Nicht von Pappe
Die Sortierleidenschaft der Deutschen ist zwar vorbildlich, aber eben nicht vollkommen. Fehlwürfe machen gerade die Altpapierverwertung schwierig. Ein neues Verfahren sortiert die Störstoffe vollautomatisch und zuverlässig aus.
Obwohl es mittlerweile eigentlich jeder weiß: In den blauen Tonnen, in die nur altes Papier und gebrauchte Pappen gehören, findet sich alles Mögliche – Eisenteile und halbe Fahrräder, im Sommer schon mal Grünabfälle, oft auch ganze Müllsäcke.
Das macht den Entsorgern das Leben schwer. Denn die bisherige manuelle Sortierung des Altpapiers kommt gegen die vielen „Fehlwürfe” nicht an. Erschwerend ist, dass mit zahlreichen Magazinen immer mehr eingeklebte CD oder PVC-Karten im Container landen – neben den vielen Heftklammern, Kunststoffhüllen oder Kleberücken, die bei der Verarbeitung des Altpapiers in der Papierfabrik Probleme bereiten. „Als Folge gab es immer wieder Chargen, die die Papierfabriken zurückwiesen, weil der Störstoffanteil darin zu groß war”, weiß Clemens Lenzen. Der Leiter der Abteilung Anlagentechnik beim Entsorgungsunternehmen Trienekens, Viersen, sann auf Abhilfe.
Mit Erfolg: Anfang März ging am Trienekens-Standort in Köln eine neue Anlage zur vollautomatischen Aufbereitung von Altpapier in Betrieb. Das Verfahren, das anlässlich der Umweltmesse Envitec vorgestellt wurde, kann vor allem eins: Es trennt das wilde Gemisch aus den blauen Tonnen von Köln und Umgebung sauber auf. Es entfernt dabei nicht nur Metalle, Glas und Mineralien, sondern liefert vor allem drei leicht verwertbare Papierchargen – die sogenannte De-Inking-Ware, einen gefragten Sekundärrohstoff im Wesentlichen aus alten Zeitungen und Magazinen, außerdem eine Papiermischfraktion und eine Pappefraktion.
Dabei ging es gar nicht nur darum, Papier von Nicht-Papier zu trennen. Vielmehr legten die Ingenieure von Trienekens, dem Schongauer Papierhersteller Haindl und der Firma Voith Paper Fiber Systems großen Wert darauf, die De-Inking-Fraktion von schwerem, nassfestem und durchgefärbtem Papier sowie von Pappe und Karton zu trennen. Die ersten Betriebsmonate sind viel versprechend: „Die Anlage ist in der Lage, De-Inking-Ware mit einem Störstoffanteil von weniger als 2,5 % zu erzeugen”, so Trienekens-Vorstand Wilhelm Terhorst vergangenen Dienstag vor der Presse. Während konventionelle manuelle Verfahren bis zu 20 % der hochwertigen De-Inking-Fraktion nicht aussortieren können, betrage diese Quote jetzt maximal 4 %.
Dafür freilich braucht es ein aufwendiges, mehrstufiges Verfahren. Basis ist die Tatsache, dass Zeitungs- und Illustriertenpapier nicht nur leichter als störendes Glas, Sand oder Metall, sondern bei gleicher Fläche auch leichter als die übrigen unerwünschten Papiere und Karton ist. Als erster Schritt werden Karton und Pappe aus dem Papierstrom entfernt und ausgeschleust. Danach folgt eine gleichmäßige Zerkleinerung der Fraktion. Für die eigentliche Trennung nutzt das Verfahren das in der Sortierung lange bekannte Prinzip der Windsichtung: Im aufsteigenden Luftstrom wird schweres von leichtem Material getrennt.
Die Anlage in Köln arbeitet mit insgesamt vier Kegelsichtern, von denen jeder mit einem angeschlossenen Zyklon ein eingeschlossenes Umluftsystem bildet. Optimal getrennt wird durch einen besonders gleichmäßigen Luftstrom auf der gesamten Sichtfläche. „Wir mussten lange suchen, bis wir Windsichter fanden, die so präzise arbeiten”, so Lenzen. Anschließend wird das De-Inking-Leichtgut über eine Zellenradschleuse ausgetragen. Das nach unten fallende Schwergut gelangt in die Windsichter zurück und wird erneut aufgetrennt, um die Ausbeute zu maximieren. Ergebnis: 7 % des Inputs sind sauber sortierte Pappe und Karton, 23 % sind eine Papiermischfraktion, 70 % die De-Inking-Fraktion, die im Wesentlichen durch leichte Kunststofffolien „verunreinigt” ist, die sich wegen ihrer Leichtigkeit nicht abtrennen lassen. Die Kunststoffe allerdings stören in der Papierfabrik nicht, da sie sich beim Lösen des Altpapiers im Wasser leicht separieren lassen.
Die Anlage in Köln, laut Trienekens „Prototyp einer neuen Generation von Papiersortieranlagen”, kostete 25 Mio. DM und wurde von der Sutco Recycling Technik, Bergisch-Gladbach, und der Ingenieursgesellschaft ISIS, Mönchengladbach, entwickelt. Sie hat einen Durchsatz von 12 t pro Stunde und eine Jahreskapazität bis 72 000 t.
Was aber nutzt die beste Sortierung, wenn die Abnehmer von Altpapier der Sache erst mal nicht so recht trauen wollen? „Realisieren konnten wir die Anlage nur, weil die Papierfabrik Haindl uns zugesichert hat, während der ersten fünf Jahre das Material abzunehmen”, betont Lenzen. Um den Erfolg der Trennung zu belegen, investierte Trienekens in ein neuartiges Analysesystem am Ende der Aufbereitung. Alle zehn Sekunden wird aus dem Materialstrom eine Probe von 4 g gezogen, die auf einem Fließband eine Kamerastrecke durchläuft. Drei Kameras erfassen Oberflächenstruktur und Farbe, Materialart und -dicke. Ein Hochleistungsrechner analysiert aus den Daten blitzschnell die Zusammensetzung des Materialstroms. „Noch vor wenigen Jahren wäre eine so präzise Analyse nicht möglich gewesen”, betont Terhorst, „da einfach die Rechnerleistung nicht zur Verfügung stand.”
Der potentielle Markt für das neue Verfahren ist riesig. Allein in Deutschland werden jährlich über 13 Mio. t Altpapier gesammelt und sortiert. „Wenn alle deutschen Papierfabriken auf unser Material zurückgreifen würden, hätten wir schon ausgesorgt”, spekuliert Lenzen. Trienekens schielt allerdings mit einem Auge schon nach Übersee – nach den USA und Kanada, den größten Papierproduzenten weltweit. In einem US-Technikum der Firma Voith wird derzeit in einem Testlauf untersucht, wie sich die De-Inking-Fraktion aus der Kölner Anlage verarbeiten lässt: Ob das produzierte Zeitungspapier weniger reißt, wie stark durch den sauberen Input der Abfall in der Papierfabrik reduziert werden kann. Aus den Ergebnissen des Testlaufs wollen die Viersener dann auch den „realen” Preis für ihr Produkt ermitteln.
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