Schlamperei in Pharma-Firma löste Hormon-Affäre aus
Es verdichten sich die Hinweise, dass in Irland falsch deklarierter Pharma-Abfall den jüngsten Lebensmittelskandal auslöste. Die Umweltbehörde des Landes berichtet von einem schwer wiegenden Irrtum – die als unbedenklich ausgewiesenen Hormone seien dann nach Belgien exportiert worden. Dass die niederländische Firma „Bioland Liquid Sugars“ mit Sitz in Belgien mittlerweile Pleite ist, kann die Wut der Verbraucher so recht nicht lindern. Auch wenn sich der Ursprung des Skandals inzwischen bis nach Irland zurückverfolgen lässt, so geschah das eigentliche Verbrechen doch in Belgien. Denn anstelle einer ordnungsgemäßen Entsorgung der Hormone hatten die skrupellosen Betreiber die giftige Fracht ins Tierfutter gemischt oder als Glukosesirup für die Getränkeindustrie vermarktet.
Wie die irische Umweltbehörde EPA jetzt berichtet, seien in einer Anlage des US-Pharmakonzerns Wyeth im irischen Newbridge hormonverseuchte Abfälle fälschlicherweise als unbedenklich deklariert worden. Ohne Kenntnis der Behörden hätte dann der Export nach Belgien stattgefunden – zur Firma Bioland, die jetzt im Zentrum der Kritik steht. Sowohl Wyeth als auch ein beteiligtes irisches Export-Unternehmen haben derweil signalisiert, zur raschen Aufklärung der Affäre beitragen zu wollen.
Das gesamte Ausmaß des Skandals um hormonbelastete Lebensmittel kann wohl noch niemand so recht absehen. „Wahrscheinlich sind rund 2,5 t des Hormons MPA (Medroxy-Progesteron-Azetat) verarbeitet worden“, schätzt Peter Knietsch, Leiter der nordrhein-westfälischen Verbraucherschutzabteilung. Und NRW-Umweltministerin Bärbel Höhn rechnet weiter: „Wir finden MPA jetzt im Milligramm-Bereich wieder. Man kann sich also leicht vorstellen, welche Dimensionen das angenommen haben muss.“
Es ist davon auszugehen, dass bereits seit rund anderthalb Jahren mit Medikamentenabfällen vermischte Produkte nach Deutschland gelangen. Mindestens zwölf der 16 Bundesländer wurden beliefert – lediglich Hessen, Sachsen, Berlin und Bremen scheinen ungeschoren davongekommen zu sein. Außerdem hängen fast sämtliche Staaten der Europäischen Union mit drin.
Die Zahl der deutschen Landwirtschaftsbetriebe, die aufgrund des verseuchten Futtermittels geschlossen werden, steigt ständig. Allein in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen mussten bisher 337 Betriebe dichtmachen. In den Niederlanden sind es mittlerweile sogar schon 7000 Betriebe. „Rund 10 Mio. Tiere sind bei den niederländischen Nachbarn betroffen“, schätzt Höhn. Für Deutschland könne sie jedoch noch keine genauen Zahlen liefern. Auch die Frage, wie lange die Sperrungen der Höfe andauern soll, ist noch völlig offen.
Eine Hormonbelastung durch die Lieferung verseuchten Glukosesirups an deutsche Getränkehersteller konnte bisher nicht nachgewiesen werden. Allerdings bleibt zu prüfen, ob der Konsum von Getränken aus dem benachbarten Ausland unbedenklich ist.
Entwarnung gibt indes der Verband der deutschen Fruchtsaft-Industrie, dem nahezu alle deutschen Fruchtsaftunternehmen angeschlossen sind. „Zur Herstellung von reinem Apfel-, Orangen- oder Multivitaminsaft verwenden wir weder Zucker noch Glukosesirup“, so der Verband. Fruchtsäfte mit der Kennzeichnung „ohne Zuckerzusatz“ seien daher zu 100 % aus Früchten hergestellte Produkte, die vom Hormonskandal nicht betroffen seien.
Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen rät allerdings „vorerst zur Zurückhaltung beim Fleischverzehr“. Denn mindestens 7000 möglicherweise hormonbelastete Schweine seien aus Belgien nach Deutschland importiert worden.
Sowohl Höhn als auch Verbraucherministerin Renate Künast fordern die Einführung einer Positivliste für Futtermittel. Darin sollten nur noch die Stoffe verzeichnet sein, die tatsächlich erlaubt sind. „Der Fantasie sind ja sonst keine Grenzen gesetzt, was man noch alles ins Futter reintun könnte“, erklärt Höhn. Zudem forderte sie die EU auf, die Futtermittelbranche in Belgien genauer zu kontrollieren. Dort sei bereits zum zweiten Mal Tierfutter mit Abfällen vermengt worden. Höhn sprach von „mafiösen Strukturen“, die aufgedeckt werden müssten.
Auch Kollegin Künast kündigte weitere rechtliche Maßnahmen an. „Der Futtermittelbereich ist einfach unterkontrolliert“, so die Bundesverbraucherschutzministerin. Auch sie wirft den belgischen Behörden unzureichende Kontrollen vor.
Nach Angaben der belgischen Regierung machte die Firma Bioland ihre Geschäfte ohne die nötigen Genehmigungen. Sie habe keine Lizenz für Lieferungen an Lebensmittelbetriebe gehabt, erklärt dazu das Außenministerium. BETTINA RECKTER
Schwierige Grenzwertfindung beim Hormon MPA
Die Behörden tun sich schwer, einen sicheren Grenzwert für das Hormon MPA (Medroxy-Progesteron-Azetat) zu benennen. So hält das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) für eine 60 kg schwere Person bis zu 18 mg MPA für eine „annehmbare Tagesdosis“ – obwohl sich die Wirkung synthetischer Hormone nicht exakt erfassen lässt.
In der Humanmedizin behandelt man mit dem für die Anti-Baby-Pille künstlich hergestellten MPA auch Krebs. Zudem soll es die Beschwerden von Frauen in den Wechseljahren lindern. Es erhöht aber wohl auch das Risiko für Brustkrebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Nach geltendem Recht darf man auch Tiere damit behandeln – allerdings nur, wenn deren Schlachtung nicht unmittelbar bevorsteht.
Trotz aller Unwägbarkeiten ist das BgVV der Ansicht, dass eine einmalige oder geringe Aufnahme von belastetem Fleisch keine gesundheitlichen Folgen habe. Als „nicht unbedenklich“ stuft es jedoch den Konsum von Limonade ein. Wenn Frauen über längere Zeit 2 l Limonade täglich trinken, die mit MPA-haltigem Glukosesirup hergestellt wurde, könne dies durchaus zu Zyklusstörungen und Blutungen führen. Langzeitwirkungen wie eine Beeinträchtigung der Fruchtbarkeit seien aber nicht zu erwarten. ber
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