen, dass sich die vulkanische Aktivität nach Osten auf den Rhein zu bewegt.
Aber müsste sich aufsteigendes Magma nicht durch deutliche Vorzeichen wie Erdbeben bemerkbar machen? Das gilt vor allem für die „klassischen“ Vulkane mit einer Magmakammer in der Erdkruste, wie den Laacher-See-Vulkan oder heute den Mount St. Helens oder den Vesuv, erklärt Schreiber. Sie kündigen Ausbrüche auch durch Gasaustritte, Aufbeulungen oder Erwärmung an.
Aber es gibt auch die so genannten Basaltvulkane. Deren Magma steigt direkt aus dem tiefer liegenden Erdmantel auf. „Man kann diese Speicher gar nicht orten von der Erdoberfläche. Dort hat man dann wenige Vorzeichen – man müsste schon zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle sein, um das zu beobachten“, erklärt Schreiber. Und fordert eine intensivere Überwachung. Derzeit gibt es nur ein grobes Seismometer-Netzwerk – und das verzeichnet in manchen Gegenden gehäuft kleine Beben. „Diese Verhältnisse muss man einfach im Auge behalten. Es kann nicht sein, dass wir hier neben einem subrezenten, also fast aktiven Vulkangebiet leben mit einer Hochindustrie, und dass dieses vulkanische Potenzial praktisch ignoriert wird.“
Müsste da nicht das zuständige Landesamt für Geologie und Bergbau in Mainz entsetzt abwiegeln und von Panikmache sprechen? Michael Weidenfeller, im Amt für die Eifel zuständig, bleibt gelassen. „Das Buch hat einen hohen Unterhaltungswert, es ist fundiert, und das Szenario ist plausibel – auch wenn dafür viele Zufälligkeiten zusammenkommen müssen.“ Und es bestünden keinerlei Anzeichen, dass sich derzeit ein Vulkanausbruch in der Eifel anbahnt – was auch Schreiber nicht behauptet. Weil es im Amt keinen Vulkanologen gibt, ist es auf die Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern angewiesen. Man hätte gegen intensivere Forschung nichts einzuwenden, kann sie aber nicht finanzieren.
Aber vielleicht gibt es ja noch weitere Anzeichen für aufsteigendes Magma, die man ganz ohne teures Instrumentarium feststellen kann? Schreibers Roman hat den Titel „Die Flucht der Ameisen“. Bei seinen Kartierungsarbeiten stieß er immer wieder auf Ameisenhügel, die genau auf den geologischen Störungen saßen. Irgendwann begann er, sie in seine Karten einzutragen, und es zeigte sich ein klares Muster: Die Ameisen bevorzugen tatsächlich Störungen als Wohnort – unabhängig von Licht, Boden oder Vegetation. Würden allerdings – als Vorbote aufsteigenden Magmas – plötzlich verstärkt Kohlendioxid oder andere schädliche Gase aus den Störungen strömen, müssten sie ihren Bau verlassen.
Das 2004 gegründete Bundesamt für Bevölkerungshilfe und Katastrophenschutz hält die Wahrscheinlichkeit eines Vulkanausbruchs in absehbarer Zeit für zu gering und hat keine entsprechenden Notfallpläne entwickelt.
Das Deutsche Komitee Katastrophenfürsorge hingegen veröffentlichte 1996 einen Forschungsbericht mit dem Titel „Risiken im mittelrheinischen Becken“. Die Befragungen von Bevölkerung und Entscheidungsträgern ergaben: Ein Vulkanausbruch wird nicht als reale Gefahr empfunden. Tatsächlich ist die Wahrscheinlichkeit, bezogen auf einen überschaubaren Zeitpunkt, zwar sehr gering, die möglichen Folgen wären aber ungleich größer, selbst wenn man nicht gleich die Schreiber“sche Geokalypse annimmt. Im dicht besiedelten Einzugsgebiet der Eifel liegen Autobahnen, Bahnlinien, Flugrouten.
Offenbar hatte die Studie kaum Folgen. Vielleicht ist die Bevölkerung heute dank des 1996 gegründeten Vulkanparks mit seinen vielen Stationen überall in der Eifel inzwischen besser informiert. Aber immer noch fehlt das Geld, um die aktuelle Situation detailliert zu erforschen und besser zu überwachen.
Ulrich Schreiber will mit seinem Roman keine Panik schüren, sondern wachrütteln. Es muss ja nicht gleich ein Lavadamm das Rheintal blockieren – auch ein kleiner Vulkanausbruch, der vielleicht eine Ascheschicht über Orte und Straßen legt, würde Deutschland unvorbereitet treffen. RENATE ELL
Der Roman „Die Flucht der Ameisen. Eine Geokalypse“ von Ulrich Schreiber ist im Schayol-Verlag erschienen und kostet 24,90 €.
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