Umweltschäden gesetzeskonform zu beseitigen ist schwierig geworden
Mit dem neuen Umweltschadensgesetz sollen Unternehmen nun auch für Schäden an der Artenvielfalt in Flora und Fauna sowie an Böden und in Gewässern haften. Das geht weit über die bisherige Umwelthaftung hinaus: Im Fall der Fälle muss die geschädigte Natur wieder in ihren Ursprungszustand versetzt werden. Ein kaum zu kalkulierendes Risiko. Eine erste Bilanz des Gesetzes zeigt jedoch: Die praktische Umsetzung lässt zu wünschen übrig.
Seit Mitte November vergangenen Jahres haften Unternehmer für Schäden an der Artenvielfalt im Tier- und Pflanzenreich sowie an Böden und Gewässern nicht nur rückwirkend ab dem 30. April 2007. Sie haften auch dann, wenn der Schaden noch nicht entstanden ist, sondern unmittelbar bevorsteht.
Die Bundesregierung setzte damit eine Richtlinie der Europäischen Union um – und erweiterte das deutsche Umweltrecht auf diese Weise um ein öffentlich-rechtliches Haftungssystem. Hier geht es nicht mehr um einen zivilrechtlichen Ausgleich von individuellen Schäden, sondern um nichts Geringeres als Schäden an der (ökologischen) Allgemeinheit.
Werden natürliche Lebensräume oder Arten durch unternehmerisches Handeln verändert und beeinträchtigt oder besteht die Wahrscheinlichkeit, dass dies in naher Zukunft passieren wird, werden die Firmen in die Pflicht genommen. Sie müssen die zuständigen Behörden informieren, versuchen, den Schaden zu vermeiden und – wenn die Umweltsünde nicht mehr rückgängig zu machen ist – sanieren.
Das bedeutet: Lebensräume und Arten müssen in ihren ursprünglichen Zustand versetzt werden. Das kann Unternehmer unter Umständen teuer zu stehen kommen, denn die Haftung ist nicht auf die Firma begrenzt, sondern erstreckt sich auch auf das Privatvermögen der Verursacher – und auf ein Verschulden kommt es nicht an.
Darüber hinaus wird Umweltverbänden das Recht eingeräumt, Sanierungsmaßnahmen gerichtlich durchzusetzen. Bislang hatten nur Privatpersonen ein solches Klagerecht.
Nach der ersten Verunsicherung quer durch Unternehmen und Verbände setzt sich allmählich die Auffassung durch, dass das Damoklesschwert des neuen Gesetzes recht hoch über den potenziell Betroffenen hängt. Denn die neuen Regelungen greifen nur dann, wenn alle anderen Rechtsvorschriften von Bund und Ländern den konkreten Fall nicht abdecken.
Zugleich mehrt sich die Kritik am Gesetz – es sei komplett misslungen, heißt es nicht nur von unternehmerischer Seite: „Der Fluch der guten Tat hat uns hier mal wieder eingeholt“, meint auch Matthias Weigand vom Bayerischen Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz.
Europäisch betrachtet, so Weigand, sei die Richtlinie – vor allem mit Blick auf Staaten wie Griechenland, Portugal oder Irland – notwendig, im ausgeprägten deutschen Umweltrecht sei das Gesetz jedoch vollkommen überflüssig.
Bislang sind noch keine Fälle bekannt geworden, in denen das Gesetz hätte Anwendung finden müssen – zumindest keine spektakulären. Aber selbst in den Fällen, in denen das Gesetz künftig greift, halten Experten die Feststellung und Definition der Schäden für äußerst schwierig.
„Das Problem beginnt bereits bei der Ermittlung des ursprünglichen Zustandes, der ja vorrangig wiederhergestellt werden soll. Hier tun sich unter Umständen unüberwindliche praktische Hindernisse auf, die der Anwendung des Gesetzes schnell Grenzen setzen können“, glaubt Klaus Fritsch, Ingenieur und Jurist in der Düsseldorfer Kanzlei Hofmann Liebs Fritsch & Partner (s. auch oben stehendes Interview).
Umweltsünden als unternehmerisches Risiko – das hat auch Auswirkungen auf die Absicherung der Unternehmen. Denn das mögliche Schadensspektrum ist relativ groß.
„Ein fahrlässig hervorgerufener Brand – etwa durch nicht sachgerecht gewartete Elektrogeräte oder ungewollte Kurzschlüsse bei Servicearbeiten in fremden Unternehmen – kann beispielsweise Auswirkungen auf geschützte Pflanzen oder Tiere in benachbarten Schutzgebieten haben, durch die Luftverschmutzung oder das Löschwasser“, erläutert Dietrich Winter vom Allianz-Versicherungskonzern.
Da knapp 40 % aller Unternehmen weniger als einen Kilometer vom nächsten Schutzgebiet entfernt seien, könnten derartige Ereignisse schnell Schäden an der Biodiversität hervorrufen, so Allianz-Umweltexperte Winter. Zudem gebe es rund 130 Tier- und Pflanzenarten, die überall in Deutschland geschützt seien. Oft wisse niemand, bevor ein Umweltschaden eingetreten sei, wo diese Arten lebten.
Die Absicherung gegen das Risiko, öffentlich-rechtliche Ansprüche erfüllen zu müssen, kann ein Unternehmen je nach Gefahrenlage teuer zu stehen kommen, bis zu 10 000 € Versicherungsprämie können fällig werden: „Je größer die Emissionsrisiken, je näher an einem Schutzgebiet und je mehr gefährliche Stoffe auf dem eigenen Grundstück vorhanden sind, desto höher wird der Beitrag grundsätzlich sein“, so Winter.
Risikomanagement in Sachen Umwelt scheint also für Unternehmen unabwendbar zu werden eine Tatsache, die trotz komplexer Rechtslage in Deutschland nach Ansicht von Jurist Klaus Fritsch bei vielen Mittelständlern noch nicht angekommen sei.
Referatsleiter Weigand vom bayerischen Umweltministerium sieht aber neben den Unternehmen auch die Bundespolitik in der Pflicht: Er fordert, die Fälle, in denen das Gesetz Anwendung finden kann, klarzustellen, Erheblichkeitsschwellen einzuführen und den Umfang von Sanierungspflichten genauer festzulegen.
„In diesem Fall kann einmal nicht auf das schlechte Europarecht verwiesen werden“, betont Weigand, „es ist im Gegenteil ein Verdienst der Richtlinie, dass europaweit Mindeststandards an Haftung eingezogen wurden.“ Ob dies auch in Deutschland so notwendig gewesen ist, wird wohl erst die Praxis der nächsten Jahre zeigen.
CONSTANZE HACKE
Bisher gibt es keine spektakulären Fälle, wo das Gesetz hätte angewandt werden müssen.
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